Diskussion um Haus der Kunst:Okwui Enwezor: "Kritiker äußern gedankenlose Bemerkungen"

Lesezeit: 5 min

Haus der Kunst: Ein Entwurf von David Chipperfield für den Umbau. (Foto: David Chipperfield Architects)

Das Münchner Haus der Kunst ist ein Nazibau. Nun soll es renoviert werden. Doch der Entwurf ist umstritten. Der Direktor des Hauses verteidigt ihn.

Gastbeitrag von Okwui Enwezor

Das Haus der Kunst in München, von Paul Ludwig Troost entworfen und von Adolf Hitler 1937 eröffnet, soll renoviert und umgebaut werden. Doch stoßen die Pläne des Architekten David Chipperfield auf großen Widerstand: Er trage der Geschichte des Hauses nicht angemessen Rechnung. Nun meldet sich Okwui Enwezor zur Wort, der Direktor des Hauses der Kunst, und verteidigt Chipperfields Entwurf.

Seit ich 2011 Direktor des Hauses der Kunst in München wurde, weiß ich, dass jede Debatte über das architektonische Erbe des Dritten Reiches dieselben Folgen hat wie die Beschäftigung mit anderem heiklen Stoff der Nazi-Geschichte. Dies betrifft die Konsequenzen für die Erinnerung, das Unbehagen, das gequälte Gewissen, die Gefühlsaufwallungen. Diese Reaktionen hat die Debatte um David Chipperfields Plan zur Renovierung des Hauses der Kunst bei all jenen ausgelöst, die die Fassade als steinernen Gorgonen wahrnehmen, als Schreckgestalt, welche die Erinnerung an die Nazi-Zeit zu verschlingen droht. In der Diskussion um Chipperfields hochsensibles, zurückhaltendes und kluges Renovierungskonzept herrscht eine ahistorische Verwirrung. Fakten werden übergangen, Projizierungen und Fantasien in den Rang eines architektonischen Diskurses erhoben.

Wurden die vorderen Stufen wirklich im Rahmen eines Entnazifizierungsplans entfernt?

So wurden beispielsweise Architekturstudenten der Technischen Universität in München von der Süddeutschen Zeitung gebeten, ein neues Design für das Gebäude zu entwerfen. Sie konzentrierten sich darauf, das Haus neu zu gestalten, deshalb waren ihre Vorschläge weder für die Erfordernisse eines Museums noch für Reflexionen über Geschichte und Erinnerung relevant.

Gleichzeitig äußerten sich Kritiker mit gedankenlosen Bemerkungen; so behaupteten sie etwa, Chipperfield wolle das Gebäude im Zustand des Jahres 1937 wiederherstellen. Das ist natürlich lächerlich und weder Chipperfields Absicht, noch entspricht es dem, was er bei der öffentlichen Präsentation seines Plans im Haus der Kunst im September 2016 erklärte.

Debatte
:Schützt der Baum vor dem Grauen der NS-Geschichte?

In der Debatte um das Münchner Haus der Kunst eskaliert der Konflikt zwischen Natur und Architektur.

Von Gerhard Matzig

Dennoch hat die Debatte einige seiner Grundannahmen überschattet: dass, erstens, das denkmalgeschützte Gebäude repariert, ausgebessert und betreut werden muss. Dass, zweitens und rein architektonisch gesprochen, er an dem Gebäude an sich nichts Falsches sieht. Ohne die architektonische Vergangenheit zu übersehen, hat er klargemacht, dass der Bau den Zweiten Weltkrieg unversehrt überstanden hat, und seit 1946 der Nazi-Ideologie sehr direkt und bewusst entgegentritt.

Dennoch sind wir weiterhin bereit zu einer öffentlichen Debatte über den Umbau, und sei es nur, um einige der gängigen Verzerrungen zu korrigieren. Zwei Fotografien helfen dabei. Das erste Foto wurde 1937 aufgenommen und zeigt die Impression einer friedlichen grünen Wohngegend und Häuser mit Giebel- oder Flachdach. Rechts im Bild ist das neu errichtete Haus der Kunst in all seiner Säulenpracht zu sehen. Dagegen dient als Kontrast ein Luftbild derselben Gegend vom Juni 1945: Darauf erstreckt sich in jeder Richtung eine Szene makabrer Zerstörung, zerbombte Wohnblöcke, eine Kraterlandschaft. Und mitten in dieser Szenerie von Ruinen und Zerstörung steht das "Haus der Deutschen Kunst", einsam, aber wundersamerweise unversehrt, eine geisterhaft graue Masse in schwarzer Finsternis.

