Max Mannheimer Studienzentrum:Bildungsarbeit soll krisenfest werden

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Im Max Mannheimer Studienzentrum finden wegen der Pandemie derzeit nur vereinzelt Seminare statt. (Foto: Toni Heigl)

Max Mannheimer Studienzentrum plant, freie Mitarbeiter, die von der Pandemie finanziell hart getroffen wurden, fest anzustellen. Dachauer Stadtrat und Kreistag müssen aber noch zustimmen.

Von Thomas Radlmaier, Dachau

Es ist still gewesen um das Max Mannheimer Studienzentrum (MMSZ) in Dachau. Studientage oder Seminare mit Schulklassen fanden seit Beginn der Pandemie wenn überhaupt nur virtuell statt. Zuletzt gab es wieder vereinzelt Kurse in Präsenz. Doch von einem normalen Vor-Corona-Betrieb ist man am MMSZ - wie in vielen Einrichtungen - weit entfernt. Es dauert, bis die historisch-politische Bildungsarbeit aus dem Tiefschlaf erwacht.

Allein: Der Schein trügt.

Im Hintergrund bahnen sich große strukturelle Veränderungen im Studienzentrum an. Wie die SZ Dachau aus mehreren Quellen erfahren hat, plant das MMSZ, einen Teil seiner freiberuflichen Mitarbeiter fest anzustellen. Damit soll die Gedenkstättenpädagogik, die in Dachau und anderswo größtenteils von Soloselbstständigen geleistet wird, krisenfest werden. Der Bayerische Jugendring (BJR), der die Geschäftsführung der zum MMSZ gehörenden Stiftung innehat, schweigt zu den konkreten Plänen. Ein Pressesprecher bestätigt lediglich, dass es entsprechende Überlegungen gebe. Weitere Details dazu könne man erst mitteilen, "wenn die notwendigen Beschlüsse abgestimmt und gefasst sowie die freiberuflichen Referent:innen eingebunden und informiert sind". Tatsächlich hat das MMSZ dem Vorstand der Stiftung Jugendgästehaus nach SZ-Informationen bereits ein ausgearbeitetes Konzept vorgelegt. Jetzt müssen der Dachauer Stadtrat und Kreistag in den nächsten Wochen darüber beraten. Die strukturelle Umstellung geht mit Mehrkosten einher, an denen sich auch Stadt und Landkreis beteiligen sollen - sie sind neben dem Freistaat Stiftungsträger. Ob die beiden Gremien dem Umbauplänen zustimmen, ist fraglich. Wegen der Krise sind die kommunalen Haushalte stark belastet.

"Auf ihre Erfahrung und ihr Engagement wird das MMSZ auch in Zukunft bauen"

Um die Pläne des MMSZ einordnen zu können, muss man die Vorgeschichte kennen. Wegen Corona musste das Studienzentrum im Frühjahr 2020 herunterfahren. Rundgänge und Studientage, in denen freiberufliche Mitarbeiter bis dato Schüler über die Geschichte des Konzentrationslagers aufklärten, fielen aus. Den Referenten brachen Honorareinnahmen weg, viele der Freiberufler kämpften finanziell ums Überleben. Im Sommer erhielt ein Teil der Referenten auf öffentlichen Druck Werkverträge vom MMSZ, um ihre Einbußen in der Krise zumindest ein wenig zu kompensieren. Die Verträge liefen im September aus. Seitdem sei "faktisch nichts mehr passiert, was unsere Situation in der Corona-Krise verbessern könnte", schreiben die Referenten in einer gemeinsamen Stellungnahme. Inzwischen habe der Großteil kein Interesse mehr, für das Studienzentrum zu arbeiten. Aktuell ist noch etwa eine Handvoll von ursprünglich fast 30 Freiberuflern regelmäßig für das MMSZ tätig.

