Man muss kein Corona haben, um die Pandemie als sehr anstrengend zu empfinden. Seit über einem Jahr versucht unser Verstand zu sortieren, was da gerade vor sich geht - und wie man sich selbst dazu am sinnvollsten verhält. Extra Herausforderung für Resilienz und Empathie: Mit jeder Infektionswelle, mit jedem Impffortschritt, Studienergebnis, Intensivstationsalarm oder Notbetreuungsprogramm muss sich der Kopf wieder neu sortieren. Wie sehr bedroht mich das Virus direkt? Was schaffe ich darüber hinaus, um zur Eindämmung der Pandemie beizutragen? Und für welche Menschen muss ich solidarisch mitdenken, weil ihre Gesundheit in dieser Situation von meiner Freiheit ziemlich unmittelbar abhängt?
Skepsis gegenüber Astra Zeneca:"Man impft sich nicht nur für sich, sondern auch für die anderen"
Der Dachauer Hausarzt Stephan Herf spricht über die Probleme mit dem Impfstoff Astra Zeneca. Warum er trotzdem für dessen Verimpfung plädiert und 70-Jährige, die nur Biontech wollen, sogar unsolidarisch findet.
Eine Gruppe, die vom Kopfzermartern über Generationensolidarität anscheinend bislang relativ verschont blieb, sind zumindest Teile der sogenannten Älteren. Also manche Menschen über 60 Jahre, die bisher am stärksten vom Virus bedroht waren, und womöglich deshalb wenig Kapazitäten hatten, über die Jüngeren nachzudenken.
Immer mehr Hausärzte und Impfzentren berichten von wählerischer Kundschaft
So ließe sich zumindest erklären, warum manche von ihnen jetzt selbstbewusst auf einen angebotenen Impfstoff von Astra Zeneca verzichten wollen, um dann später einen vermeintlich besseren mRNA-Impfstoff von Biontech oder Moderna abzusahnen. Immer mehr Hausärzte und Impfzentren berichten von solch wählerischer Kundschaft, die damit das Impftempo insgesamt verlangsamt, sodass jüngere Menschen noch später als bislang ihren Schutz bekommen. Der Virologe Christian Drosten schimpfte im NDR-Podcast diese Woche: "Die jüngeren Leute im ganzen Land haben sich jetzt in ihrem Leben seit über einem Jahr eingeschränkt, mit Rücksicht auf die Älteren. (...) Wenn über 60-Jährige jetzt sagen: Och, ich nehme doch lieber später Biontech als jetzt eine Astra-Dosis, da muss man wirklich sagen: Dann nimmt man im Juni einem Jüngeren die Impfung weg! Das ist nicht in Ordnung!"
Oder, noch etwas radikaler gedacht: Man könnte an Menschen über 60 nur noch und wirklich ausschließlich das Astra-Vakzin verimpfen. mRNA-Impfstoffe gehen dann wiederum exklusiv an Jüngere - zum Beispiel an Busfahrerinnen, Friseure, Verkäuferinnen oder Eltern von Schulkindern. Das würde den schnellen Schutz der Risikogruppen verlangsamen, das Impftempo insgesamt aber ließe sich so beschleunigen. Schon klar, das ist ein Gedankenexperiment. Risikogruppen schützen ist das Wichtigste. In Anbetracht der Tatsache aber, dass zwar ältere Menschen bald geimpft sein könnten, aber die Pandemie damit nicht zu Ende ist, wäre es nett, wenn sich auch die Jüngeren darauf verlassen könnten: dass sich alle Menschen in alle Richtungen weiter umeinander Gedanken machen. So anstrengend das auch ist.