Neue SZ-Serie: Die grüne Frage:Ökologie ist Notwehr

Lesezeit: 6 Min.

Die Empörung des Wutbürgers verraucht - doch der grüne Glaube bleibt: Die kleinen Schritte im Alltag schaffen in der Masse den gesellschaftlichen Druck, der die Welt verändert. Was die Grünen mit dem Christentum verbindet.

Andrian Kreye

Zum ersten Mal werden die Grünen ein großes Bundesland regieren. Die einstige Protestpartei ist im Kern des Bürgertums angekommen. Wie aber passen grüne Politik und grüne Lebensführung im heutigen Kapitalismus zusammen? Ist, wie nach der Baden-Württemberg-Wahl an dieser Stelle behauptet wurde, "die Stunde der Heuchler" gekommen? Oder lässt sich der ökologische Umbau mit Wohlstand und Wachstum verbinden? Das SZ-Feuilleton debattiert über Nachhaltigkeit, Zukunft und grüne Werte - von nun an unter www.sueddeutsche.de/gruen .

Solarenergie im Vatikan: Der kleinste Staat der Welt bezieht seit 2008 einen Teil seines Stroms aus der Kraft der Sonne. (Foto: SolarWorld)

Ökologie ist eigentlich keine Frage der Perspektive. Doch wenn man die Stadt Rom auf einem Satellitenbild betrachtet, entdeckt man gleich neben dem Petersdom eine silbrig schillernde Wellenform, die nicht so recht ins Ensemble des Vatikans passen will. Es handelt sich dabei um die vatikanische Audienzhalle, die der Bauingenieur Pier Luigi Nervi bis 1971 für Papst Paul VI. errichtete. Das silbrig Schillernde sind 2400 Sonnenkollektoren, die dort vor zwei Jahren angebracht wurden. Zwar waren die Kollektoren das Geschenk eines deutschen Solarenergiekonzerns, doch es handelt sich hier keineswegs um ein werbeträchtiges Symbol, sondern um einen Aufbruch.

Seit 2007 hat der Vatikan den Ehrgeiz, der erste kohlenstoffneutrale Staat der Erde zu werden. Treibende Kraft des Vorhabens ist Staatsoberhaupt Benedikt XVI. selbst. 2009 widmete er in seiner Enzyklika "Caritas in Veritate" einen beachtlichen Teil der Verpflichtung der Menschen für die Umwelt. Dieser grüne Kern des Christentums hat nun mit den Wahlen in Baden-Württemberg eine neue Bedeutung bekommen.

Handelt es sich beim designierten ersten grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann eben nicht um einen kämpferischen Umweltpolitiker, sondern um einen bedächtigen Katholiken, den die Gemeinsamkeiten zwischen grüner Theologie und grüner Politik seit Beginn seiner politischen Laufbahn geprägt haben.

Wut verraucht - Glaube bleibt

Die Parallelen sind nicht neu. Die Bewahrung der Schöpfung war nicht erst seit dem ersten Tierschützer Franz von Assisi ein Thema des Christentums. Die verschiedenen Konfessionen und auch die Weltreligionen ähneln sich in dieser Hinsicht. Genau das aber könnte für die Union und ihre Koalitionspartner so gefährlich und für die Bundesrepublik so wichtig sein. Wenn sich die Ökologie nicht mehr als streitbare Bewegung in der Tradition des Protests und der außerparlamentarischen Opposition versteht, sondern als Vertreter konservativer Urwerte, so verblassen all die Wutbürgerphänomene, die derzeit die deutsche Politik so amüsant durcheinanderbringen. Wut verraucht. Glaube bleibt.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, womit sowohl der Glaube als auch das grüne Bewusstsein zu kämpfen haben.

Die Grünen
:Grüne Achterbahnfahrt

Einst waren sie Öko-Sonderlinge, friedensbewegte Exoten, weit entfernt vom politischen Establishment. Nach den Triumphen im Frühjahr 2011 dachte man schon, die Grünen seien auf dem Weg zur Volkspartei. Nun befinden sie sich im freien Fall. Die wechselhafte Geschichte der Grünen in Bildern.

in Bildern

Nun muss man sicherlich die inneren Widersprüche der Kirchen außer Acht lassen, die regressive Sexualpolitik zum Beispiel, die präkopernikanischen Vernunftbegriffe und den allumfassenden Machtanspruch des Glaubens. Was die grüne Theologie aber mit sich bringt, ist ein Urvertrauen, das gesellschaftlich und politisch enorme Wirkung haben kann. Denn Deutschland mag zwar eines der weltweit am konsequentesten säkularisierten Länder sein; für die Generationen, die dieses Land derzeit prägen, ist der christliche Wertekanon aber auch dann ein essentieller Bestandteil der gesellschaftlichen DNS, wenn sie schon längst weltlich aufgewachsen und erzogen wurden.

Zwei Nonnen beobachten im Vatikan die Sonnenfinsternis - zehn Jahre, bevor an dieser Stelle der kleinste Staat der Welt sie Sonne zur Energiegewinnung zu nutzen weiß. Was wird in 2019 sein? (Foto: AP)

Im Gegensatz zum grünen Widerstand, dem Erbe von 1968, lässt sich eine christlich gefärbte Ökologie nur schwer wegpolemisieren.

Grüne Theologie und grünes Bewusstsein haben jedoch noch mehr Gemeinsamkeiten. Papst Benedikt XVI., den amerikanische Diplomaten in einer der Wikileaks-Depeschen als "Green Pope" bezeichneten, sieht die Ökologie als einen Schlüssel für die weltweiten Probleme der Armut und der Unterdrückung. Ganz ähnlich wie das grüne Bewusstsein die großen Herausforderungen des 21.Jahrhunderts - Klimawandel, Energiepolitik, Urbanisierung - als globale Themen betrachtet.

Es gibt aber nicht nur gemeinsame Themen. Es gibt auch ein gemeinsames Problem.

Sowohl der Glaube als auch das grüne Bewusstsein und der Nachhaltigkeitsgedanke haben vor allem in den Industrienationen mit dem gesellschaftlichen Problem des Zynismus zu kämpfen.

Nun bieten beide ja durchaus genügend Gelegenheit zur Belächelung. Nimmt man beispielsweise die religiösen Führungspersönlichkeiten sämtlicher Konfessionen und der meisten Weltreligionen, die vor einigen Jahren mit einem Kreuzfahrtschiff eine Pilgerreise an die Westküste Grönlands unternahmen: Da standen die geistlichen Würdenträger an Deck und beteten gemeinsam für den Planeten, während vor ihren Augen der Gletscher kalbte.

Nachhaltigkeit - ein Irrglaube?

Sich darüber zu amüsieren, fällt einem als säkularem Humanisten leicht. Auch der weltliche "Gutmensch" gehört mit seinem Pathos längst zum Standardrepertoire der Ironisierung. Nun ist die Ironie als Flucht aus Haltung und Verantwortung nicht zu unterschätzen. Es ist in diesem Zusammenhang auch egal, ob sich der Zynismus der Ironie auf Macht oder Ohnmacht gründet. In der Ohnmacht führt der Zynismus zu Fatalismus. Der Zynismus des Wirtschaftsliberalismus, der Adams Smith' "unsichtbare Hand" der Marktgesetze als unveränderbares Dogma betrachtet, und der politischen Macht, die die Realpolitik als unausweichliches Schicksal ansieht, schließt den Gedanken der Nachhaltigkeit als Irrglauben aus.

Mittelfristig führt Zynismus in einer Gesellschaft jedoch zu Erschöpfungserscheinungen. Politikverdrossenheit ist da nur ein Symptom von vielen. Man darf ein Ereignis wie den GAU von Fukushima in einem solchen Kontext nicht unterschätzen. Fukushima ist nicht nur die exemplarische Warnkatastrophe, die der Physiker Carl Friedrich von Weizsäcker als einzig wirksamen Impuls für wirklichen Wandel in den philosophischen Raum stellte.

Die vermeintlich egoistische Atomdebatte in Deutschland ist nicht bloß die Entschlüsselung dieser Warnkatastrophe, um sie in das Verhalten von Individuen und Institutionen zu übersetzen, wie sie der Philosoph Peter Sloterdijk forderte. Fukushima ist die dritte weltgeschichtliche Zäsur innerhalb nur eines Jahrzehnts, das mit den Anschlägen von 9/11, der Wirtschaftskrise und nun der Atomkatastrophe das gesellschaftliche Urvertrauen langfristig erschüttert hat.

