"Maischberger" zu Ausländer und Arbeitsmarkt:Muckimann gesucht, der Bäume fällen kann

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Jörg Meuthen, Volker Beck, Ulrike Herrmann, Sandra Maischberger, Nicola von Hollander, Christian von Stetten und Arthur Mashuryan (von links) (Foto: WDR/Max Kohr)

"Retten Einwanderer unseren Arbeitsmarkt?", fragt Sandra Maischberger. Volker Beck verweist auf die Geburtenrate und AfD-Mann Meuthen rechnet damit, dass Roboter den Menschen zunehmend als Arbeitskraft ersetzen.

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Zum Thema "Flüchtlinge" und Fremdenhass ist in den Talkshows des deutschen Fernsehens schon so viel gesagt worden, dass man sich kaum vorstellen kann, dass der Gegenstand überhaupt noch in überraschender Weise neu betrachtet werden kann.

Doch wie die aufgeregte Diskussion um die Äußerung von Alexander Gauland über Nationalspieler Jérôme Boateng vom vergangenen Wochenende erst wieder eindrücklich belegte, erhitzt das Thema noch immer die Gemüter wie kaum ein anderes. Der AfD-Vize war mit den Worten zitiert worden: "Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben."

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Sandra Maischberger hatte also Glück, ihren ARD-Mittwochs-Talk unter der Überschrift "Ausländer rein! Retten Einwanderer unseren Arbeitsmarkt?" mit einem Vorfall würzen zu können, der ganz frisch für Aufsehen sorgte.

Zehn wertvolle Sendeminuten werden mit Erwartbarem verschenkt

Mit dem eigentlichen Thema der Sendung hat Gaulands Äußerung zwar nur indirekt zu tun, doch das hielt die Moderatorin nicht davon ab, den geladenen AfD-Vertreter Jörg Meuthen gleich eingangs sehr ausführlich zum Sachverhalt zu vernehmen: "Herr Meuthen, die Kanzlerin hat das niederträchtig genannt, Frau Petry hat sich entschuldigt, Herr Gauland ist inzwischen bei der vierten Version, was er gesagt hat, und was nicht. Und die Fremdenhasser applaudieren. War das eine erfolgreiche Aktion aus Ihrer Sicht?"

Die Frage mündete zehn wertvolle Sendeminuten lang in die vollständig erwartbare Wiederholung des Schaukampfes der vergangenen Tage: Meuthen gab das Unschuldslamm ("Gauland wurde gründlichst fehlinterpretiert"), während Mitdiskutanten wie die taz-Journalistin Ulrike Herrmann oder der Grünen-Parlamentarier Volker Beck Gauland hinterhältiges Kalkül unterstellten ("Ausfallschritt, um rassistische Ressentiments zu bestätigen").

Ob solche Diskussionen in der Endlosschleife dem Zuschauer einen Erkenntnisgewinn in der Sache verschaffen, darf bezweifelt werden. Doch darum geht es gar nicht: Die Sache schlägt im Netz noch immer so hohe Wogen, dass sich die Sendungsmacher die Wiederaufführung dieses Schlagabtauschs offensichtlich nicht entgehen lassen wollten - als Stimmungsmacher zum Einheizen.

Zwischendurch wird noch der Drogenfund bei Volker Beck abgearbeitet

Womit das Pflichtenheft dieses Talks allerdings noch nicht abgearbeitet war. Denn mit Volker Beck saß ein Delinquent in eigener Sache in der Runde. Anfang März waren bei einer Polizeikontrolle Drogen bei ihm gefunden worden, woraufhin es kurz so aussah, als ob seine politische Karriere beendet sei. Zumindest trat er von seinem Ämtern als innen- und religionspolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion zurück.

Inzwischen gilt Beck als weitgehend rehabilitiert. Die Staatsanwaltschaft stellte ihre Ermittlungen unter Auflage einer Zahlung von 7000 Euro ein. Der 55-Jährige ist nicht vorbestraft und Sprecher seiner Fraktion ist er auch schon wieder - jetzt für Religions- und Migrationspolitik. Selbst die Bild-Zeitung fasste den Grünen-Politiker ungewöhnlich verhalten an, als er vor wenigen Tagen wieder in der Öffentlichkeit auftauchte - auf dem Christopher Street Day in Düsseldorf.

Entsprechend souverän bügelte der Sünder die Frage der Moderatorin ab, die wissen wollte: "Herr Beck, haben Sie ein Drogenproblem?" Da müsse sich niemand Sorgen machen, antwortete der Volksvertreter cool. "Wir Politiker sind kein säkularer Heiligenersatz", aber er entschuldige sich bei den Menschen, mit deren Vertrauen er nicht achtsam genug umgegangen sei. Und damit war die Sache erledigt, wohl nicht nur für diese Sendung.

