Favoriten der Woche:Aperol Spritz für die Gehirnwindungen

Lesezeit: 4 min

Badende im Münchner Eisbach. (Foto: Robert Haas)

Das neue Album der Band "Jungle" klingt, als würde man sich im Münchner Eisbach treiben lassen. Diese und weitere Empfehlungen der Woche aus dem SZ-Feuilleton.

Von Aurelie von Blazekovic, Fritz Göttler, Kathleen Hildebrand, Peter Richter und Evelyn Vogel

Pop: "Volcano" von "Jungle"

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Jammerschade um jeden Sommertag, an dem man "Volcano" noch nicht kannte. Das neue Album von Jungle, dem englischen Dance-Soul-Pop-Duo, ist Aperol Spritz für die hintersten Gehirnwindungen - wie sich unterm Blätterdach im Münchner Eisbach treiben lassen. Bester Disco und Soul, der irgendwo zwischen den Jahren 2023 und 1973 schwingt. Noch ein Projekt gefällig bis zum Herbst, wenn Jungle auf Tour sind, auch in Deutschland? Die umwerfend tolle Choreografie aus dem Musikvideo zu "Back on 74" lernen. Dort bewegt sich unter anderem der Tänzer Will West in eleganter Weirdness durch den Song. Sieht ein bisschen aus wie eine Mischung aus Austin Powers und der "Rocky Horror Picture Show" - nur mit besserer Musik. Aurelie von Blazekovic

Film: "Jeder schreibt für sich allein"

Henrike Stolze, die Schwester des Schriftstellers Bernhard Vesper, und Anatol Regnier. (Foto: Piffl Medien GmbH)

"Tag, der den Sommer endet, Herz, dem das Zeichen fiel ..." Eins der berühmtesten deutschen Gedichte, von Gottfried Benn. Herbststimmung, aber auch politischer Befund, "ein Abschiedsgedicht, obwohl das ganze Unheil noch kommt". Kann man Gedichte von Benn lieben, wo er doch in seiner Rede "Der neue Staat und die Intellektuellen" mit der Kälte des Expressionisten die finstere Ideologie der Nazis referiert. Das Dilemma steht im Mittelpunkt des neuen Films von Dominik Graf "Jeder schreibt für sich allein".

Der Film entstand nach dem gleichnamigen Buch und mit Beihilfe von Anatol Regnier, Sohn von Pamela Wedekind und Charles Regnier. Es geht um deutsche Autoren und Intellektuelle in der "Katastrophenlandschaft" des "Dritten Reichs", die, anders als Brecht oder Thomas und Heinrich Mann, nach 1933 nicht ins Exil gingen, sondern in Deutschland blieben: Gottfried Benn, Erich Kästner, Hans Fallada, Ina Seidel, Jochen Klepper, Will Vesper - teils der neuen Ideologie zugetan, teils sich wegduckend. Innere Emigration - ein Versteckspiel mit sich selbst? Ein Entschuldungsbegriff?

Es ist elementares Kino, wie immer bei Dominik Graf. Es ist der Versuch, aus dem, was blieb, zu rekonstruieren, was verschwunden ist, aus dem Präsenten das Unsichtbare, egal ob es sich um einen auf der Straße liegen gebliebenen Schuh handelt oder um literarische Texte, Pamphlete, Briefe. Imaginäre Dokumentation. Anatol Regnier zieht los auf Spurensuche, in die Keller des Literaturarchivs Marbach oder an den Starnberger See oder nach Sanary-sur-Mer, ins Hotel de la Tour, wo Klaus Mann lange in Zimmer 17 im Exil lebte.

Regnier und Graf, die Perspektiven der beiden Generationen reiben sich bisweilen. Weitere Leser und Liebhaber werden bemüht, Günter Rohrbach und Albert von Schirnding, Florian Illies oder Gabriele von Arnim, sie kämpfen mit den Fragen von Moral und Politik. Wie Graf sie inszeniert, kann man ihnen sehr genau beim Verfertigen der Gedanken beim Reden zuschauen, zwischen Irritation und Coolness.

"Tag, der den Sommer endet" wurde 1935 geschrieben, 1938 erhielt Benn Schreibverbot. Der Film ist kein wohlstrukturierter historischer Essay - das Gute und Normale strikt vom Bösen zu trennen wie Schwarz von Weiß, daran ist er nicht interessiert. Mit der Flut der Bilder bringt Graf die sauberen Argumente zum Kippen, ein pulsierender Rorschachtest. Das Kino liebt das Zwiespältige und Unsaubere, Flüchtigkeit und Unwiederbringlichkeit. Fritz Göttler

Punk: "Zeit für Tommi Stumpff"

Auf den Alben mit der Band "Der KFC" nannte Stumpff sich noch Stumpf, ganz früher Thomas Peters. (Foto: Kai Kestner/CC BY-SA 4.0)