Für die meisten Menschen taugt der Glaube längst nicht mehr, um dieses Urvertrauen zu bewahren. Betrachtet man die grüne Theologie, wäre er auch keine wirkliche Hilfe. Gott ist in der christlichen Lehre der Schöpfer. Die Schöpfung zu bewahren, liegt in der Verantwortung des Menschen. Diese Verantwortung aber hat die Säkularisierung der Gesellschaft nur verstärkt. Womit wir bei einer dritten Gemeinsamkeit grüner Theologie und grünen Denkens wären: der Politik der kleinen Schritte. Jeder Einzelne hat seinen Beitrag zu leisten.

Lesen Sie weiter auf Seite 3, wie der individuelle kleine Schritt dem großen Ganzen hilft.

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Nun kann man jede ökologische Einzelhandlung zerrechnen. Überlegt man sich, ob man ein ökologisch korrektes Hybrid-Auto kaufen soll, stößt man schnell auf Studien, die zeigen, dass es viel sinnvoller ist, einen betagten Spritschlucker so lange zu fahren, bis ihn der Rost zerfressen hat. Will man auf Ökostrom umstellen, erfährt man, dass man letztlich den Emissionshandel der Energiekonzerne subventioniert. Liegt das Schnitzel vom lokalen Bauern auf dem Teller, gibt es längst Rechnungen, dass das deutsche Rindvieh einen so großen CO2-Fußabdruck hinterlässt, dass der Transport von Importfleisch aus ökologisch günstigeren Breiten nicht ins Gewicht fällt.

Solch ergebnisorientiertes Denken greift aber zu kurz. Der individuelle kleine Schritt aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse verändert für sich gesehen in der Tat wenig. Er schafft in der Masse jedoch gesellschaftlichen Druck. Dieser Druck manifestiert sich mittelfristig in entsprechenden Gesetzen. So wird aus schädlichem Verhalten der Gesellschaft und ihrer Institutionen ganz offiziell ein normwidriges Verhalten.

Beispiele, dass das funktioniert, gibt es genügend. Das Ozonloch ist so ein Fall. Das galt Anfang der achtziger Jahre noch als menschengemachte Bedrohung des Lebens auf dem Planeten Erde. In einem globalen Kraftakt sorgten Wissenschaft, Gesellschaft und Legislative dafür, dass dieses Problem wenigstens langfristig gelöst wird. Kein Mensch verwendet heute noch schädliches Haarspray, niemand kauft die alten Kühlschränke, die mit ihren Fluorchlorkohlenwasserstoffen die dünne Schutzschicht des Planeten zerfraßen.

Tabaksucht ist ein anderer Fall. Das Wissen um die tödliche Gefahr im Rauch brachte Millionen dazu, sich das Laster abzugewöhnen. Als die kritische Masse einer nichtrauchenden Mehrheit erreicht war, folgte die Politik mit entsprechenden Gesetzen. So ist das nach Ansicht der Weltgesundheitsorganisation gravierendste Gesundheitsproblem unserer Zeit auf dem Rückzug. Und aus einem gesellschaftlich akzeptierten Fehlverhalten ist eine vulgäre Geste geworden.

Wenn sich Widerstand und Gesten der Rebellion zum bürgerlichen Status quo und zur allgemeinen Vernunfthaltung wandeln, kann letztlich auch das grüne Denken zu Wandel und Veränderung führen. Überwinden grüne Theologie und grüne Politik ihre gegenseitigen Vorurteile, kann daraus eine gesellschaftliche Bewegung werden. Auch dafür gibt es schon ein Beispiel.

Als die Regierung Bush die zynische Manipulation ihrer christlichen Stammwählerschaft mit gesellschaftspolitischen Reizthemen wie Homosexualität und Abtreibung überzog, während sie eine Politik der ökologischen Ausbeutung betrieb, wendete sich ausgerechnet die Bewegung der Evangelikalen gegen die Republikaner. Mit dem Slogan "What would Jesus do?" brachen die "Green Evangelicals" den Konvent mit der Politik. Es war nicht der einzige Grund, aber ein wichtiger Faktor für den Wahlsieg Barack Obamas.

Eines steht fest: Ökologie ist keine Frage der Perspektive, kein Heilsversprechen, keine Ideologie, kein Dogma. Ökologie ist Notwehr gegen Angriffe auf Lebensgrundlagen. Wer sie als solche versteht, kann ideelle Grenzen überwinden. Dann wirken auch die kleinen Schritte.

© SZ vom 09.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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