Dachau:Wenn Helfer diskriminiert werden

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Vor einigen Wochen wurden Rettungssanitäter und Ärzte für ihren Mut und ihr Engagement gefeiert, doch jetzt bekommen sie eine andere Seite zu spüren: Man meidet sie und ihre Familien. Beim BRK ist man entsetzt darüber. (Foto: BRK)

Die Familie einer Rettungssanitäterin wird wegen ihres Berufs ausgegrenzt. Aus Angst vor Covid-19 dürften Nachbarskinder nicht mehr mit ihren Töchtern spielen. Offenbar ist das kein Einzelfall.

Von Jacqueline Lang, Dachau

Bilder und Videos von Klatschkonzerten für Pflegekräfte auf Balkonen in Italien und überall auf der Welt gingen um die Welt, als Pfleger und Ärzte im April in zahlreichen Krankenhäuser um die Leben von an Covid-19-Erkrankten kämpften. Die Forderungen nach angemessener Bezahlung für die systemrelevanten Berufe im Gesundheitssystem wurden durch die mediale Aufmerksamkeit auch in Deutschland immer lauter. Dieser Dankbarkeit und Wertschätzung für das Gesundheitswesen gegenüber steht die Angst vor einer möglichen Ansteckung bei Menschen, die in diesem Bereich arbeiten. Und nicht nur das: Sogar die Familien von Rettungskräften werden ausgegrenzt. Im Fall einer BRK-Rettungssanitäterin aus dem Landkreis Dachau werden sogar deren Töchter von den Nachbarskindern gemieden - aus Angst vor einer möglichen Ansteckung. Reaktionen auf die Veröffentlichung des Vorfalls in den sozialen Netzwerken legen nahe, dass es sich dabei nicht um einen traurigen Einzelfall handelt.

Wenn Rettungskräfte in ihrem Berufsalltag mit Konflikten und angespannten Situationen konfrontiert werden, bedeutet das für sie, ruhig zu bleiben und zu deeskalieren. Doch wie geht man damit um, wenn die Konflikte nicht während der Arbeit, sondern im privaten Umfeld passieren? Sabine R. lebt mit ihrer Familie im Dachauer Landkreis. Seit vielen Jahren ist sie als hauptamtliche Rettungssanitäterin beim BRK Dachau tätig. In ihrer Heimatgemeinde engagiert sie sich auch ehrenamtlich beim HvO (Helfer vor Ort). Seit Beginn der Corona-Pandemie werden Sabine R.s Töchter Annika und Leonie von den anderen Kindern in der Straße gemieden. Vor allem die neunjährige Annika ist betroffen. Zwei gleichaltrige Mädchen aus der Nachbarschaft dürften nicht mehr mit ihr spielen, weil Sabine R. bei Rettungseinsätzen unter anderem - wenn auch sehr selten - Corona-Patienten versorgt. Andere Kinder würden, so Sabine R., vor Annika gewarnt. Die Neunjährige ist darüber sehr traurig und versteht die Welt nicht mehr. R. hat deshalb bereits versucht, mit den Eltern zu sprechen. "Das hat nichts gebracht", bedauert sie. Um ihre Familie zu schützen, möchte sie ihren echten Namen und den ihrer Kinder nicht nennen.

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Bereits vor rund zwei Wochen ist Sabine R. mit ihren Sorgen an ihre Vorgesetzten herangetreten. Der BRK-Kreisgeschäftsführer Paul Polyfka und sein Stellvertreter Dennis Behrendt, der auch Leiter des Rettungsdiensts ist, nehmen den Vorfall nach eigenen Angaben sehr ernst. Lange haben sie überlegt, wie sie damit umgehen sollen. Schließlich gilt es, die Mitarbeiter im Berufsalltag nicht nur vor Gefahren, sondern auch vor Anfeindungen und Ausgrenzung zu schützen. "Unsere Mitarbeitenden leisten eine sehr wertvolle Aufgabe für unsere Gesellschaft. Dass sie und sogar ihre Kinder wegen ihres Berufes gemieden, um nicht zu sagen angefeindet werden, ist erschreckend", erklärt Behrendt in einer Pressemitteilung. Weil man die Sorge vor einer Ansteckung aber grundsätzlich nachvollziehen könne, wolle man die Nachbarn mit einer Veröffentlichung des Vorfalls aber nicht angreifen, sondern vielmehr an deren Vernunft appellieren, sagt Polyfka am Telefon. "Wir wollen den Konflikt nicht verschärfen." Dennoch steht für ihn fest: Wenn Kinder aufgrund des Berufs ihrer Eltern ausgegrenzt werden, dann sei "eine Grenze überschritten" - auch dann, wenn die Anfeindung bislang glücklicherweise nur indirekt stattfinde.

Als Leiter des Rettungsdienstes steht Dennis Behrendt im engen Austausch mit den Einsatzkräften in den Rettungswachen in Gröbenried, Indersdorf und Odelzhausen. Jeder Einsatz wird genau dokumentiert, die Corona-Einsätze machen einen geringen Bruchteil aller Fahrten aus, so Behrendt. "Unsere Mitarbeitenden erfahren in der Regel große Wertschätzung von den Patienten", so Behrendt. Hin und wieder komme es aber schon zu Ausnahmesituationen, gibt er zu. Das habe in den meisten Fällen aber weniger mit der Corona-Pandemie zu tun, als vielmehr mit übermäßigem Alkoholkonsum. Auch der BRK-Kreisgeschäftsführer Paul Polyfka ist überzeugt, dass sich einige Menschen in einem "Wechselbad der Gefühle" befinden: Wenn ein Mensch angetrunken sei, könne es vorkommen, dass er übergriffig reagiere, wenn ein Rettungssanitäter ihm helfen wolle. Derselbe Mensch könne Tage später, wenn die Sanitäter einem verletzten Angehörigen helfen würden, sehr dankbar für die Hilfe sein. Zudem ist Polyfka überzeugt, dass die positive Wahrnehmung der Arbeit der Rettungskräfte mit der medialen Aufmerksamkeit abnimmt. In den sozialen Netzwerken kommentieren einige sogar, dass die Medien die Angst vor den Pflegekräften erst geschürt hätten.

Über die Ausgrenzung von Sabine R. und ihrer Familie ist Polyfka dennoch besorgt. "Ich kann gut verstehen, dass Mitmenschen Angst vor einer Corona-Ansteckung haben. Und ich wünsche mir, dass sie sich über unsere Arbeit informieren und nicht die Familien unserer Kolleginnen und Kollegen grundlos diskriminieren." Die Hygienevorschriften würden auf den Einsatzfahrten penibel eingehalten, Infektionsschutz sei schon vor der Pandemie eine "Selbstverständlichkeit" gewesen. Der einzige Unterschied: Für Corona-Patienten steht ein speziell ausgerüstetes Fahrzeug zur Verfügung, das nach jeder Fahrt desinfiziert wird. Die Rettungssanitäter sind mit Overall, FFP2-Maske, Schutzbrille und Handschuhen ausgestattet. Und dass sich die strengen Hygienemaßnahmen bezahlt machen, belegen auch die Infektionszahlen: Im gesamten Landkreis habe sich, so Polyfka, bislang kein einziger seiner Mitarbeiter infiziert. Sogar die fünf Verdachtsfälle, die sich vorsichtshalber in Quarantäne begeben hätten, seien letztlich negativ getestet worden. Doch in einigen Fällen "überschreibt das Angstgefühl die Rationalität", so Polyfkas Eindruck. Mehr Aufklärung über die sozialen Netzwerke soll nun Abhilfe schaffen.

Sabine R. liebt ihren Beruf. Gerade deshalb machen sie die Anfeindungen traurig. "Mit so etwas hätte ich wirklich überhaupt nicht gerechnet. Wir halten alle Hygienevorschriften ein, um uns zu schützen. Das wissen auch unsere Kinder", so die 37-jährige BRK-Mitarbeiterin. Sie macht sich Sorgen, dass ihre Kinder noch stärker ausgegrenzt werden, jetzt wo die Pfingstferien vorbei sind. Enttäuscht sei sie, dass sich trotz der vielen Spenden und des öffentlichen Beifalls nichts geändert habe, sagt die Rettungssanitäterin. "Leider muss ich gerade erleben, dass meine Kinder aufgrund meines Berufes gemieden werden. Das trifft mich extrem hart." Sie wünscht sich deshalb eigentlich nur eines: Dass ihre Töchter bald wieder mit den Nachbarskindern spielen dürfen.

© SZ vom 17.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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