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Längst nicht abgearbeitet war allerdings deren Thema, zu dem Beck in seiner neuen Funktion als migrationspolitischer Sprecher seiner Partei ja eigentlich geladen war: "Retten Einwanderer unseren Arbeitsmarkt?"

Eine einfache Frage, die aber keine einfache Antwort zulässt. Das veranschaulicht allein der Blick in die Schweiz, in der am kommenden Wochenende das Volk über die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens abstimmt. Dessen Befürworter argumentieren, dass die enormen Produktivitätsgewinne der digitalen Revolution menschliche Arbeit weitgehend überflüssig machen werden. Das Einkommen müsse also von der Arbeit entkoppelt werden, weil längst nicht mehr jeder Arbeitnehmer gebraucht werde.

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Dieser Argumentation widersprechen alle jene Mahner, die glauben, dass die durch den demografischen Wandel ausgelöste Überalterung der Gesellschaft das Arbeitsangebot so sehr einschränken werde, dass Migranten diese Lücke auffüllen müssten.

Die demografische Entwicklung spricht für die Flüchtlinge

Entlang dieser Bruchlinie bewegte sich auch die Diskussion bei Maischberger. AfD-Mann Meuthen stellte die zu erwartendenen Produktivitätsgewinne der immer stärkeren Automatisierung ins Zentrum seiner Argumentation. Es stimme daher nicht, dass immer mehr Zuwanderer gebraucht würden, "um die Arbeitskräftenachfrage am Markt bedienen zu können. Und dann kommt noch das ganze Märchen vom Fachkräftemangel."

Den Gegenpol bildeten Volker Beck und vor allem die taz-Journalistin Ulrike Herrmann, die die "extreme demografische Notwendigkeit" beschwor: "Wir brauchen ab 2020 jedes Jahr 500 000 Erwerbsfähige, und das wird selbst die AfD einsehen." Beck wiederum verknüpfte die Demografie vor allem mit einem gewaltigen Bedarf von künftigen Pflegern.

Der CDU-Unternehmer befürchtet "Einwanderung in die Sozialsysteme"

Unentschlossen wirkte dazwischen die Haltung des CDU-Wirtschaftspolitikers und Unternehmers Christian von Stetten, der einerseits konstatierte, dass es in der Seniorenresidenz, die er unter anderem mit betreibe, ohne Migranten in Pflegeberufen nicht mehr gehe. Andererseits konnte er aber nicht stichhaltig begründen, warum sich die Union dann so strikt gegen ein Einwanderungsgesetz wehrt.

Sein Argument "wir haben die Gefahr, dass wir dann Einwanderung in Sozialsysteme kriegen" ließ sich jedenfalls schwer nachvollziehen. Denn ein Einwanderungsgesetz zielt ja immer darauf, Menschen erst ins Land zu holen, wenn sie gebraucht werden und dank ihrer Qualifikation entweder schon einen Arbeitsplatz sicher haben oder zumindest beste Chancen am Arbeitsmarkt.

Seine Beteuerung, Deutschland böte arbeitswilligen Einwanderern alle Möglichkeiten, "wie sogar die OECD bestätigt", widerlegte die NDR-Journalistin Nicola von Hollander glaubhaft mit eigenen Erfahrungen. Monatelang habe sie vergeblich versucht, einen Kosovo-Albaner für die Bewirtschaftung ihrer Familiengüter in Schleswig-Holstein einzustellen. Denn "es ist unmöglich, deutsche Helfer zu finden ... Da war ein Muckimann gesucht, der Bäume fällen kann." Doch damit sei sie an der deutschen Bürokratie gescheitert und in das "Absurdistan des deutschen Föderalismus" geraten.

Meist ging es um die Zukunft, wenig um das Hier und Jetzt

Das war sie, die Stimme vom real existierenden deutschen Arbeitsmarkt für Migranten. Stritten sich die anwesenden Politiker von AfD, Grünen und Union sowie die taz-Journalistin vornehmlich über dessen Zukunft, die wohl keiner von ihnen wirklich vorhersehen kann, so zog auch der Armenier Arthur Mashuryan eine Zustandsbeschreibung im Hier und Jetzt vor, ebenfalls wenig erbaulich.

Mashuryan, als zwölfjähriger Flüchtling ins Land gekommen, hat sich zum Konditormeister mit zehn Beschäftigten hochgearbeitet und fühlt sich trotzdem nicht angenommen: "Ich muss ständig beweisen, dass ich etwas leiste. In Deutschland gibt es keinen Raum für Fremde, sich emotional zu binden." Er werde ständig aufs Äußere und seine schwarzen Haare reduziert. Und damit war die Sendung an ihrem Ende dann doch wieder bei Alexander Gauland und Jérôme Boateng angelangt.

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