Favoriten der Woche:Der interessanteste Hass der Stunde

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Famos rotzig: "So Good". (Foto: So Good/ Youtube)

Die britische Band "So Good" ätzt sich gerade auf Tiktok in die Herzen. Diese und weitere Empfehlungen der Woche aus dem SZ-Feuilleton.

Von Jakob Biazza, Harald Eggebrecht, Stefan Fischer, Jörg Häntzschel und Andrian Kreye

Pop: "I Hate it Here" von So Good

Frei von der Leber weg: "Wir hatten den bislang schlechtesten Premierminister! Und dann hatten wir den bislang schlechtesten Premierminister! Und jetzt haben wir den bislang schlechtesten Premierminister!" Und der Pop? Trällert dusselige Liebeslieder. Deshalb haben die schwer zu ergoogelnden (gerade bei Instagram: viel Food-Content) Tiktok-Lieblinge So Good den Kanal für den Moment recht voll und teilen das im famos rotzigen Post-Punk-Proto-Irgendwas-Polit-Brett "I Hate It Here" mit. Der Song klingt, als hätten Wet Leg sich in den seidigen Laken eines teuren Hotels mit den Sleaford Mods gepaart und das Kind dann gemeinsam schlecht erzogen. Also enorm toll. Bislang gibt es nur ein paar weitere Singles von den Britinnen, aber wenn wir einen Vorschlag machen dürfen: "The Worst Of" wäre ein toller Titel für ein Album. Jakob Biazza

Film: Quentin Dupieux auf Mubi

Ein einäugiger Polizist in Quentin Dupieux' Film "Die Wache", der jetzt im Stream zu sehen ist. (Foto: Quentin Dupieux)

Ein Reisebüro, in dem es pausenlos regnet. Eine Fliege im Kofferraum, die so groß ist wie ein Kind. Ein Autoreifen, der sich an den Menschen rächt. Ein Cop, der mit einem Technotrack groß rauskommen will und zum Termin beim Produzenten einen versehentlich angeschossenen Halbtoten mitnimmt. Wer die Filme von Quentin Dupieux ansieht, fünf von ihnen zeigt der Arthouse-Streamingdienst Mubi gerade in einer kleinen Retrospektive, kann sich kaum retten vor dem Feuerwerk aus unfassbaren, absurd-surrealen Ideen des französischen Multitalents.

Die Filmkarriere ist schon seine zweite. Vor 20 Jahren war er als Mr. Oizo ein Star der französischen Techno-Szene. Sein minimalistischer Track "Flat Beat" schaffte es in mehreren Ländern auf Platz 1 der Dance-Charts und mitsamt seinem Protagonisten, der gelben Muppets-Puppe Flat Eric, sogar in die Levi's-Werbung.

Filme drehte Dupieux schon als Kind, dann kamen die Musikvideos, und seit 2007 haut er fast jedes Jahr ein neues Anarcho-Meisterwerk heraus. Sie sind eher lose gestrickt, schnell und mit wenig Geld produziert, aber genau das macht ihren unwiderstehlichen Charme aus. Und wenn sich die Plots gelegentlich im Wildwuchs von Dupieux' Ideen verheddern, dann halten seine unerschöpfliche Inspiration, seine mysteriösen Soundtracks und die fantastische Ausstattung durch Dupieux' Lebensgefährtin Joan Le Boru die Chose zuverlässig zusammen. Man kann sich an der brutalistischen Architektur, den bizarren Bürowelten und dem orangensaftfarbenen Licht kaum sattsehen. Dupieux hat länger in den USA gelebt. Der Witz seiner frühen Filme rührt unter anderem vom fremden Blick auf die neurotische Kultur L.A.s her. Doch seine Rückkehr nach Paris hat auch ihr Gutes. Die großen französischen Schauspieler-Namen fliegen ihm nur so zu. Sein bisher aberwitzigster Film ist der ebenfalls auf Mubi gezeigte "Le Daim", in dem der herrlich sonore Oscar-Gewinner Jean Dujardin seine Frau und sein altes Leben verlässt. Er verliebt sich nicht etwa in die Kellnerin der Provinzpension (Adèle Haenel), sondern in seine neue Lederjacke. Das kann nicht gut ausgehen. Jörg Häntzschel

Hörspiel: Hugo von Hofmannsthal auf SWR2

Hier dem Stadium der Präexistenz schon längst entronnen: der Dichter Hugo von Hofmannsthal. (Foto: dpa)

