"Fit for 55":Einer muss anfangen

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Die Zeit des behaglichen "Das wird schon irgendwie" ist vorbei. Zum Beispiel in der Verkehrspolitik wird sich eine Menge ändern müssen. (Foto: dpa)

Der Plan der EU-Kommission zum Klima ist mutig und richtig. Europa muss mit Lösungsvorschlägen vorangehen. Auch wenn damit erheblicher Ärger verbunden sein sollte.

Kommentar von Thomas Hummel

Die EU-Kommission traut sich was. Sie legt einen wohl mehr als 1000-seitigen Plan auf mit dem schnittigen Namen "Fit for 55", wie Europas Bund aus 27 Staaten seine Klimaziele erreichen will. Die Kritik daran ist vorhersehbar: Brüssel greife in das Leben der Menschen ein, ein angeblich anonymer Beamtenapparat wolle alles kontrollieren und regeln. Dabei setzt die Kommission nur das um, was sie zusammen mit den Mitgliedstaaten und dem EU-Parlament beschlossen hat. Sie ist die erste Behörde, die ein konkretes Maßnahmenpaket benennt, wie die nötige Reduktion von Treibhausgasen zu schaffen ist. Dafür gebührt ihr Respekt. Anderen fehlt dazu bislang die Entschlossenheit, auch und gerade den Parteien im deutschen Wahlkampf. Denn jetzt wird es ungemütlich.

Die Menschheit hat das Problem immer weiter hinausgeschoben

Ziele in ein Gesetz zu schreiben, ist hingegen leicht. 55 Prozent weniger Treibhausgase bis 2030 - wer versteht schon, was das bedeutet? Sobald aber jemand den Kopf aus dem Fenster streckt und erklärt, die Benzinpreise werden steigen, kriegt er oder sie die Knüppel ab. Da geht es der Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock nicht anders als Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der die Gelbwesten-Proteste erlebte. Doch die Zeit des behaglichen "Das wird schon irgendwie" ist vorbei.

Die Auswirkungen der Erderwärmung sind bereits spürbar. Die Temperaturen steigen, daraus folgen Hitzewellen hier, Unwetter und Überschwemmungen dort. Die Gletscher schmelzen, die Arktis schmilzt, es deutet sich ein globales Experiment an mit teils unvorhersehbaren Folgen für das Leben auf dem Planeten. Es ist allerhöchste Zeit, dass die Menschheit reagiert. Sie hat so lange gezögert, bis es wirklich nicht mehr anders geht.

Dabei geht die EU-Kommission mit ihrem Plan erhebliche Risiken ein. Die Wirtschaft wird ächzen unter den Vorgaben; sie zu schützen vor Billigwaren aus Teilen der Welt, wo man nicht so genau auf CO₂-Emissionen schaut, wird schwierig. Aber einer muss anfangen. Und wer, wenn nicht die EU, hat die Kraft dazu. Vor allem jetzt, wo in Washington ein Präsident sitzt, mit dem man über gemeinsame Ziele reden kann.

So viel wird sich gar nicht ändern? Das stimmt einfach nicht

Die schwierigste Aufgabe allerdings wartet womöglich innerhalb der eigenen Grenzen: Wie hält man in den großen Umbrüchen die Gesellschaft zusammen? Ein Wandel in den Bereichen Verkehr und Gebäude greift direkt in das Leben der Menschen ein und verspricht eine Menge Ärger. In Deutschland steht hier vor allem die Union aus CDU und CSU in der Verantwortung als Favoritin dafür, auch künftig das Kanzleramt zu besetzen. Ihr Programm für die Bundestagswahl ist im Bereich Klimapolitik allerdings fast unverschämt vage, die Mannschaft um Kandidat Armin Laschet will bis September nur ja niemanden verschrecken. In Brüssel indes geht nun die Idee eines neuen marktbasierten Emissionshandels mit CO₂-Zertifikaten maßgeblich auf die deutschen Konservativen zurück. Damit könnten die Preise für Benzin, Diesel oder Heizöl bald erheblich steigen. Das Geld soll teils an ärmere Bürger und Regionen verteilt werden und erinnert an das Energiegeld, das die Grünen in Deutschland an die Bürger ausschütten wollen. Ein Wink für eine künftige Koalition?

Im deutschen Wahlkampf verbreitet die Union indes die Botschaft, dass sich so viel gar nicht ändern werde im Leben der Menschen. Das beruhigt die Gemüter. Aber es ist auch gefährlich. Denn es stimmt einfach nicht. Spätestens nach der Wahl im September wartet auch in Berlin der Moment der Wahrheit.

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