Energiepolitik:Die Debatten, die Deutschland in Energiefragen führt, sind absurd

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Mehr davon muss sein: Vielleicht nicht hier, in Sachsen-Anhalt, aber in Bundesländern wie Bayern oder Sachsen. (Foto: Jan Woitas/dpa)

Jahrelang wurden erneuerbare Energien verächtlich gemacht, besonders aus der konservativen Politik. Habecks Ministerium hat alle Hände voll zu tun, um die Sünden der Vergangenheit aufzuräumen - und die Zeit drängt.

Kommentar von Thomas Hummel

Deutschland steht vor einem tragischen Dilemma: Kauft das Land weiterhin Rohstoffe aus Russland, das damit sein Militär und den Krieg finanziert? Oder stellt es die Zahlungen ein und riskiert eine erhebliche Energiekrise im eigenen Land mit Verwerfungen für Industrie und Bevölkerung? Der Ad-hoc-Deal mit den Scheichs aus Katar verdeutlicht die fast verzweifelte Lage. Angesichts dieser Situation erscheinen einige Fragen, die gerade noch die Debatten bestimmten, geradezu absurd.

Etwa die, ob ein 200 Meter hohes Windrad schön ist. Nein, schön ist es wohl nicht. Aber in gewissem Umfang notwendig, um aus der Tragik herauszukommen. 10-H-Regel in Bayern? Sie macht inzwischen sogar die bayerische Wirtschaft nervös. Dass die CSU nicht einmal im Angesicht der aktuellen Lage die Anti-Wind-Regel abschafft und damit ein Zeichen an die Gesellschaft sendet, ist beinahe verantwortungslos.

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Wer weiter in die Tiefen der deutschen Energiegesetze und -verordnungen hinabsteigt, dem wird immer unwohler. Für den Bau eines Windrads sind mehrere Kisten voll Ordner Papierkram nötig. Die Vorgaben zum Artenschutz sind so schwammig, dass Gerichtsverfahren oft jahrelang dauern. Obwohl in den Städten viele Menschen die Grünen wählen, sind hier kaum Photovoltaik-Anlagen zu sehen. Warum? Weil sich Solarstrom auf Mietshäusern kaum lohnt und vielen Hausverwaltungen der bürokratische Aufwand zu groß ist. Es gibt Dutzende, Hunderte Regelungen, die zu beachten sind, will man am Ende nicht scheitern oder ein dickes Minus machen. Der Eindruck ist: Man hat die Energiegewinnung aus Wind und Solar nicht verboten, aber so verkompliziert, dass vielen Leuten die Lust daran verging. Diese Politik stand schon wegen der Klimakrise gegen das nationale Interesse. Durch Russlands Angriff hat das Land nun ein akutes Sicherheitsproblem.

Das alles geht einher mit einer jahrelangen Verächtlichmachung der erneuerbaren Energien vor allem aus der konservativen Politikecke. Bei vielen Bürgern ist da was hängen geblieben und muss erst mal raus den Köpfen. Sinnbild ist das Bundesland Sachsen, wo im vergangenen Jahr genau ein Windrad gebaut worden ist - demontiert wurden elf. Angesichts der enorm steigenden Energiepreise blickt die Republik nun neidisch auf wenige Regionen, wo mutige Lokalpolitiker die Energiewende teilweise trotz großer Widerstände vorangetrieben haben. Und wo heute die Menschen von niedrigeren Strom- oder Heizkosten profitieren.

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Robert Habecks Ministerium hat alle Hände voll zu tun, um die Sünden der Vergangenheit aufzuräumen. Das Potenzial ist riesig. Und muss jetzt ganz schnell gehoben werden. Bei Projekten von Bürgergenossenschaften können sich aktuell längst nicht alle Interessierten finanziell beteiligen, weil sich zu viele bewerben. Investoren stehen Schlange, doch es fehlen Flächen und Genehmigungen. Die Ampelkoalition sollte noch schneller als ohnehin geplant bürokratische Hürden abbauen, um den Deutschen zu ermöglichen, Solar- und Windanlagen zu bauen. Die Energiewende von unten kann und wird einen großen Beitrag liefern.

Doch die Transformation ist komplex. Gefragt ist auch eine Industriepolitik, die die Zukunftsmärkte stärkt, denn sonst schmerzen bald die nächsten Abhängigkeiten. Ein Beispiel: 95 Prozent aller Solarmodule werden in Asien hergestellt. Davon zwei Drittel in China.

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