Eine kluge Renovierung muss sich kritischen Fragen stellen - historischen, aber auch städtebaulichen

Aus heutiger Sicht weisen diese beiden Bilder bereits auf die radikale Umgestaltung der Gegend in der Nachkriegszeit hin. Nichts ist heute so, wie es zur Eröffnung des Gebäudes war. Die Verwüstungen des Krieges und der Nachkriegsstädtebau haben völlig neue Perspektiven geschaffen. Straßen wurden verbreitert, Tunnel gegraben und der Verkehrsfluss so dramatisch verändert, dass sich gänzlich neue Ansichten ergeben. Die Situation zwischen 1937 und 1945 lässt sich nicht wiederholen. Tatsächlich wirkt der Bau heute sichtbarer, besonders aus südwestlicher Richtung.

Eine erfolgreiche, kluge Renovierung muss sich kritischen Fragen stellen, die sowohl die historische als auch die aktuelle städtebauliche Entwicklung um das Museum in Rechnung stellen. Wurde etwa die Baumreihe vor dem Gebäude gepflanzt, um es vor Blicken zu verbergen? Falls ja, warum und von wem? Von jenen Anwohnern, die es als Heranwachsende während des Dritten Reichs besuchten? Oder - aus Scham - von späteren Generationen? Logisch betrachtet dient die Baumreihe nicht dem Verbergen. Das vermeintlich verborgene Gebäude ist unübersehbar.

Ein weiteres Thema sind die breiten Stufen, die einst an der gesamten Längsseite der Front entlangliefen und im Zuge des Tunnelbaus entfernt wurden. Chipperfield erwägt, diese Stufen wiederherzustellen, denn architektonisch wäre das sinnvoll. Nach seiner Beobachtung würde die Rekonstruktion das derzeit isolierte Gebäude besser in den urbanen Kontext integrieren. Sein vernünftiger Vorschlag hat allerdings die Wut der Kritiker nur noch mehr entfacht, da sie ihn offensichtlich missverstanden haben. Aber wurden die Stufen wirklich, wie es landläufige Meinung ist, im Rahmen eines bewussten Entnazifizierungsplans entfernt? Oder geschah dies während einer komplexeren städtebaulichen Entwicklung, welche die Straßenseite für die verbreiterte Durchfahrt einbezog? Möglicherweise alles zusammen.

Architektur
:"Da steh ich dann und schau den Nazi an!"

Architekt Chipperfield erläutert seine Pläne für das Haus der Kunst. 80 Millionen Euro werden dafür wohl nicht reichen. Doch es gibt noch mehr zu bemängeln.

Von Susanne Hermanski

Die beiden Fotos und die aktuelle Diskussion legen jedenfalls die Spekulation nahe, dass Paul Ludwig Troosts Haus der Kunst vor allem das Pech hatte, die Luftangriffe unversehrt überstanden zu haben. Wäre es zerstört oder stark beschädigt worden, wäre die aktuelle Debatte über seinen architektonischen Status irrelevant. Zweifellos wecken das Haus und seine Geschichte bei vielen Menschen traumatische Erinnerungen. Deshalb ist die Gegenwart des Gebäudes der Erinnerungspolitik verpflichtet. Es ist also nur vernünftig, dass die Debatte über die künftige Architektur von einem gewissen Kult wachsamen Gedenkens flankiert wird. Dies gilt vor allem für das öffentliche Verständnis seiner kulturellen Bedeutung als Zentrum globaler Kunst. Wann sollte man diese Diskussionen hinter sich lassen? 80 Jahre lang wurde das Gebäude praktisch unverändert als Ausstellungsraum genutzt, nun sollten wir darüber reden, wie sich das Museum noch besser in Münchens reiche Kulturlandschaft einfügen kann.

Seit 1946 ist das Haus der Kunst mit Blick auf seine Vergangenheit eines der stabilsten Symbole kultureller Integrität. Dies verdankt es vor allem der Arbeit von Künstlern in Hunderten Ausstellungen. Picassos großes antifaschistisches Gemälde "Guernica" aus dem Jahr 1937 wurde hier 1955 gezeigt; Joseph Beuys' Installation "Das Ende des 20. Jahrhunderts" war 1984 im Westflügel zu sehen. Oft schon haben wir vom Haus der Kunst uns mit dem Erbe des Gebäudes auseinandergesetzt, der Direktor Christoph Vitali initiierte Veröffentlichungen zur Geschichte des Hauses, Chris Dercon den "kritischen Rückbau". Eine Datenbank über die nationalsozialistische "Große Deutsche Kunstausstellung" wurde angelegt, dazu kam die Ausstellung zum 75. Jahrestag, "Geschichten im Konflikt. Das Haus der Kunst und der ideologische Gebrauch von Kunst 1937 bis 1955", die jüngst eingerichtete Archiv-Galerie und die laufende Ausstellung "Postwar: Kunst zwischen Pazifik und Atlantik 1945 bis 1965". Künstler wie Christian Boltanski, Gustav Metzger und Mel Bochner haben direkt in die Fassade oder Architektur eingegriffen.

Leitet das Haus: Okwui Enwezor. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Vor vier Jahren etwa wurde Bochners monumentales Spruchband "Joys of Yiddish" auf dem Dach installiert, vor Kurzem hat er es dem Museum geschenkt. Die Arbeit enthält eine Liste jiddischer Wörter in Gelb auf Schwarz in Erinnerung an die Armbinden mit dem gelbem Stern, die Juden in der Nazizeit tragen mussten. Bochner, ein jüdischer Künstler, ließ die Worte quer über die gesamte Breite laufen, um den "Tempel der deutschen Kunst" zu stören, aber auch, um ein Licht auf das tragische Verschwinden der jiddischen Sprache aus dem deutschen Kulturleben zu werfen.

Die zwingende Frage ist, wie wir das Haus der Kunst begreifen - seine Vergangenheit, seine Gegenwart, seine Zukunft

Die Leiter des Hauses haben ihr Institut durch andauernde kritische Wachsamkeit zu einer zukunftszugewandten Einrichtung gemacht. Nun, so die logische Konsequenz, muss das Gebäude zu einem Schaufenster für moderne und zeitgenössische Kunst werden. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass dieser Prozess durch die Arbeit und die Vision von Künstlern angeführt werden muss und weniger durch rasch veraltende architektonische Gesten.

Doch trotz der kühnen Schritte, die das Museum in sieben Jahrzehnten zu einer respektierten und bewunderten Einrichtung von internationalem Rang gemacht haben, müssen wir die Verbindung zur Erinnerung bewahren. Die zwingende Frage ist, wie wir das Haus der Kunst begreifen - seine Vergangenheit, seine Gegenwart, seine Zukunft. Die heutige Welt unterscheidet sich grundlegend von jener der Jahre 1937 und 1945. Die Globalisierung hat die geopolitischen Koordinaten fundamental verändert, Migration und digitale Technologien formen Identitäten und stellen Fragen nach Austausch und Teilen.

Was bedeuten diese Veränderungen für ein Kunstmuseum in Deutschland im 21. Jahrhundert? Wie sollen Museen auf den neuen Blick der Welt reagieren? Welche Instrumente helfen Museen, ihre Kernbotschaft zu verbreiten? Welche ästhetischen, diskursiven und programmatischen Imperative organisieren unser Denken angesichts des Wandels? Das aktuelle Projekt "Renovate/Innovate" widmet sich diesen Fragen. Diese Formulierung zwingt uns zur Schaffung eines zeitgenössischen Museums für das 21. Jahrhundert, einen offenen, kulturell lebendigen Raum in der Gegenwart. Nichts ist zwingender und dringender, als einen solchen wirkmächtigen Raum für soziale Vorstellungskraft zu schaffen, der sich voller Vertrauen der Zukunft der Kunst widmet.

Übersetzung: Sonja Zekri

© SZ vom 28.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Bunker in München
:Leben hinter dicken Mauern

Etwa 20 Hochbunker aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs stehen noch in München - manche eher nutzlos, andere kaum wiederzuerkennen.

Von Alfred Dürr

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: