Favoriten der Woche:Kennen Sie diese Ikone?

Lesezeit: 4 min

Die Regisseurin Alice Guy, links, bei Dreharbeiten zu ihrem Film "The Great Adventure" (1918). (Foto: Imago Images/Everett Collection)

Die französische Filmemacherin Alice Guy würde jetzt 150 Jahre alt werden - eine gute Gelegenheit, ihre besten Filme zu sehen. Diese und weitere Empfehlungen der Woche aus dem SZ-Feuilleton.

Von Léonardo Kahn, Helmut Mauró, Lothar Müller, Jens-Christian Rabe und Philipp Stadelmaier

Film: Regisseurin Alice Guy

In Pariser Filmhochschulen kommt man an ihr nicht vorbei: Preise sind nach Alice Guy benannt, ihr Gesicht ziert diverse Plakate, man trifft dort Studentinnen, deren filmbegeisterte Eltern ihre Tochter Alice genannt haben, ihretwegen. Doch die Anerkennung ist neu. Ähnlich wie Vincent Van Gogh blickte die erste Filmregisseurin weltweit zu Lebzeiten auf eine verscherbelte Karriere.

1896 drehte sie mit " La Fée aux Choux", auf Deutsch "die Fee im Kohl", den vermutlich ersten Spielfilm der Geschichte. Ein Jahr zuvor hatten die Brüder Lumière Arbeiter gefilmt, wie sie die Fabrik verlassen, doch die Handlung verlangte den Statisten kein schauspielerisches Talent ab. Bei der Kohl-Fee zaubert eine Dame putzige Kleinkinder aus Kohlköpfen hervor. Humor ist in Guys Werken vorrangig. Zur Jahrtausendwende wurden Filme noch nicht als Kunstform anerkannt und dienten in erster Linie zur Unterhaltung. Doch Guys Humor unterschied sich von dem ihrer männlichen Kollegen. 1906 drehte sie einen Kurzfilm, in dem die Geschlechterrollen vertauscht waren: Männer bekamen einen Klaps auf den Po und wurden aufs Bett gedrückt. Die Zuschauer waren außer sich vor Lachen, vor allem die Zuschauerinnen.

Obwohl sie Anfang des 20. Jahrhunderts für Gaumont, das damals größte Filmstudio der Welt, Hunderte Filme produzierte und 1910 ihr eigenes Studio in New York gründete, ist nur ein Bruchteil davon erhalten geblieben. Mit dem wirtschaftlichen Erfolg der Filmindustrie wuchs auch der Wettbewerb innerhalb der Branche, die dadurch immer chauvinistischer wurde. Alice Guys Werk wurde nachträglich ihren männlichen Kollegen zugeschrieben, ihr Name wegradiert. Ihr manipulativer Ehemann Herbert Blaché ruinierte sie zudem wirtschaftlich, sie trennte sich zu spät von ihm. Das alles lässt sich nachlesen in einer Comicbiografie des Autors José-Louis Bocquet und der Zeichnerin Catel Muller ( Alice Guy. Die erste Filmregisseurin der Welt, im Splitter Verlag), die an diesen Tagen, zum 150. Geburtstag der Regisseurin, erschienen ist.

Inzwischen haben ungezählte Ausstellungen, Podcasts und Dokumentarfilme ihre Werke verarbeitet, sie inspirieren französische Filmemacherinnen wie Céline Sciamma, Regisseurin von "Porträt einer jungen Frau in Flammen". Das Erbe von Alice Guy, geboren am 1. Juli 1873 in der Nähe von Paris, hallt umso stärker nach, je älter es wird. Léonardo Kahn

Klassik: "Carl Loewe, Jan Hus, Oratorium, op. 82"

Die Arcis-Vocalisten singen Carl Loewes Oratorium "Jan Hus". (Foto: Oehms Classics)

Vor fünf Jahren hat er sich schon einmal überzeugend einem Oratorium des eher als Balladenkomponisten geltenden Carl Loewe gewidmet. Thomas Gropper, der Münchner Gesangsprofessor, hat sich diesmal das Leben des böhmischen Kirchenkritikers Jan Hus vorgenommen, das Loewe als strenges Oratorium in Musik gesetzt hat. Dass dabei genug Raum ist für Emotion und Poesie, zeigt Gropper auf elegant spannende, klangintensive, nur selten etwas eintönige Weise. Besonders der fein austarierte Chorklang begeistert, aber auch Solisten wie der herrliche Oratorientenor Georg Poplutz. Die Mischung aus Lebensbildern und Reflexionen entspricht der großen Formtradition des Oratoriums, das eine distanzierte Teilnahme auch am grausigen Ende erlaubt: Der Scheiterhaufen, auf dem Hus starb, wird zum "Chor der Flammengeister". Helmut Mauró

Geschichte: "Short Messages. Die Fliesen der Heilandskirche Sacrow"

Auf den Kirchenfliesen finden sich 150 Jahre deutsche Geschichte in kurzen Nachrichten. (Foto: Hatje Cantz Verlag)