Mehr als ein halbes Jahrhundert alt waren diese Dramen und Erzählungen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs; deren Autor seit einem Vierteljahrhundert tot. Nichtsdestotrotz haben Hörspielredakteure in den Fünfzigern etwas für ihre Zeit Maßgebliches in den Werken Hugo von Hofmannsthals entdeckt. Allein die Vorläufer des SWR haben in diesem Jahrzehnt mehr als ein halbes Dutzend Hofmannsthal-Hörspiele inszeniert: bekanntere Stoffe wie "Brief des Lord Chandos", aber auch neu zu Entdeckendes wie "Der Abenteurer und die Sängerin" oder "Der Tor und der Tod". Jetzt, zum 150. Geburtstag Hofmannsthals, gibt es sieben dieser selten gesendeten Inszenierungen in einer langen Hörspielnacht (SWR 2, Samstag, 27. Januar, von 23 Uhr bis 6 Uhr am kommenden Morgen), anschließend sind sie in der Audiothek abrufbar. Bei aller Unterschiedlichkeit sind es Stücke über die Verlassenheit des Menschen und das Ringen um die Identität. Stefan Fischer

Klassik: Strawinskys Violinkonzert

Stravinsky, Bartok, Martinu, Frank Peter Zimmermann - Violin Concerto / Rhapsodies 1 And 2 / Suite Concertante , Méditation (Foto: BIS)

Igor Strawinsky wurde in seinen späten Jahren einmal gefragt, wieso er doch noch Stücke in Zwölftontechnik schreibe, obwohl er sich früher deutlich von dieser Kompositionstechnik distanziert habe. Der alte Meister antwortete entwaffnend einfach: "I like to compose!" In seiner Stilvielfalt und Ausprobierlust ist Strawinsky wohl am besten mit Pablo Picasso zu vergleichen, der ja auch ohne Scheu vor Kritik oder Ablehnung jeden künstlerischen Weg erkundete.

Schon Strawinskys neoklassizistische Phase in den 1920er-Jahren wurde als Abkehr von und Verrat an der Moderne scharf kritisiert. Nun, seine kompositorische Kraft und unverkennbare Eigenart hat sich dagegen stets durchgesetzt bei Musikern und Zuhörern, siehe etwa das wahrlich antiromantische Violinkonzert von 1931. Frank Peter Zimmermann hat das Stück ein "Brandenburgisches Konzert der Moderne" genannt, in dem das groß besetzte Orchester und die obligate Solovioline zu einer fesselnden, rhythmisch knisternden Kammermusik der witzigsten und pointiertesten Art verflochten sind. Allerdings muss sie auch so reaktionsschnell, hellwach und geistesblitzend gespielt werden wie von Zimmermann und den Bamberger Symphonikern unter Jakub Hrůša. Plötzlich schimmert da in den beiden Mittelsätzen, den Arias, dann doch ein Hauch von bewegendem Violinsentiment durch, weil Zimmermanns Tongestaltungskunst das absichtslos zulässt.

Die anderen Stücke, Béla Bartóks zwei Rhapsodien und Bohuslav Martinůs Suite concertante, strahlen vitale Virtuosität aus und zeigen, wie rhythmische Strukturen aus ungarischer oder böhmischer Volksmusik in komplexe Musikstrukturen verwandelt werden, ohne die Ursprünge zu verraten. Bartóks Rhapsodien entstanden Ende der Zwanzigerjahre, Martinůs leider nur selten gespielte Suite concertante 1944. Der Weltgeiger Zimmermann und die Bamberger unter Hrůša zeigen, wie originell und raffiniert diese volksmusikalisch inspirierten Partituren sind. Bei der Suite concertante hört man wie von ferne auch Strawinskys Konzert mit durch; Martinů war zweifellos davon beeindruckt und schrieb die Suite für jenen Geiger, dem Strawinskys Stück gewidmet war: Samuel Duschkin. So ist diese tolle CD auch eine Hommage an diesen großen Geiger. Harald Eggebrecht

Magazin: Whole Earth Catalogue

Erde aus dem All: Cover des "Whole Earth Catalogue" von 1972. (Foto: Wikimedia)

Lange, bevor das Internet sämtliche Ideen und Produkte mit ein paar Mausklicks verfügbar machte, kamen in San Francisco ein paar Hippies zusammen und gaben einen Katalog heraus, der all die Werkzeuge, Bücher und Visionen für ein Leben in der Zukunft bündelte. Das reichte von Tipps für Schreinerwerkzeuge über Norbert Wieners "Cybernetics" bis zu Werken über die sozialen Experimente der Kibbuzim. Der Aktivist und Autor Stewart Brand hatte sich das ausgedacht. 1968 erschien die erste Ausgabe. Apple-Gründer Steve Jobs nannte das Magazin "das Internet vor dem Internet". Jetzt kann man sämtliche Ausgaben bis zum Ende 2002 nachlesen. Das Internet Archive hat sie gescannt und ins Netz geladen. Ein grandioser Blick in das Zukunftsdenken einer grundoptimistischen Vergangenheit. Andrian Kreye

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:Verhör ohne Wiederkehr

Kafkaesk: Quentin Dupieux' Film "Die Wache" erschafft eine Fantasiewelt, aus der es kein Entkommen gibt.

Von Philipp Stadelmaier

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