Dem Geheimnis auf der Spur:Trunkene Schiffe

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Vor Korsika fanden Taucher in den 90er-Jahren die Überreste eines versunkenen Zisternenschiffs. Der Wein wurde in Tongefäßen transportiert, die bis zu zwei Meter hoch waren. (Foto: Teddy Seguin)

Die alten Römer transportierten große Mengen an Wein mit speziellen Schiffen. Doch wieso waren diese Weintanker nur für so kurze Zeit in Gebrauch?

Von Rudolf von Bitter

Drei korsische Taucher stießen 1992 nördlich des Cap Corse und westlich der unbewohnten Insel La Giraglia in etwa zwanzig Meter Tiefe auf ein Schiffswrack, das wegen des Fundorts Giraglia getauft wurde. 1994 erfolgte eine zehntägige Bestandsaufnahme der Stelle, einer Fläche von annähernd 200 Quadratmetern. Datiert wurde das Wrack auf die Zeitspanne zwischen 15 bis 20 n. Chr.

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Geladen hatte das versunkene Schiff Dolia, bauchige Tongefäße bis zu zwei Meter hoch mit einem Fassungsvermögen von etwa 2200 Litern. Eingegraben sind es Vorratsbehälter wie Zisternen, an Bord gewissermaßen Tanks. Hier waren es mindestens acht davon , dazu möglicherweise vier kleinere Doliola ("Fässchen") und einige spanische Amphoren. Die Taucher hatten ein Zisternenschiff gefundenen, einen Weintanker der Antike. Dass sämtliche Tongefäße sehr stark beschädigt waren, wurde als Indiz für einen heftigen Untergang bei schwerer See gedeutet, wahrscheinlich hatten sich Teile der Ladung gelöst und waren ihren eigenen Fliehkräften gefolgt. Auch dass der Anker ein ganzes Stück weiter westlich entfernt lag, ließ vermuten, die Besatzung habe versucht, mit seiner Hilfe die Turbulenzen zu bremsen, bevor das Schiff mit der Nase voran nach unten sank. So zumindest ließe sich erklären, warum Kiel, Bug und das gesamte hintere Drittel verschwunden waren und die Dolia und die Bruchstücke der Amphoren auf einem Haufen lagen: Die Ladung im Schiffsraum ist aufeinandergepurzelt.

Die Zisternenschiffe verkehrten in der Zeit des römischen Kaisers Augustus

Dass es im Norden Korsikas noch mehr Wracks gibt, liegt unter anderem an den dort typischen Wetterverhältnissen: Hier wirken noch die Ausläufer der katabatischen Winde, ob sie nun Tramontana oder Mistral heißen, und der Libeccio, ein ganzjährig über Nord-Korsika wehender Wind, der heftige Böen und hohen Seegang verursachen kann. Die Seehandelswege von Spanien nach Rom führten zwischen Sardinien und Korsika hindurch. Dieses Schiff folgte offenbar der ebenfalls gewohnten Dreiecksroute von Spanien über Frankreich nach Rom.

Im Jahr 2008 stieß der Unterwasserarchäologe Jean-Michel Minvielle nicht weit von der ersten Fundstelle in etwas mehr als dreißig Meter Tiefe auf die weiteren Überreste eines Schiffs, das dem ersten ähnelte und dessen Ladung auch aus Dolia bestand. Dieses Schiff, benannt als Ouest Giraglia 2, hatte vierzehn Dolia geladen, zwei waren sogar unbeschädigt. Dazu noch etwa fünfzig Amphoren von tarragonischer, also spanischer Herkunft. Neun der Dolia trugen dieselben eingebrannten Stempelabdrücke, wie man sie auch schon bei anderen Wracks gefunden hatte, die etwa bei Saint Raphael oder Diano Marina gesunken waren.

Solche Zisternenschiffe verkehrten in der Zeit des römischen Kaisers Augustus (63 v. Chr. - 14 n. Chr.) und im ersten christlichen Jahrhundert im Handel zwischen Italien, Spanien und Gallien. "Der Wein aus Tarraco/Tarragona fand in der römischen Kaiserzeit von allen spanischen Weinen das höchste Lob", vermerkt die Webseite des Limesmuseums in Aalen. Die Stempel auf den Dolia verweisen auf einen einzigen Herkunftsort, auf die Familie Pirani in Minturnae, heute eine archäologische Sehenswürdigkeit zwischen Rom und Neapel, etwa 50 km südlich von Terracina. Unter Augustus, der hier Veteranen ansiedelte, erlebte der Ort einen bemerkenswerten Aufschwung, auch durch den Weinhandel, sodass der Weintransport wohl von hier ausgegangen sein könnte. An der Mündung eines schiffbaren Flusses gelegen, mit Waldungen im Hinterland und einem eigenen Seehafen erfüllte Minturnae alle Voraussetzungen für Handel und Schiffbau. Die Dolia fürs Römische Reich wurden sogar allein hier produziert.

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Die riesigen Tongefäße mit dem Wein waren ziemlich empfindlich

Zunächst war es für die Forscher wohl enttäuschend, dass wegen des heftigen Untergangs fast alle Konstruktionselemente des Schiffs verloren waren. Immerhin fanden die Archäologinnen Sabrina Marlier und Patricia Sibella heraus, dass es sich bei der Giraglia 1, und auch bei der später entdeckten Giraglia 2, um einen neuartigen Schiffstyp handelte. Anhand der erhalten gebliebenen Planken, Spanten und der Länge der bleiernen Rohre des Pumpsystems schlossen sie auf 20 Meter Länge und 6,60 Meter Breite, eine mittlere Größe, vergleichbar mit anderen Zisternenschiffen. Ungewöhnlich war aber die Dichte der Spanten und die weitgehende Verwendung von Eiche und Ulme, was auf die Einplanung besonders schwerer Lasten schließen lässt. Wegen dieser Belastung war der Schiffskörper unten relativ flach, denn mit zu viel Tiefgang wäre ein solches Schiff bei voller Last für manches Hafenbecken ungeeignet gewesen.

Eine solche Bauweise war aber nicht ungefährlich. Tiefgang allein ohne Kiel schützt nicht vor den Kräften, mit denen Stürme auf das Schiff und seine Aufbauten einwirken. Außerdem bestand bei den riesigen Tongefäßen die Gefahr, dass schon eine leichte Beschädigung über 2000 Liter in den Laderaum fließen lassen und das Schiff destabilisieren konnte. Auf viele kleinere Amphoren verteilt, bliebe diese Gefahr überschaubar. Vermutlich überwog in den Augen der Händler aber der Vorteil der riesigen Dolia anstelle vieler Amphoren. Das Risiko wurde wohl bewusst in Kauf genommen für den wirtschaftlich besseren Ertrag.

Nach allem, was man bisher weiß, bleiben die ungewöhnlichen Zisternenschiffe aber eine Erscheinung des 1. Jahrhunderts. Warum sie verschwanden, lässt sich anhand der Wracks nur vermuten. Lag es an der mangelnden Stabilität auf hoher See, wollte man also doch lieber keine Verluste mehr riskieren? Oder fanden sich für diese gefährlichen Boote keine Mannschaften mehr? Wurde die Nachfrage nach Wein geringer? Oder erlosch allmählich die kaiserliche Gunst und litt darunter auch die Schiffsindustrie von Minturnae? Ausschlaggebend für den Niedergang (Untergang wäre ein Kalauer) der Zisternenschiffe dürfte auch die zunehmende Verbreitung der Fassbinderei gewesen sein. Plinius der Ältere berichtete von dieser Technik der Gallier. Fässer sind im Transport und beim Verstauen im Schiffsbauch leichter zu handhaben und sind, anders als Tongefäße, nicht zerbrechlich.

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