Skitouren gehen mit Nils Wülker:"Ich ruhe in mir, wenn ich in den Bergen bin"

Lesezeit: 6 min

Seine Welt sind die Berge - und die Musik: Jazz-Trompeter Nils Wülker. (Foto: Titus Arnu)

Der Trompeter Nils Wülker ist einer der produktivsten und erfolgreichsten deutschen Jazzmusiker. Neben dem Trompetespielen zieht es ihn regelmäßig in die Berge. Auf Skitour mit einem Mann, der für beides ganz schön viel Puste hat.

Von Titus Arnu

Hinab in die Hölle! Was für andere furchterregend klingt, ist für Nils Wülker ein großer Spaß. "Also, dann!", sagt er, rückt Helm und Sonnenbrille zurecht, stößt sich mit den Stöcken ab und rutscht schräg in den Steilhang. Unterhalb des Hölltors ist der Schnee hart wie Beton, weiter unten sieht man die festgefrorenen Brocken einer Nassschneelawine vom Vortag. Kein Problem: Nach dem vereisten Übergang vom Joch in die Scharte gibt Wülker Gas und zischt mit weiten Schwüngen ab. Selten hat der Begriff "Höllentempo" so gut gepasst wie in diesem Moment.

Die "Hölle" ist ein eindrucksvoller Kessel in den Mieminger Bergen, umgeben von den steilen Wänden des Grünsteins, der Wankspitze und des Höllkopfs. Wahrscheinlich heißt die Geländeformation so, weil es dort oft Steinschlag und Lawinen gibt, doch Nils Wülker fühlt sich in der Hölle wie im Himmel. Besonders an diesem strahlend schönen Wintertag, der ideal ist für eine landschaftlich spektakuläre Skitour von Biberwier aus: die Grünstein-Umfahrung mit drei Aufstiegen und vier Abfahrten durch Kare und Steilrinnen. Der Lawinenlagebericht ist optimal, niedrigste Warnstufe, auf der beliebten Skirunde ist unter der Woche wenig los. Ideal also, um in den Bergen den Kopf frei zu kriegen.

Der Trompeter Nils Wülker ist einer der erfolgreichsten und produktivsten Jazzmusiker Deutschlands, er hat 13 Alben veröffentlicht, mit einem breiten Spektrum an Einflüssen von Soul über Hiphop bis Klassik. Sein Album "Closer", ein Duo-Projekt mit dem Gitarristen Arne Jansen, schaffte es auf Platz 1 der deutschen Jazz-Charts. Er ist ständig unterwegs, gibt 30 bis 40 Konzerte im Jahr, tüftelt wochenlang im Studio, arbeitet mit Stars wie Gregory Porter, Ute Lemper und Marteria zusammen. Zum Ausgleich geht er am liebsten raus in die Natur: "Ich ruhe in mir, wenn ich in den Bergen bin. Die Musik ist dann ganz weit weg."

Berge ziehen ihn magnetisch an: "Wenn ich einen Gipfel sehe, habe ich das Gefühl, ich muss da hoch." (Foto: Titus Arnu)

Beim Aufstieg in Richtung Grünsteinscharte zieht Wülker ruhig und rhythmisch seine Zickzackspur. Schlanke Statur, muskulöse Beine, kaum Ermüdungserscheinungen: Dem Mann ist anzusehen, dass er sehr gut trainiert ist. Er ist aber kein Angeber und wartet freundlicherweise immer wieder auf seinen Begleiter. Zwischendurch hat er genug Luft, um Fragen zu beantworten, er spricht mit ruhiger, freundlicher Stimme und präzise gesetzten Worten über seine beiden großen Leidenschaften, die Musik und die Berge. Seine geschmeidige Art, sich auf Ski zu bewegen und dabei zu reden, entspricht dem, was Musikkritiker an seinem Trompetenspiel loben, das sich durch "beeindruckende Technik", "melodische Raffinesse" und "emotionale Tiefe" auszeichne.

