Favoriten der Woche:Gage aus der Dose

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Roxy, Star in Godars Film "Adieu Au Langage". (Foto: Cannes Film Festival / Handout/picture alliance / dpa)

Als Tierfilmer brachte Godard eine Protagonistin ganz groß raus: seine Hündin Roxy. Diese und weitere Empfehlungen der Woche aus der SZ-Redaktion.

Von Till Briegleb, Léonardo Kahn, Peter Richter, Philipp Stadelmaier und Felix Stephan

Zu kaum einem anderen Filmemacher wurde so viel geschrieben wie zu Jean-Luc Godard, der im vergangenen September verstarb. Sträflich vernachlässigt wurde bislang jedoch Roxy Miéville, die Hündin, die seit 2010 mit Godard und seiner Lebensgefährtin Anne-Marie Miéville im schweizerischen Rolle lebte und in Godards vorletztem Spielfilm, "Adieu au langage", ihren großen Auftritt hatte.

Diese Forschungslücke hat nun der (ebenfalls schweizerische) Filmwissenschaftler Vinzenz Hediger gefüllt, in seinem erhellenden Beitrag zum von ihm mit herausgegebenen Sammelband "Jean-Luc Godard: Film denken nach der Geschichte des Kinos", der gerade erschienen ist. Hediger identifiziert Roxy als "Mischung aus Appenzeller Sennenhund und Pinscher" und bezeichnet "Adieu au langage", Godards ersten Film in 3-D, auch als seinen ersten Tierfilm. In dem geht es zwar um ein Menschenpaar, oder um deren zwei, oder um ihr Auseinanderfallen - wer weiß das schon so genau bei Godard, dessen revolutionäre filmische Praxis sich schlecht mit dem klassischen Geschichtenerzählen verträgt. Doch gemessen an Leinwandzeit und Inszenierung ist der eigentliche Protagonist des Films das Tier des Paares. Früher waren Isabelle Huppert oder Gérard Dépardieu die Stars von Godards Filmen. Später war es, wie Hediger zeigt, Roxy.

Beim Gassigehen an den Ufern des Genfersees hat Godard seine Hündin auf 3-D gefilmt und um diese Aufnahmen herum seinen Film gebaut. Der Vorzug an der Hauptdarstellerin: Anders als menschliche Filmstars braucht sie keine Gage, nur Futter. Wenn Godard als Philosoph und Dichter viel mit Zitaten arbeitet, ist Roxy selbst ein "philosophischer Hund", der inmitten des menschlichen Filmpaares, gestützt auf Levinas, die "Andersheit des Anderen" und den "Überschuss an Unendlichkeit" hervorhebt. So porträtiert Hediger Roxy in Verbindung mit der 3-D-Technologie als "Protagonistin der Suche nach einem neuen Sehen". Welche "Bedeutung" sie in Godards Film hat, ist eine falsch gestellte Frage. Wichtiger ist, ihr zuzuschauen oder uns von ihr anschauen zu lassen, um zu einer neuen Wahrnehmung der Welt zu gelangen, jenseits der Eingefahrenheit menschlicher Existenzen und Sehweisen. Philipp Stadelmaier

Comic: "Frau, Leben, Freiheit"

Comicband "Femme, vie, liberté", kuratiert von Marjane Satrapi. L'Iconoclaste Verlag, Paris 2023, 271 Seiten, 32 Euro. (Foto: L'Iconoclaste)

Marjane Satrapi, die mit ihrer autobiografischen Graphic Novel "Persepolis" (2000/2001) weltberühmt wurde, solidarisiert sich mit den Protestierenden in ihrem Herkunftsland Iran. Nach zwanzig Jahren, in denen die heute in Frankreich lebende Satrapi vor allem als Regisseurin arbeitete, gibt die Zeichnerin nun einen Sammelband heraus und hat auch selbst zum Stift gegriffen: "Femme, vie, liberté" ist am Donnerstag, kurz vor dem Jahrestag des Todes von Jina Mahsa Alimi, im Verlag L'Iconoclaste erschienen und versammelt Arbeiten von Zeichnern aus Europa, USA und Iran, die vor Augen führen, was wegen der Zensur im Land oft nur schwer nach außen dringt. Unter den Künstlern sind Schwergewichte der Bandes Dessinées wie Joann Sfar ("Die Katze des Rabbiners"), Coco von Charlie Hebdo oder Lewis Trondheim ("Donjon"). Angeleitet wurde das Projekt von Satrapi, die sich dafür einsetzte, dass der Band in Iran im Internet frei verfügbar ist. "Denn Sie können sich nicht vorstellen", sagte sie der Zeitung Le Monde, "wie sehr unsere Unterstützung ihnen nützt." Léonardo Kahn

Lego auf der Berlin Art Week

Ein langes Wochenende für die Kunst - die Berlin Artweek. (Foto: Clara Wenzel Theile)

