Guttenberg und die Plagiatsaffäre:Die verachtete Wissenschaft

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Die Plagiatsdebatte um Verteidigungsminister Guttenberg zeigt, was Merkel & Co. sowie ein Großteil der Bevölkerung von der akademischen Welt halten. Wissenschaft ist für sie so unwichtig, dass man dort krumme Touren drehen kann, Forscher sind nur weltvergessene Eierköpfe. Das Ergebnis: Der Minister ist etwas angesengt, die Wissenschaft in Deutschland aber schwer beschädigt.

Thomas Steinfeld

Die Universität Bayreuth hat Karl-Theodor zu Guttenberg den Doktorgrad entzogen. Minister aber bleibt er, jedenfalls bis auf weiteres. Er habe "nicht bewusst getäuscht", sagt er. Wer immer in seiner Dissertation gelesen hat, wird ihm das nicht glauben - bei weit mehr als hundert, vielleicht sogar mehreren hundert nicht ausgewiesenen Übernahmen aus Werken anderer Autoren, von denen viele zudem gegenüber den Originalen leicht verändert sind.

Der Umschlagtext des Buchs "Fußnoten" von Karl Theodor zu Guttenberg, dem Großvater des Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg. (Foto: dapd)

Weil die Universität Bayreuth von ihren Promovenden eine "ehrenwörtliche" Erklärung verlangt, man habe die Arbeit allein und selbständig verfasst, wird sich vielleicht noch eine Kommission mit dem Willen zur Täuschung beschäftigen. Ob dabei etwas herauskommt, ist eher ungewiss, aus politischen Gründen. Aus Guttenbergs Sicht ist der Skandal jedenfalls erledigt.

Zurück aber bleiben nicht nur ein etwas angesengter Minister, sondern eine verheerte akademische Landschaft. Das liegt nicht nur daran, dass sich nun Hunderttausende Prüfer fragen müssen, welche Standards von Selbständigkeit und Originalität sie an die Arbeiten ihrer Kandidaten anzulegen haben. Es liegt noch weniger daran, dass die Kluft zwischen einem "summa cum laude" und einem aberkannten Doktorgrad ein erhebliches Maß an Willkür im Umgang mit Qualifikationsarbeiten auf Seiten der Universität offenbart.

Das liegt vor allem daran, dass in dieser Affäre deutlich wurde, was das regierende Personal tatsächlich über die Universität denkt. Es gebe in Deutschland andere Probleme als Fußnoten, sagte Volker Bouffier, der hessische Ministerpräsident (als ob Plagiate gleich Fußnoten wären). Und die Bundeskanzlerin erklärte, sie haben einen Verteidigungsminister und keinen wissenschaftlichen Mitarbeiter berufen (als ob ein Täuscher und Blender dasselbe wäre wie ein Assistent). Die beiden wissen sich einig mit einem Großteil der Bevölkerung, der Betrügereien im akademischen Betrieb offenbar für eine lässliche Sünde hält - im Unterschied zu Betrügereien im Sport, zum Doping, das in den Augen derselben Menschen unnachsichtig geahndet gehört.

Die Voraussetzung für solche Lässigkeit ist die Überzeugung, dass die gesellschaftliche Sphäre, in der sich Guttenberg seine Verfehlungen hat zuschulden kommen lassen, insgesamt von untergeordneter Bedeutung ist. Und das heißt nicht nur, dass es in Deutschland Wichtigeres gibt als Wissenschaft. Sondern es heißt auch, dass Wissenschaft so unwichtig ist, dass man dort krumme Touren drehen kann, ohne in den Sphären, die wirklich wichtig sind, Konsequenzen befürchten zu müssen. Die Unaufrichtigkeit des Verteidigungsministers fällt nicht ins Gewicht, weil sie in eine Sphäre fällt, die als solche nicht ins Gewicht fällt.

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Seitdem die Ergebnisse der ersten Pisa-Studie vor gut zehn Jahren als nationale Katastrophe behandelt wurden, vor allem von Politikern, folgt eine Bildungsinitiative auf die andere. Die Reform der akademischen Ausbildung nach den Prinzipien von Bologna setzte eine radikale Verschärfung des akademischen Wettbewerbs in die Welt, das Kriterium der Exzellenz teilte die deutschen Universitäten in international konkurrenzfähige Institute und Anstalten von regionaler Bedeutung. All diese Reformen wurden, besonders von der Politik, mit der Rhetorik höchster Dringlichkeit, ja des drohenden nationalen Notstands vorgetragen. Nicht weniger als die Zukunft Deutschlands sollte auf dem Spiel stehen.

Aus seiner Sicht ist der Skandal erledigt: Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg. Die Reaktionen der Regierenden offenbaren unterdessen ihre Sicht auf die Wissenschaft in Deutschland. (Foto: dapd)

Exzellenz muss ein Fetisch sein

Was davon tatsächlich zu halten ist, offenbart die Verachtung der akademischen Welt, die aus den Kommentaren Bouffiers und Merkels wie aus Mund vieler Wähler tönt. Und hätte nicht Annette Schavan, die Ministerin für Bildung und Forschung, die Propagandistin der Exzellenz und des akademischen Wettbewerbs, die Erste sein müssen, die in dieser Affäre auf Einhaltung der akademischen Standards pochte - anstatt den Kollegen sogar in Schutz zu nehmen?

Man hat sich offenbar getäuscht. Die Exzellenz muss ein Fetisch sein, der zur obsessiven Beschäftigung der akademischen Welt mit sich selbst dient. Die Aufgabe von Fußnoten besteht demnach nicht darin, die Quellen offenzulegen, den Forschungsstand zu dokumentieren und die intellektuelle Leistung anderer zu achten, sondern darin, Gunst- und Autoritätsbeweise zu spendieren. Und der akademische Betrieb besteht dieser Wahrnehmung zufolge in eben jener Ansammlung ebenso weltvergessener wie intriganter Eierköpfe, die der gesunde Menschenverstand, wie er im Volke so verbreitet ist, schon immer in der Wissenschaft erkennen wollte.

Denn worauf zielen die demoskopischen Umfragen, die in den vergangenen Tagen veranstaltet wurden, um die Reaktion der Wähler auf diese Affäre zu ermitteln - wenn nicht auch der Suggestion, es ließe sich über die Bedeutung der Standards, die der Verteidigungsminister verletzte, eine Volksabstimmung durchführen?

Man kann nicht auf der einen Seite erklären, Bildung sei die wichtigste Ressource dieses Landes, um auf der anderen Seite die Qualifikationsstandards dem Populismus zu überlassen. Man kann Wissenschaft nicht gleichzeitig beschwören und verachten. Geschehen ist es trotzdem. Darin besteht die Verheerung, die diese Affäre zurücklässt.

© SZ vom 23.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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