"Zu spät Ihr Scheißer. Hier ist: Tommi Stumpff" hieß 1982 sein Solodebüt. Und jetzt ist es wirklich zu spät, denn diesen Sommer ist dieser Punkpionier und Poltergeist von uns gegangen. Aber das heißt ja nur, dass man jetzt umso lauter seine Musik andrehen sollte: den Elektrokrawall, den Stumpff - Thomas Peters in Düsseldorf, mais grandi à Paris et à Bruxelles - teils in lupenreinem Jacques-Brel-Französisch betextet. Oder den Hit "Blut, Gehirn, Massaker", dazu wurde circa 1990 in Diskos noch begeistert und verliebt miteinander getanzt. Auf den Alben mit der Band "Der KFC" (1978-1982) nannte Stumpff sich noch Stumpf. Daher am besten online nach dem Video " Stumpf ist Trumpf" suchen: ein randalierender Hymnus auf Bayern und sogar Johannes Paul II., der noch weiter rast, als Gitarre, Bass und Schlagzeug mit ihrem tückischen Stechmückensound schon gar nicht mehr können. Peter Richter

Kinderbuch: "Zum Glück bist du kein Pilz!"

"In uns planschen keine Leute herum." (Foto: Klett)

Lernen ist wild, daran erinnert man sich als Erwachsener, wenn man dieses Kinderbuch von Annie Barrows und Leo Espinosa in die Hand bekommt. Mal lernt man etwas, das die Dinge klarer erscheinen lässt, dann wird wieder alles auf den Kopf gestellt. Zum Beispiel dieser höchst abstrakte Fakt, nach dem der menschliche Körper zu 95 Prozent aus Wasser besteht. Was soll man damit anfangen? Der heitere kleine Junge, der in "Zum Glück bist du kein Pilz" durch den Erkenntnisprozess führt, stellt fest, dass wir demnach einiges mit einem Schwimmbecken gemeinsam haben. Mehr jedenfalls als mit einer Tomatendose, denn "wenn man unseren Deckel aufmacht, kommt nichts Gutes dabei heraus". Und doch haben Ähnlichkeiten Grenzen, auch die mit dem Schwimmbecken: "In uns planschen keine Leute herum." Dieses Buch ist eine kleine, kluge Ordnung der Dinge, aber eine zum Bersten fröhliche. Kathleen Hildebrand

Kunst: Julian Rosefeldt in der Völklinger Hütte

Rosefeldts Botschaft: Wir lassen uns vom Kapitalismus freiwillig auffressen. (Foto: Studio Julian Rosefeldt, Berlin / VG Bild-Kunst, Bonn 2023)

Der Tiger wittert es instinktiv: Geld stinkt nicht, es hat nur ein verführerisches Odeur. Am Anfang von Julian Rosefeldts raumgreifendem Medienkunstwerk "Euphoria" streift die Raubkatze des Kapitalismus als animierter Tiger durch einen menschenleeren Supermarkt und zitiert mit der Stimme von Cate Blanchett philosophische Versatzstücke, ein Taxifahrer im Stil von Robert de Niros "Taxi Driver", Fließbandarbeiterinnen eines Versandhandels, abhängende Jugendliche oder Obdachlose, die nicht wie von ungefähr an Rosefeldts frühere Arbeit "Manifesto" erinnern (mit Blanchett in den 13 Hauptrollen), sie alle philosophieren über die Macht des Geldes.

In mehreren Episoden erzählt Rosefeldt die zweitausendjährige Geschichte menschlicher Gier und einer Lebenswelt, die geprägt ist von Macht, Geld, Lug und Betrug. Es ist eine Kapitalismuskritik vom Feinsten und fein garniert mit einer gehörigen Dosis Galgenhumor. Zu sehen ist das alles im Zentrum einer 360-Grad-Installation mit zahlreichen Leinwänden, auf denen ein Chor, Schlagzeugerinnen und Schlagzeuger die Handlung musikalisch vorantreiben.

Der wilde Ritt durch die Geschichte des Kapitalismus mündet in einer fulminanten Szene in einer Bank: Begleitet von den Klängen einer paradierenden Brassband und den Rhythmen der Drummer auf den Leinwänden rundum tanzen Angestellte in dunklen Anzügen und Kostümen durch eine Bankfiliale, ein Tanz ums goldene Kalb, die in Form einer fleischfressenden Blüte endet - so schön und suggestiv, dass man sich ihr am liebsten zum Fraß vorwerfen würde. Ganz im Sinne Rosefeldts: Wir lassen uns vom Kapitalismus freiwillig auffressen.

Es ist nicht nur die filmische Großinstallation "Euphoria" im Weltkulturerbe Völklinger Hütte, sondern die gesamte Bespielung der mehr als 6000 Quadratmeter großen Gebläsehalle mit ihren mächtigen Schwungrädern unter dem Titel "When we are gone", die diese Schau (noch bis 3. September) zu einer Sensation macht. Eine Zeitreise ist sie zudem: Mit Filmen aus zwei Jahrzehnten, die in die vergangenen 100 Jahre deutscher Geschichte wie in eine dystopische Zukunft blicken. Mit Bildern, Texten, Musik und Choreografien, die ineinanderfließen und Paralleluniversen schaffen. Man kann darin stundenlang verweilen. Evelyn Vogel

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