Rechtsextreme:Die Justiz stellt sich blöd

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Damit eine Bedrohung von Politikern überhaupt vor Gericht kommen kann - im Bild das Landgericht Würzburg -, muss erst eine Staatsanwaltschaft dazu motiviert sein, den Fall anzuklagen. (Foto: David Ebener/picture alliance / dpa)

Neonazis rufen kaum verklausuliert zur Gewalt gegen Politiker auf und kommen damit viel zu oft durch. Dabei sind diese Fälle unmissverständlich.

Kommentar von Ronen Steinke

Meinungsfreiheit heißt im Strafrecht, dass die Justiz mehrdeutige Aussagen im Zweifel zugunsten des Angeklagten auslegt. Das ist ein gutes, wichtiges Prinzip. Meinungsfreiheit darf aber nicht heißen, dass die Justiz sich schlicht blöd stellt.

Ein Beispiel? Wenn eine Neonazi-Truppe in der Fußgängerzone von Würzburg buchstäblich Leichentücher auslegt, bespritzt mit Kunstblut, und drei Strohpuppen hinlegt mit den Fotos von Olaf Scholz, Annalena Baerbock und Armin Laschet - dann ist das eine Drohung. Das ist deutlich. Um das zu erkennen, muss man nicht zwingend noch einen Blick werfen auf das Transparent, das die Neonazis außerdem mitgebracht hatten. "Reserviert für Volksverräter" stand dort.

Die Staatsanwaltschaft in Würzburg hat sich stattdessen von den Neonazis am Nasenring herumführen lassen. Sie ist den Ausflüchten der Neonazis gefolgt: Die drei "Leichen" würden nicht die drei Politiker darstellen, sondern Opfer von deren flüchtlingsfreundlicher Politik. Die Rechtsextremen würden also nicht Blut sehen wollen. Im Gegenteil: Sie würden über bereits vergossenes Blut trauern. Die Staatsanwaltschaft in Würzburg tat so, als sei dies ernsthaft ein Eindruck, den Zuschauer gewinnen konnten.

Die Juristen gehen den Neonazis höflich aus dem Weg, anstatt ihre Pflicht zu tun und zu ermitteln

Es ist brandgefährlich, und es ist blamabel für den Rechtsstaat, wie sich die Neonazis amüsieren durften über die Juristen, die ihnen höflich aus dem Weg gegangen sind, anstatt wegen Billigung von Straftaten nach Paragraf 140 des Strafgesetzbuchs zu ermitteln. Die Vorschrift ist explizit als Reaktion auf den Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke neu gefasst worden. Sie handelt von Menschen, die "in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören ... in einer Versammlung" Gewalt gutheißen.

Oder auch in Sachsen. Eine Neonazi-Kameradschaft, die sich, juristisch gut beraten, als politische Partei tarnt, hat den Satz "Hängt die Grünen!" plakatiert. Das ist eine Aufforderung zu Gewalt, wie sie im Buche steht, genauer gesagt im Paragrafen 111 des Strafgesetzbuches. Auch hier haben sich die Nazis herausgewunden. Sie hätten mit "Grüne" ja nur grüne Plakate gemeint. Das hat der Staatsanwaltschaft in Zwickau genügt, um sie gewähren zu lassen.

Beide Male hat es erst starker öffentlicher Kritik bedurft, bis die Ermittler auf Anweisung von oben doch noch genauer hingesehen haben. In der vergangenen Woche in Zwickau, am Dienstag nun auch in Würzburg: Die Staatsanwaltschaft hat mit mehreren Tagen Verspätung eingelenkt. Das ist besser als nichts. Aber so gibt der Rechtsstaat ein schwaches Bild ab. Zurück bleibt die Erkenntnis: Man kann durchaus, wenn man will. Leider will man zu oft nicht.

Das merken sich Rechtsextreme. Das testen sie vergnügt immer weiter aus. Im vergangenen März hat es sogar erst eines Machtworts des Oberlandesgerichts Karlsruhe bedurft, um die Staatsanwälte in Pforzheim zu einer Ermittlung wegen Volksverhetzung zu bewegen. Nazis waren mit dem Spruch "Israel ist unser Unglück" aufmarschiert, einer Abwandlung der NS-Propagandazeile "Die Juden sind unser Unglück". Die Juristen hatten sich mit der Ausrede der NS-Verherrlicher zufriedengegeben. Es gehe ihnen "nur" um Nahost.

Manchmal ist es bloß ein feiner Unterschied zwischen einer Staatsanwaltschaft, der die Hände gebunden sind, und einer, die die Hände in den Schoß legt.

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