Seit fast zehn Jahren baut der chinesische Künstler Ai Weiwei berühmte Kunstwerke mit Lego-Steinen nach. Wenn man es mit Brechts "Fragen eines lesenden Arbeiters" hält, müsste man sicher präzisieren: lässt bauen. Etliche Hunderttausend Steinchen waren zum Beispiel zusammenzusetzen, als er im Frühjahr in London einen Nachbau von Monets "Seerosen" aus dem Museum of Modern Art ausstellte. Ungefähr genauso viele Leute wollen das dann unbedingt sehen, entweder live oder wenigstens auf Abbildungen. Diese merkwürdige Faszination ist fast so faszinierend wie die Sache selber. Deswegen kann man jetzt schon prognostizieren, dass sich die Galerie Neugerriemschneider als größter Publikumsmagnet der diesjährigen Berlin Art Week erweisen wird, wo Ai Weiwei diesmal nun sogar das duftige Sfumato von Leonardo da Vinci so erbarmungslos legoisiert hat, dass es aussieht, wie von nordkoreanischen Schulkindern in einem Stadion mit farbigen Winkelementen nachgestellt. Es sei der Aspekt der Verpixelung wie in den elektronischen Medien, der ihn dabei interessiere, lernt der Betrachter. Wenn das dann des erwähnten Schauwerts wegen sogar in den Fernsehnachrichten auftaucht, wenn also das mit Legosteinen Verpixelte noch einmal elektronisch weiterverpixelt wird: Dann passiert offenbar etwas, das analoge Originale geradezu defizitär dastehen lässt in ihrer Perfektion. Dass die Verpixelung der Weltwahrnehmung irgendwann den Abstraktionsgrad von QR-Codes ästhetisch in den Mittelpunkt rücken wird, scheint nur noch eine Frage der Zeit.

Ansonsten ist das Praktische an der Art Week, dass sie eigentlich nur ein langes Wochenende ist. Wer erst Samstag ankommt, hat noch nicht viel verpasst und noch viel zu sehen. Neben vielen neuen Ausstellungen in den Galerien und Kunstinstitutionen der Stadt, sind es diesmal vor allem Performances. Im ehemaligen Hotel Mondial auf dem Kurfürstendamm widmet sich ein ganzes Festival dieser ephemeren Form. In der Neuen Nationalgalerie wiederum wird Samstag- und Sonntagnachmittag Yoko Onos frühes "Cut Piece" aufgeführt, und, eher eine Performance administrativer Art: Direktor Klaus Biesenbach gibt nach Anmeldung Baustellenführungen zum ökologisch umgeplanten Museum der Moderne. Peter Richter

George Saunders' Story Club auf Substack

Milde und klug: US-Autor George Saunders lehrt kreatives Schreiben. (Foto: Chris Jackson/picture alliance)

George Saunders hat einmal gesagt, er sei im Schreiben milder, nachsichtiger und intelligenter als im richtigen Leben. Man glaubt das sofort, weil George Saunders' Erzählstimme so mild, nachsichtig und intelligent ist, wie ein Mensch in Wirklichkeit eigentlich gar nicht sein kann. Man kann sich davon selbst ein Bild machen, in seinen Romanen oder aber in Saunders' Substack-Newsletter, einer Art digitales Seminar, in dem gemeinsam über Literatur nachgedacht wird. Saunders unterrichtet seit Jahrzehnten kreatives Schreiben an der Syracuse University und hat dieses Seminar neulich in dem unbedingt lesenswerten Buch "Bei Regen in einem Teich schwimmen" allgemein zugänglich gemacht. Der "Story Club" auf Substack ist gewissermaßen ein weiterführendes Kolloquium für alle, die Literatur schreiben oder vielleicht auch nur begreifen möchten. Felix Stephan

Fundus-Kindertheater

Lauter Experten in der Forschungsrunde des Fundus-Theaters. (Foto: Hanno Krieg)

Wenn Kinder bestimmen, was geforscht wird, geht es wenig um Effizienz und Wettbewerb. Stattdessen untersuchen sie, wie der Mensch mit Pilzen sprechen kann, suchen "Monster" im öffentlichen Raum, veranstalten eine Klebe-Versammlung, um über Protest zu reden, oder suchen Klärung zu Depressionen. Und doch gibt es nur eine Institution in Deutschland, die diesen Neugierden wirklich Raum gibt. Das Forschungslabor des Fundus-Theaters in Hamburg, das Sonntag 20 Jahre alt wird. Hier arbeiten kleine mit großen Expertinnen und Experten an einer Bank für Kinder, in einem Schönfühlsalon oder über die Freiheit im virtuellen Raum. Zum Jubiläum gibt es nun eine Wunschrunde zur Zukunft. Die wird, versprochen, einen so großen Themen-Fundus erzeugen, dass es für die Gründung vieler weiterer Kinderfakultäten im Land reicht. Till Briegleb

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