Seine Liebe für Berge entdeckte Wülker noch vor der Liebe zur Musik. Er wurde 1977 in Bonn geboren, wo er das Aloisiuskolleg besuchte, eine Jesuitenschule, auf die auch der sechs Jahre ältere Jazztrompeter Till Brönner ging. Brönner, der längst als erfolgreichster deutscher Jazzmusiker gilt, spielte damals in der Schul-Big-Band, doch Nils Wülker interessierte sich zu der Zeit überhaupt nicht für Jazz: "Ich war als Teenager Radio-Pop-Hörer." Während der Schulzeit hatte er zwar klassischen Klavier- und Trompetenunterricht, seine Ambitionen waren aber eher sportlicher Natur. Die Familie fuhr in den Ferien meist zum Wandern, Skifahren und Bergsteigen in die Alpen. Eine wichtige Anlaufstelle war für ihn seine Oma, die in einem Weiler am Forggensee wohnte, mit Blick auf die Ammergauer und Lechtaler Alpen.

Die erste größere Tour machte er mit dem Freund, als er 15 war

Ein etwas älterer Schulfreund nahm Nils Wülker schließlich zum Sportklettern mit, als er 14 Jahre alt war. Die erste größere alpine Tour machte er mit dem Freund, als er 15 war, später nahm er sich alpine Klassiker wie den anspruchsvollen Innominata-Grat am Montblanc vor, meisterte die Meije-Überschreitung und den Grand Capucin sowie Routen bis zum Schwierigkeitsgrad 7a. Die Haute Route, eine konditionell fordernde Skidurchquerung der Walliser Alpen von Zermatt nach Chamonix, unternahm er zu zweit mit seiner Frau Janine, die seine Bergleidenschaft teilt. Sie begleitet ihn gerne zum Wandern, Klettern und Skifahren, beim Eisklettern bleibt sie hingegen lieber daheim.

Berge ziehen ihn magnetisch an: "Wenn ich einen Gipfel sehe, habe ich das Gefühl, ich muss da hoch." Glücklicherweise verlief seine künstlerische Karriere ähnlich steil und rasant wie eine Speed-Besteigung der Eiger-Nordwand. Gleich sein erstes Album "High Spirits", das er 2002 während des Musikstudiums in Berlin selbst aufnahm, wurde von Sony Music veröffentlicht, er war der erste deutsche Jazzmusiker bei dem Label. Es folgten Zusammenarbeiten mit E.S.T. Symphony, Max Mutzke und Klaus Doldinger. Wülker wurde unter anderem mit dem Echo Jazz und mehreren German Jazz Awards ausgezeichnet. Sein Erfolg erlaubt es ihm im Gegensatz zu anderen Musikern, auf kommerzielle Zusatzprojekte wie Filmmusik, Werbung und das Unterrichten zu verzichten, er kann sich ganz auf eigene Kompositionen konzentrieren. Derzeit ist er mit seinem Duo-Partner Arne Jansen auf Tour; am 2. März treten die beiden im Münchner Prinzregententheater auf.

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Da er freiberuflich arbeitet, kann er dem inneren Bergdruck ziemlich oft nachgeben. 40 bis 50 Tage pro Saison steht er auf Skiern, dazu kommen noch viele Stunden beim Klettern in der Halle oder an Felswänden, beim Wandern, Bergsteigen und Mountainbiken. Am liebsten ist er steil und schnell unterwegs, es ist eher Skibergsteigen als Skitourengehen, was er da betreibt. Auch die "Neue Welt", eine bis 45 Grad steile Freeride-Tour an der Zugspitze mit fast 2000 Höhenmetern und einer 60-Meter-Abseilstelle, hat er schon geschafft.

Die Berge haben auch einen Einfluss auf Wülkers künstlerisches Schaffen. Auf dem Cover des Albums "Continuum", das er 2021 komponiert und zusammen mit dem BR-Rundfunkorchester eingespielt hat, sind die Südwände von Auguille Vertes, Les Droites und Les Courtes zu sehen. Ein Titel darauf heißt "Landscape", ein anderer "Retrace your Steps". Auf anderen Alben finden sich Stücke mit Titeln wie "Wanderlust", "Uphill", "A Fine Line", "First Sight of Snow", "Pull of the Unknown" und "Conquering the Useless". Letzteres ist ein Zitat von Reinhold Messner und der Titel eines Buches von Werner Herzog. Die Eroberung des Nutzlosen, die Anziehungskraft des Unbekannten, die Faszination für eine schöne Linie, Schnee und Spuren, all das sind Themen, die sich in Wülkers Musik widerspiegeln - auch wenn das beim ersten Hinhören kaum erkennbar ist.

