Favoriten der Woche:Als Disney noch wild war

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"Micky, der Bauarbeiter" aus dem Jahr 1933. (Foto: Disney)

Eine Auswahl früher Disney-Kurzfilme zeigt die Slapstick-Kunst des alten Hollywood: Diese und weitere Empfehlungen der Woche aus dem SZ-Feuilleton.

Von Reinhard J. Brembeck, Andrian Kreye, Gerhard Matzig, David Steinitz und Egbert Tholl

Cartoons: Alte Disney-Kurzfilme

Die Walt Disney Company ist ein Konzern mit so vielen Subsparten, dass man manchmal fast schon vergisst, womit die Firma unter dem alten Walt einst berühmt geworden ist: mit Kurzfilmen natürlich. Zum Jubiläum des 100-jährigen Bestehens von Disney wurde eine Auswahl der kurzen Klassiker restauriert. Sie wird bis zum Herbst nach und nach beim Streamingdienst Disney+ veröffentlicht. Helden dieser frühen Abenteuer sind Oswald, der lustige Hase (die Vorgängerfigur von Micky Maus), Goofy, Donald, Chip und Chap, und natürlich das Tricktraumpärchen Micky und Minnie. Die Auswahl geht zurück bis ins Jahr 1927 und enthält sowohl schwarz-weiße als auch farbige Clips. Filme wie "Micky, der Bauarbeiter" (1933) enthalten alle Elemente der Slapstick-Kunst des alten Hollywood. Sie lassen aber auch erahnen, zu was für einer perfektionistischen Trickfilmschmiede die Disney-Studios sich noch entwickeln sollten. David Steinitz

Entspannung: Slow Radio

Gaaanz langsam: "Slow Radio". (Foto: BBC)

Für alle, denen es daheim zu still, aber sonst in der Welt zu laut ist, gibt es bei der BBC den Podcast "Slow Radio". "Soundscapes" findet man dort, Klanglandschaften, die einen umhüllen wie ein Kokon aus Freundlichkeit. Vogelgezwitscher aus Umbrien, zum Beispiel, oder Babyrobben in Pembrokeshire. "Happy Places", heißt das auf Englisch. Das schrammt manchmal knapp an den Wald- und Walgesängen vorbei, die man in Esoterik-Shops kaufen kann. Aber es sind dann eben "glückliche irische Kühe" oder brasilianische Banjo-Frösche und keine Meditationsdelfine. Die besten Soundscapes sind wortlose Reportagen aus der Ferne. Da gibt es einen Sonntagsspaziergang durch Harlem, einen Ausflug in das Dorf Almatu an der Seidenstraße, der DJ Nick Luscombe hat Winterklänge in Japan gesammelt, und es gibt Geräusche aus dem All. Mehr Entschleunigung geht kaum. Andrian Kreye

Architekturfilm: "7 Kapellen"

Die Kapelle bei Oberthürheim wurde von Christoph Mäckler entworfen: als Erinnerung daran, dass die Gotik auch jenseits der berühmten Kathedralen etwas zum Anfassen ist. (Foto: Orla Connolly + Jens Weber)

Jens Weber steht auf der Leiter vor einem teleskopartig sich in den Himmel schraubenden Stativ. Hohe Warte. Distanz. Er fotografiert Bauten und schafft es, das Magische an der Architektur, Licht, Form und Raum, suggestiv und in aller Ruhe zu bannen. Von seiner Partnerin Orla Connolly ist auf der gemeinsamen Homepage dagegen ein Bild zu sehen, das die Porträtfotografin in voller Action zeigt. Sie muss nah ran an die Objekte vor der Kamera, die in diesem Fall Subjekte sind. Connolly ist Spezialistin für Porträts. Für Menschen. Was haben wir also? Mensch und Raum. Perfekt.

Dass die Architektur zugleich etwas mit der Sehnsucht nach Transzendenz und mit dem Wunsch nach Lebenspraxis zu tun hat - das macht aus dem grandios unzeitgeistigen Film "7 Kapellen" ein Meisterwerk der Raumdeutung. Eigens vertont von Wolfram Oettl am Hammerflügel, der zum Stummfilmpianisten wird. Nichts wird erzählt, nichts erklärt, aber alles gezeigt. Die Menschen in dieser visuellen Studie von fordernder Spielfilmlänge sind allesamt Hauptdarsteller: ihre Blicke, ihr Staunen, ihre Skepsis - und immer berühren sie etwas, eine Wand oder ein Stück Holz. Architektur, das macht sie so sinnlich, ist etwas zum Anfassen. Zu sehen ist der Film am 17. und 30. Juli in Augsburg im Thalia-Kino, in der Reihe "Sommerwoche Architektur".

