Dem Geheimnis auf der Spur:Der Visionär

Dem Geheimnis auf der Spur: Die "Nautilus", wie sie ein Illustrator im Jahr 1874 sah.

Die "Nautilus", wie sie ein Illustrator im Jahr 1874 sah.

(Foto: imago images/Kharbine-Tapabor)

In seinem Roman-Klassiker "20 000 Meilen unter dem Meer" beschrieb Jules Verne ein erstaunlich modernes U-Boot. Wie konnte er die Zukunft so genau vorhersagen?

Von Josef Schnelle

Wenn man Jules Vernes mehr als 60 Abenteuerromane aus dem 19. Jahrhundert, vollgepackt mit technischen Neuerungen, bestaunt, dann vergisst man gerne, dass die Menschen damals noch mit Kutschen herumfuhren und abends bei Kerzenlicht, Petroleum- oder Gaslampe die Zeitung lasen. Es existieren zwar schon erste Dampflokomotiven und auch vereinzelte elektrische Straßenbeleuchtungen, allerdings noch mit Kohlebogenlampen. Auch Unterseeboote hat es schon gegeben, bevor Jules Vernes Captain Nemo seine Nautilus 1869 im Fortsetzungsroman "20 000 Meilen unter dem Meer" vom Stapel ließ. Aber sie waren noch sehr primitiv.

Einer der markantesten Vorgänger des geheimnisvollen Unterseefahrzeugs hieß genau wie das Romangefährt Nautilus und wurde von Robert Fulton schon 1801 in Le Havre an der Seine-Mündung zu Wasser gelassen. Das U-Boot wurde über eine primitive Handkurbel angetrieben, konnte viereinhalb Stunden 7,6 Meter tief mit einer Drei-Mann-Besatzung beim Schein von zwei Kerzen im Innenraum tauchen. Es war also ein rein experimentelles Fahrzeug.

Das U-Boot war siebzig Meter lang und technisch ausgereift

Ganz anders das nach diesem Vorbild benannte Roman-U-Boot von Jules Verne, dem dort mehr Zeilen gewidmet sind als den handelnden Personen. Das extrem glatte, zigarrenförmige U-Boot gleitet schnell und wendig wie ein Delfin - wie es im Roman an einer Stelle heißt - durch die Tiefen der Ozeane. An dieser Stelle muss auch das häufige Missverständnis beim Titel aufgeklärt werden. Bei den "Meilen" handelt es sich im Originaltitel um das französische Längenmaß "Lieues", also umgerechnet um 80 000 Kilometer unter den Meeren. Damit ist also nicht die Tiefe gemeint, sondern eine Reise zweimal um die Erde.

Die Nautilus ist ein technisch ausgereiftes Boot von siebzig Meter Länge. Es ist acht Meter breit, hat mehrere Decks, eine moderne Taucherschleuse an der Unterseite und Panoramafenster im Salon. Mit seinen 25 Mann Besatzung und dem rätselhaften Anführer Nemo und einer Bibliothek von 12 000 Bänden wirkt es eher wie eine Art Arche für Zivilisationsflüchtlinge. Nemos Geheimnisse werden erst im Roman "Die geheimnisvolle Insel" von 1874 ein wenig gelüftet. Der Antrieb des Bootes ist vollkommen elektrisch, wobei die Energie - etwas nebulös beschrieben - mit einer Art Brennstoffzelle aus dem Meerwasser gewonnen wird. Besonders die komplette Elektrifizierung des Luxusbootes mit Orgel und formschönen modernen Deckenlampen war zum Zeitpunkt des Erscheinens des Buches undenkbar, weshalb Jules Verne zwar nicht als Erfinder der Idee eines U-Bootes gilt, aber sehr präzise das Konzept eines modernen Tauchbootes voraussah.

Zigarrenförmig wurden die U-Boote generell erst Anfang des 20. Jahrhunderts gestaltet, und die aufwendige Ausstattung im Inneren der Nautilus haben U-Boote, weil fast ausschließlich als Militärgerät genutzt, bis heute nicht erreicht. Doch die Taucherschleuse wie von Verne beschrieben ist heute Realität, genauso wie der Elektroantrieb - allerdings durch Atomkraft, die nur bei der Disney-Verfilmung des Stoffes 1954 von Richard Fleischer als Energiequelle angegeben wird. Die konventionellen Diesel-Motoren von U-Booten werden inzwischen durch Brennstoffzellen ergänzt, deren Prinzip 1869 schon entdeckt war, die aber erst heute als Zukunftstechnologie gelten.

Jules Verne hielt seine wegweisenden Ideen auf 20 000 Zetteln fest

Wie erklärt sich aber das Geheimnis der Schöpferkraft des Science-Fiction-Erfinders Jules Verne, der so viel derart elegant voraussehen konnte? Das Grundprinzip seiner neuartigen Wissenschaftsromane war gründliche Recherche. So saß er viele Tage lang in Bibliotheken und las sämtliche Berichte über Neuigkeiten der Ingenieurskunst, der Geologie und Astronomie, kommunizierte sogar zu speziellen Fragen mit einzelnen Wissenschaftlern. Seine Ideen hielt er auf mehr als 20 000 Zetteln fest, die nur deshalb nicht erhalten sind, weil er sie stets vernichtete, nachdem er sie benutzt hatte. Immer wieder gefragt, ob er der "Erfinder" etwa des U-Bootes sei, beschrieb er 1902 seinen Beitrag zur Entstehung großer Erfindungen in einem Interview in aller Bescheidenheit so: "Als ich in meinen Schriften von diesen wie von tatsächlichen Dingen gesprochen habe, da waren sie zur Hälfte schon gefunden. Ich habe lediglich eine Fiktion aus dem entwickelt, was in der Folge zur Tatsache werden musste."

Viele spätere U-Boot-Entwickler beriefen sich allerdings später ausdrücklich auf die Anregungen, die Verne ihnen mit seinen Romanen gegeben habe. Teile seines Unterwasserromans schrieb Verne auf seinem eigenen Segelboot Saint-Michel, mit dem er an der Küste entlangschipperte. Auf der Pariser Weltausstellung 1867 sah er die neu entwickelten Tauchanzüge. Vor allem aber bekam er durch den eindrucksvollen grottenartigen Rundbau, in den Fenster zu Meerwasser-Aquarien eingelassen waren, die Idee zu den Panoramafenstern der Nautilus, durch die man das Theater des Meeresgeschehens unter Wasser genießen kann.

Jules Verne ist aber auch stets der Verkünder einer neuen, besseren Zukunft. Gegessen wird deshalb ausschließlich direkt aus dem Meer - zum Beispiel Marmelade aus Seeanemonen und zum Nachtisch Walfischmilch. Und in "Die geheimnisvolle Insel", dem zweiten Roman mit einem Auftritt von Nemo und seiner Nautilus, schwärmt der Ingenieur Cyrus Smith von der Zukunft der Energieversorgung: "Ich bin davon überzeugt, meine Freunde, dass das Wasser dereinst als Brennstoff Verwendung findet, dass Wasserstoff und Sauerstoff, die Bestandteile desselben, zur unerschöpflichen und bezüglich ihrer Intensität ganz ungeahnten Quelle der Wärme und des Lichtes werden."

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