Wenn er klettert, wandert oder Ski fährt, denkt er nicht an Musik

Trompete spielen und Bergsport haben auf den ersten Blick wenig gemeinsam, auch für Nils Wülker sind es getrennte Welten. Wenn er klettert, wandert oder Ski fährt, denkt er nicht an Musik und hat auch keine Melodien im Kopf, und wenn er Musik macht, denkt er nicht an die nächste Bergtour. Beim Komponieren lässt er seine Gedanken frei fließen, Assoziationen zu den Bergen kommen ihm erst hinterher. Dennoch gebe es da eine Parallele: "Beides sind Aktivitäten, bei denen ich komplett im Hier und Jetzt bin", sagt Wülker, "da verschwindet dann alles andere." Zudem braucht man zum Trompetenspielen ebenso viel Puste wie für eine Skitour.

Im vergangenen Jahr verletzte er sich beim Skifahren an der Schulter, direkt vor dem Tourstart zum Album "Closer". Die Bänderzerrung machte das Trompetespielen mühsam, aber als er auf der Bühne stand, waren die Schmerzen plötzlich wie weggeblasen, im wörtlichen Sinn. Und umgekehrt fällt geistiger Stress von ihm ab, wenn er in den Bergen unterwegs ist. Nach der langen Tagestour rund um den Grünstein fühlt sich Nils Wülker nicht leer, im Gegenteil: "Ich komme aus den Bergen meistens mit geladenen Akkus zurück, vor allem mental."

Damit hat er seinem E-Auto klar etwas voraus. Auf der Rückfahrt hinter Garmisch-Partenkirchen braucht es dringend Saft. Die zehnminütige Ladepause in Oberau ist eine angenehme Entschleunigung an diesem Tag. Der Himmel färbt sich lila, die Ladesäule summt beruhigend. Der Moment fühlt sich an wie Wülkers Titel "Beyond the Bavarian Sky" - entspannend und energetisierend zugleich.

Keine Leidenschaft ohne Utensilien! Diese drei Dinge braucht Nils Wülker fürs Skitourengehen:

Die Skier

(Foto: Titus Arnu)

"Das sind nicht meine einzigen Skier, aber bei diesen habe ich das Gefühl, jede Tour damit angehen zu können. Sie haben auch Reserven für höheres Tempo oder schwierigere Verhältnisse. Ich komme in steilen, vereisten Abschnitten ebenso gut zurecht wie im Harsch oder im Sulzschnee. Und ich verbinde viele schöne Erlebnisse mit ihnen - manchmal war ich sogar noch im Juni damit in nordseitigen Rinnen unterwegs."

Die Steigfelle

(Foto: Titus Arnu)

"Felle sind ein unscheinbares, aber unverzichtbares Zubehör bei Skitouren. Man will eigentlich nur, dass sie gut halten und gut gleiten - ein undankbares Produkt, weil man sie nur bemerkt, wenn sie nerven."

Die Sicherheitsausrüstung

(Foto: Titus Arnu)

"Diese Gegenstände gehören bei jeder Skitour in den Rucksack: Lawinenverschüttetensuchgerät zum Auffinden von verschütteten Personen, Sonde zum Sondieren des Körpers unter dem Schnee, Schaufel zum Ausgraben. Wichtig ist natürlich, dass man ihre Anwendung in einem Kurs lernt und immer wieder übt. Das Schönste an diesem Equipment ist, dass ich es noch nie für den Ernstfall benutzen musste."

Klavierspielen mit Heiner Lauterbach , Karaoke singen mit Laura Karasek , Meditieren mit Hannes Ringlstetter : Weitere Folgen von " Meine Leidenschaft " finden Sie hier .

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