Die Denzel-Stiftung hat entlang des schwäbischen Donauradwegs sieben moderne Kapellen realisiert. Kleine Andachtsräume, meist in landschaftlich staunenswerter Umgebung platziert, lassen sich per Rad in entspannten Etappen erkunden. Die Bauten stammen von John Pawson, Volker Staab oder Christoph Mäckler. Sehenswert sind sie alle (dokumentiert bei Hirmer: "Sieben Wegkapellen - Architektonische Landmarken im Donautal"). Besonders schön aber ist im Film immer die Reaktion der Radler, Touristen, Kinder, Eltern, Nonnen und Mopedfahrer auf das, was Architektur zu dem macht, was sie ist: eine bedeutende und zugleich alltägliche Sache. Wenn man mit dem Rad unterwegs ist, es aus Eimern schüttet und man Unterschlupf in einer Kapelle sucht, dann befindet man sich in einem Raum, der möglicherweise heilig ist, aber zum noch höheren Lob der Schöpfung idealerweise auch trocken. Gerhard Matzig

Klassik: Hans Abrahamsen "Left, alone"

(Foto: Winter & Winter (Edel))

Einige berühmte Komponisten - Ravel, Prokofjew, Hindemith - schrieben Klavierkonzerte nur für die linke Hand, der Däne Hans Abrahamsen, geboren 1952 mit einer eingeschränkten Funktionsfähigkeit seiner rechten Hand, tat es ihnen 2015 gleich: "Left, alone" ist ein lyrisches Zauberspiel, voller versonnener Melodien, aber auch, so leicht hier auch alles flirrt und glänzt, voller Abgründe, kleiner Momente wüsten Getöses. Tamara Stefanovich (Klavier), Mariano Chiacchiarini (Dirigent) und das WDR Sinfonieorchester haben es fabelhaft schön für das Label Winter&Winter eingespielt. Daneben erklingen Abrahamsens "Ten Sinfonias" (WDR & Peter Rundel): verführerischer Orchesterpop, der nur vordergründig simpel, dann aber bald umso soghafter wirkt (Winter & Winter). Egbert Tholl

Museum: "Cosquer Méditerranée" in Marseille

Eine Geisterbahn unter dem Meer: das Museum "Cosquer Méditerranée" in Marseille. (Foto: Nicolas Tucat/AFP)

Dieses seltsame Gebäude im Hafenbecken von Marseille mit seinem kühnen Überhang von 40 Metern wirkt zutiefst beunruhigend: Könnte es jederzeit umkippen? Architekt Stefano Boeri hat die 2013 eröffnete Villa Méditerranée - damals war Marseille Kulturhauptstadt - für Ausstellungen, Kongresse, Versammlungen entworfen, daraus wurde aber wegen sicherheitstechnischer Bedenken nichts, die Villa blieb ungenutzt. Dann erinnerte sich Marseille an die sensationelle Entdeckung einer Höhle mit prähistorischer Kunst gleich um die Ecke. Der Taucher Henri Cosquer hatte 1985 an der nahen Felsküste den Höhleneingang in 37 Meter Tiefe entdeckt, sich in waghalsigen Tauchgängen Zugang durch einen aufsteigenden, 150 Meter langen und recht engen Kanal verschafft und in zwei über dem Meeresspiegel liegenden Räumen 500 Gravuren und Malereien entdeckt, zwischen 33 000 und 19 000 Jahren alt. In der letzten Eiszeit lag der Meeresspiegel mehr als 110 Meter tiefer als heute, die Menschen konnten damals die Höhle trockenen Fußes betreten.

Die Cosquer-Höhle kann niemand besuchen, die Erderwärmung bedroht die frühe Kunst. Also wurde die Höhle, wie auch schon Altamira und Chauvet, im Originalmaßstab nachgebildet - im Hafenbecken unter der Villa Méditerranée. Das nun vor einem Jahr eröffnete Museum heißt "Cosquer Méditerranée". Die Besucher steigen in einen Grubenaufzug, der sie nach unten bringt, dann um in Geisterbahnwägelchen. Das belustigt erst, aber bald fühlt sich jeder wie Henri Cosquer bei seinen Erkundungen. Die Wägelchen fahren langsam durch die Höhlenreplik, aufleuchtende Spots zeigen, was der Audioguide nüchtern formuliert: schwarz gemalte Pferde, viele Handnegative, Bisons, Wisente, Robben und zwei Alke, die sich um die Gunst einer Alkin prügeln. Dass der Besucher nicht den Originalen begegnet, ist unerheblich. Ihn überwältigt die Originalgröße der verblüffend guten 3-D-Reproduktionen. Sie folgen den Verfärbungen und Unregelmäßigkeiten der Felswände, die die Künstler raffiniert für ihre Zwecke nutzten. Reinhard J. Brembeck

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