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Der BJR teilt in einem Schreiben an die SZ mit, dass die Möglichkeiten des MMSZ in der Pandemie deutlich eingeschränkt seien. Das sei leider nicht ohne Folge für die freiberuflichen Mitarbeiter geblieben. Doch zu Beginn des neuen Schuljahres würden die Aktivitäten deutlich ausgeweitet. Der BJR betont, die mehrtägigen Studienseminare seien im Raum München "ein Alleinstellungsmerkmal" des MMSZ. Diese werden seien seit Jahren erfolgreich in Zusammenarbeit mit freiberuflichen Referent:innen durchgeführt worden. "Auf ihre Erfahrung und ihr Engagement wird das MMSZ auch in Zukunft bauen."

Doch die entscheidende Frage wird sein, wie viele der alten freiberuflichen Mitarbeiter sich dann überhaupt für die geplanten festen Stellen bewerben werden? Rundgänge oder Studientage haben mehr als ein Jahr lang nicht stattgefunden. Einige Menschen, die vor Corona im gedenkstättenpädagogischen Bereich arbeiteten, haben sich inzwischen umorientiert. Das betrifft nicht nur den Lern- und Erinnerungsort Dachau. Deutschlandweit haben sich Selbstständige, die im politisch-historischen Bildungsbereich tätig waren, neue Jobs gesucht. Noch bevor die Corona-Krise im Frühjahr 2020 in Deutschland das öffentliche Leben lahmlegte, gründeten Beschäftigte von Gedenkstätten und Museen in Berlin und Brandenburg das "Netzwerkes für faire Arbeitsbedingungen in Museen und Gedenkstätten". Eine Sprecherin sagt nun, momentan sei die Situation schlechter als im vergangenen Sommer: "Weniger nationale Gäste, internationale Gäste fehlen komplett. Das bedeutet, es gibt für Freie viel weniger Arbeit, weswegen auch hier viele Leute einfach in der Luft hängen." Beobachtungen in verschiedenen Einrichtungen in Berlin und Brandenburg würden zeigen: "Viele freie Guides haben aufgehört."

Verloren gegangenes Vertrauen

Am MMSZ in Dachau kommt erschwerend hinzu, dass zwischen der Geschäftsführung und den Referenten viel Vertrauen verloren ging. Die Freiberufler berichten von einem gemeinsamen Treffen mit der Geschäftsführung der pädagogischen Leitung am MMSZ im September 2020. Dieses sollte eigentlich der Aussprache dienen, man wollte gemeinsam Vorschläge erarbeiten, um die Kommunikation zwischen Referenten und Einrichtungsleitung zu verbessern. Letztlich endete es in einem Fiasko. Eine festangestellte Mitarbeiterin ergriff bei dem Treffen das Wort und kritisierte die Leitung, mit Folgen. Nach dem nicht-öffentlichen Treffen musste die Angestellte zum Gespräch bei BJR-Präsident Matthias Fack erscheinen. Dieser erteilte ihr eine Abmahnung. Inzwischen hat die Mitarbeiterin gekündigt und ist weggezogen. Von dem Gespräch mit Fack berichtet sie, sie habe sich wie vor einem "Tribunal" gefühlt und spricht von einer "autoritären Einschüchterung". Ihr sei vom BJR-Präsidenten klar gemacht worden, dass sie "Misstrauen gegenüber der Institution MMSZ" an den Tag gelegt habe, indem sie beim Teamtreffen im September das Wort ergriffen habe. Die ehemalige Mitarbeiterin widersprach der Abmahnung, daraufhin seien ihr als Grund für die Abmahnung "unternehmensschädliche Äußerungen" vorgeworfen worden, sagt sie.

Tribunal, autoritäre Einschüchterungsversuche - es sind dies heftige Vorwürfe an eine Institution, die mit Einrichtungen wie zum Beispiel mit dem MMSZ in Dachau Kinder und Jugendliche historisch-politisch und auch demokratietheoretisch bilden will. Zu Fragen wie, inwiefern sich die damalige Angestellte "unternehmensschädlich" geäußert habe oder ob das Gespräch einer "autoritären Einschüchterung" gleichgekommen sei, wollte sich der BJR auf SZ-Anfrage nicht konkret äußern. "Personelle Angelegenheiten werden nicht kommentiert", heißt es.

Stimmen, welche das Wirken des BJR im MMSZ in Dachau kritisieren, tauchten immer wieder auf. Es heißt, seitdem der BJR die Geschäftsführung der Stiftung übernommen habe, habe sich das Arbeitsklima abgekühlt. Eine ehemalige Angestellte des MMSZ, die mit Namen nicht genannt werden will, sagt, dass der Führungsstil sich nicht an einem gemeinsamen Interesse des Gelingens der Arbeit orientiere. Die Geschäftsführung habe während ihrer Zeit in Dachau "autoritär" agiert und sich überdies in inhaltliche Fragen eingemischt und "zwar in einer Weise, die die Qualität der Arbeit gefährdet hat". Es sei "überhaupt kein Interesse an den freiberuflichen Mitarbeitern gezeigt" worden. Auch Wertschätzung sei nicht geäußert worden, so die ehemalige Angestellte.

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Die Stellungnahme des BJR dazu: Die Geschäftsführung habe sich in den vergangenen Monaten "gerade auch im Bewusstsein ihrer Verantwortung mit hohem Einsatz für alternative Beschäftigungsmöglichkeiten für die freiberuflichen Referent:innen eingesetzt". Die einzelnen Maß-nahmen seien mit den freiberuflichen Referenten besprochen und auch deren Vorschläge berücksichtigt worden. Es seien inzwischen auch früher freiberufliche Referent:innen als pädagogische Mitarbeiter:innen und als Projektmitarbeiter:innen übernommen worden. "Auch dies wurde transparent dargestellt und ist Ausdruck eines wertschätzenden Umgangs, der unsere Unternehmenskultur prägt."

Inwiefern sich der Plan, Freiberufler fest anzustellen, auf die Unternehmenskultur am MMSZ auswirkt, wird sich zeigen. Das Vorgehen erinnert an eine interne Reform, welche die KZ-Gedenkstätte vor rund drei Jahren vollzogen hat. Die Einrichtung stellte einen Teil ihrer freiberuflichen Referenten, die Besuchergruppen über das Gelände führen, fest an. Damit wollte man sich rechtlich absichern und Scheinselbständigkeit bei den Freiberuflern vermeiden. Prekäre Arbeitsverhältnisse im gedenkstättenpädagogischen Bereich sorgten immer wieder für Schlagzeilen. 2013 entließ das NS-Dokumentationszentrum auf dem Obersalzberg alle 22 Rundgangsleiter wegen des Verdachts auf Scheinselbständigkeit.

Auf der politischen Ebene stößt das Vorhaben am MMSZ jetzt jedenfalls parteiübergreifend auf Zustimmung. Die Landtagsabgeordneten Gabriele Triebel (Grüne), Bernhard Seidenath (CSU) und Florian von Brunn (SPD) hatten sich im vergangenen Jahr für die von der Krise so hart getroffenen Referenten stark gemacht. Seidenath spricht jetzt von einer "sehr sehr guten Lösung" des Problems. Damit werde das Wirken der MMSZ auf eine solide Basis gestellt. So sieht das auch Triebel. Sie begrüßt, dass es für die Referenten jetzt eine Perspektive gebe für ein Beschäftigungsverhältnis, "das krisenfest ist". Auch von Brunn sagt er, er finde die Überlegungen sehr gut. "Politisch-historische Bildung vor allem im Zusammenhang mit KZ-Gedenkstätten muss auch in einer Krise weiter laufen. Es hat sich gezeigt, dass das Modell mit Freie-Mitarbeiter-Verträgen zu Problemen führt."

© SZ vom 25.06.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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