"Medusa"-Gemälde von Caravaggio:Wer ist ihr Mörder?

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Caravaggios "Medusa Murtola" ist erst vor dreißig Jahren aufgetaucht, sie wird aber von vielen Caravaggio-Experten mittlerweile als Original anerkannt. (Foto: ©Diözesanmuseum Freising)

Das Diözesanmuseum Freising zeigt in seiner Sonderausstellung "Tanz auf dem Vulkan" eine erst vor 30 Jahren aufgetauchte "Medusa" von Caravaggio. Die Show ist ein echter Krimi.

Von Reinhard J. Brembeck

Diese Frau bringt Mann zumindest um den Schlaf. Nur wenige Zentimeter entfernt steht der Besucher einem vor über 400 Jahren in Lebensgröße gemalten Gesicht einer jungen androgynen Frau (oder ist es ein Mann?) gegenüber. Er blickt ihr direkt in die angstentsetzten Augen, die ein Riss in der Ölfarbe durchzieht, sieht in ihrem vor Furcht zu einem großen schwarzen O geweiteten Mund die Zähne, die Zunge.

Erschrickt die Frau vor dem Besucher? Ein Plastikkasten schützt sie vor Kartoffelbreiattacken wie vor Atem und Ausdünstungen des Publikums, wegen dieser Vorrichtung darf man überhaupt so ungewöhnlich nah an das Bild heran. Vielleicht aber schützt der Glaskasten auch den Besucher. Denn der blickt schließlich Medusa ins Gesicht, und das endete schon immer tödlich für den Voyeur.

Medusa ist ein Mythos, war aber eine sterbliche Frau. Mit einer unangenehmen Eigenschaft. Jeder Mensch, der sie erblickte, versteinerte. Sie wurde von Meereschef Poseidon in einem Tempel seiner gestrengen Nichte Athena vergewaltigt und geschwängert. Athena war sauer und verwandelte Medusas Haare in Schlangen.

Dann gab sie ihrem Halbbruder Perseus, der wie schon viele vor ihm die Medusa beseitigen wollte, einen Spiegelschild. Auf dass er die Medusa beim Kopfabschneiden nicht direkt anschauen musste, was ihn ja versteinert hätte. Im Spiegelbild aber ist der Versteinerungszauber wirkungslos. So enthauptete Perseus, das ging sicher nicht ohne Verrenkungen ab, die schlafende Medusa.

Ein Mitarbeiter des Diözesanmuseums putzt die Vitrine mit der "Medusa". (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Michelangelo Merisi, genannt Caravaggio, hat Medusas Kopf lebensecht im Moment nach der Enthauptung auf einen mit Leinwand bezogenen Holzschild gemalt. Die Medusa ist erstaunt und wütend, Augen und Mund sind weit aufgerissen, sie schreit und weiß nicht, wie ihr wird, das Blut spritzt aus dem abgetrennten Hals, die Schlangen sind im Aufruhr. Dieses so eigenwillige wie berühmte Bild gehört den Florentiner Uffizien. Vor knapp 30 Jahren aber ist in Rom eine zweite, etwas kleinere Medusa auf den Markt gekommen und von einem Privatsammler gekauft worden, das war eine Sensation.

Ist das ein echter Caravaggio? Mittlerweile haben Kunst- und Caravaggio-Experten wie Mina Gregori, Claudio Strinati und Maurizio Marini diesen Fund als original und zudem als Erstfassung der berühmten Uffizien-"Medusa" anerkannt. Bei Röntgenuntersuchungen kam heraus, dass der Maler gleich zwei Vorzeichnungen machte, die er in der Ausführung noch einmal veränderte. Es war wohl selbst für ein Genie nicht ganz leicht, ein Gesicht auf eine gewölbte Oberfläche zu malen. Das Bild ist als "Medusa Murtola" bekannt, benannt nach einem kaum bekannten Dichter, der es beschrieben hat.

Dem Betrachter ist, als habe er selbst die Schwangere und noch dazu Schlafende meuchlings ermordet

Jetzt ist die "Murtola" in Freising zu sehen, im nach zehnjähriger Restaurierung gerade wiedereröffneten Diözesanmuseum. Im Raum wirkt das Bild geheimnisvoller als auf Fotografien, die Farben sind dunkler, das aus dem Kopf spritzende Blut und die Schlangen sind weniger deutlich zu erkennen, sodass sich das Grauen über die Gewalttat erst nach und nach einstellt. Die "Murtola" ist Teil der raffiniert gemachten Sonderausstellung "Tanz auf dem Vulkan".

Diese dokumentiert das mit Religion durchsetzte Leben im Schatten des Todesberges Vesuv, mit Videos aus Neapel, Fundstücken aus Pompeji, Vesuvfeuerspuckbildern, noch nie entliehenen Heiligendarstellungen und eben der "Medusa". Was hat das in Rom gemalte Bild hier zu suchen? Nun ist der Tod in Neapel allgegenwärtig, der Besucher fühlt sich dort stets bedroht von dem allgegenwärtigen bösen Berg. Der in Freising gezeigte Gipsausguss eines grotesk verrenkten Hundes, er kam bei dem Vesuvausbruch 79 u. Z. zu Tode, sieht aus wie ein versteinertes Opfer Medusas. Und deren schreckerstaunter Gesichtsausdruck mag identisch sein mit dem von Pompejis Bewohnern, als einer der verheerenden pyroklastischen Stürme auf sie zuraste.

San Gennaro ist der Stadtheilige Neapels, er wurde vor 1700 Jahren geköpft, aber kein Genie wie Caravaggio hat diesen Moment imaginiert. Schrie er erschreckt wie Medusa? Oder schaute der später Heiliggesprochene verzückt gen Himmel? Eine Zeugin der Hinrichtung sammelte Gennaros Blut in zwei Fläschchen, die in Neapels Dom als größter Schatz verwahrt werden. Dreimal pro Jahr werden die Fläschchen in die Nähe von Gennaros Schädel gebracht, und siehe, das geronnene Blut verflüssigt sich. Dabei herrscht ein tumultartiger Volksauflauf im Dom, die Ausstellung zeigt das als Film. Verflüssigt sich das Blut nicht, gilt es als böses Omen.

Eine ähnliche Geschichte wird auch über Medusa erzählt. Der Ärztegott Asklepios fing das Blut aus zwei Venen der Medusa auf. Das aus der einen wirkte tödlich, das aus der anderen konnte Tote erwecken. Verbreiteter ist die Geschichte, dass aus Medusas Blut zwei Kinder entstanden, eines war das Flügelross Pegasos. Zudem soll ihr Blut, das ins Meer spritzte, dort zu Korallen mutiert sein, die Ausstellung zeigt quasi als Beleg einen Korallenlöffel.

Zuletzt steht der Besucher wieder vor der Medusa, Auge in Auge. Nach all den Todesmomenten der Ausstellung glaubt er plötzlich, ihren Ausruf im Moment ihres Todes zu verstehen: "Assassino!" (Caravaggio war Italiener), Mörder! Schließlich sieht nicht nur Perseus die Medea im Spiegelschild, sondern auch die Frau ihren Mörder. Der aber ist längst nicht mehr Perseus, sondern der heutige Betrachter, der wie ein Voyeur fasziniert auf den Todeskampf der Frau blickt. Das ist Caravaggios fiesester Trick: Dem Betrachter ist, er merkt das voller Entsetzen, als habe er und nicht Perseus die Schwangere und noch dazu Schlafende meuchlings ermordet.

Tanz auf dem Vulkan. Diözesanmuseum Freising. Bis 29. Januar. Der Katalog kostet 42 Euro.

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