Die am Ufer der Havel gelegene Heilandskirche in Sacrow hatte Friedrich Wilhelm IV. als Verklärung des preußischen Staates und des Gottesgnadentums geplant. Er ließ den eleganten Bau mit der markanten Streifenfassade in Form einer frühchristlichen Basilika errichten. Früh wurde sie zu einer der "Ausflugskirchen" zwischen Berlin und Potsdam. Kein Ausflugsort ohne Schriftzeichen: Auch ich war da. Oder eben: "Icke". Die schönen Fliesen an der Fassade mit gelber Rosette auf blau lasiertem Grund lockten schon kurz nach der Einweihung der Kirche im Jahr 1844 die Beschriftungswut an. Sie überdauerte das Kaiserreich, die Weimarer Republik, den Zweiten Weltkrieg, das Ende Preußens, seit 1949 lag die Kirche im Grenzgebiet zu Westberlin, nach dem Mauerbau war sie unzugänglich. Die Beschriftungen halten Namen und Dienstzeiten der Grenztruppen der NVA fest. Der Fotograf Lars Wiedemann hat 136 Fliesen dokumentiert. Die Bilder sind von kurzen Essays gerahmt. Gab es "Preußens Arkadien" jemals? Lothar Müller

Künstlerdoku: "Thomas Schütte - Ich bin nicht allein"

Thomas Schütte lässt im Film von Corinna Belz seine Hände sprechen. (Foto: Corinna Belz Filmproduktion)

Corinna Belz' Film über den deutschen Bildhauer Thomas Schütte, jetzt im Kino, vermeidet gleich zwei typische Fallen der Künstlerdoku. Zum einen den Biografismus, also die Reduktion des Werkes auf das Leben der Schaffenden. Zum anderen die Geschwätzigkeit, also die Erklärung des Werkes durch den Künstler und seine Exegeten. Indem Belz dem ruhigen, wortkargen Schütte bei der Arbeit zuschaut, erinnert sie daran, dass Kunst mehr ist als ein persönliches Schicksal. Ein bisschen hagiografisches Gerede von Experten und Kuratorinnen gibt es natürlich schon, die Begleitmusik hätte man sich auch sparen können. Ist aber nicht schlimm. Denn wenn Schütte rasch und konzentriert aus Ton groteske Köpfe formt, spricht er allein mit seinen Händen. Der Film konzentriert sich auf den künstlerischen Prozess.

Ausgangspunkt der Doku ist eine riesige "Nixe", die in New York ausgestellt wird, während das Museum of Modern Art eine Werkschau vorbereitet. Von dort aus untersucht Belz in Rückblenden den faszinierenden, komplexen Entstehungsprozess der Skulptur, vom Styropor aus dem 3D-Drucker bis zur gegossenen Bronze. Neben dieser materiellen Transformation steht nicht etwa die Monumentalität der Figur im Mittelpunkt, sondern die Skalierbarkeit eines ursprünglich kleinen Modells in größere Formen. An anderer Stelle sehen wir erst ein Architekturmodell mit Butterschale als Dach und dann das, was aus ihm geworden ist, Schüttes "Skulpturenhalle" in Neuss. Das Große kommt bei Schütte aus dem Kleinen. Der Kern seiner Kunst ist ihre Bescheidenheit.

Persönliches, wie ein früherer Psychiatrieaufenthalt, eine gescheiterte Ehe oder der Tod eines Freundes, fließt nur beiläufig ein. Seinen Handwerkern spendiert der gemütliche Rheinländer und Kettenraucher eine Runde Käsebrötchen ("bitte ohne Salat und Mayo") und überweist rechtzeitig ihre Löhne ("damit sie nicht verhungern"). Aber schon folgt die nächste hochkonzentrierte Geste. Mit einem kleinen Bolzen drückt er zwei Löcher in Tonbällchen, und schon sind da zwei Augen, die einen anschauen. Hat man die Augen, hat man alles, weiß Schütte. Und schon kann die Arbeit an der Büste weitergehen. Philipp Stadelmaier

Youtube-Serie: "What's in my Bag?" von Amoeba Music

Santigold kramt im Sortiment des besten Indie-Plattenladens der USA. (Foto: Youtube: Amoeba's "What's in my bag")

Kaum eine Woche vergeht derzeit, in der nicht irgendwo beklagt wird, wie Streaming-Dienste das Publikum manipulieren. Aber niemand muss seinen Geschmack an die bösen Digital-Konzerne verkaufen. Man kann auch einfach dieses Feuilleton lesen - oder für famose Tiefenbohrungen in die Popgeschichte die Video-Serie "What's in my Bag?" gucken, auf dem Youtube-Kanal des besten Indie-Plattenladens der USA, Amoeba Music. Seit mittlerweile fast 20 Jahren laden die Amoeba-Macher dafür Popheldinnen ihres Vertrauens ein - von Stars wie Gang Of Four, St. Vincent, Noel Gallagher oder Questlove bis zu Pop-Hipstern wie King Krule, Nilüfer Yanya, Khruangbin oder zuletzt Santigold -, im Laden einzukaufen und fünf Alben vorzustellen, die sie begeistern oder begeisterten. Wer noch kundigere und freundlichere Einladungen zu guter Musik braucht (die nebenbei auch noch ungewöhnlich intime Mini-Porträts der Musiker sind), der darf auch noch seine Seele an die Streaming-Dienste verkaufen. Jens-Christian Rabe

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusPhoebe Waller-Bridge
:"Ich habe James Bond nicht umgebracht"

Phoebe Waller-Bridge über ihren Anteil am 007-Drehbuch, einen Unfall am Set von "Indiana Jones" und Harrison Fords Liebe zum Scotch.

Interview von David Steinitz

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: