Propaganda im Netz:Die gefährliche Sehnsucht nach dem Ausschaltknopf

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Die "Daily Show" stellt berüchtigte Tweets von Donald Trump in Chicago aus. (Foto: AFP)

Bots, Filterblasen, Fake News, Facebook: Viele geben dem Internet die Schuld für den Aufstieg von Trump und AfD. Dieser Diskurs ist falsch - weil er die wahren Ursachen politischer Probleme verschleiert.

Kommentar von Jannis Brühl

Donald Trumps Wahlsieg vor einem Jahr war ein Schock für Linke und Liberale im Westen. Um sich und anderen zu erklären, was passiert ist, greifen sie immer wieder zu einer Theorie: Nationalisten von Trump bis zur AfD verdanken ihren Aufstieg nur dem Internet, vor allem der vermeintlich dunklen Macht der sozialen Medien.

Die Theorie taucht in immer neuen Varianten auf: Erst lag es an sogenannten Fake News auf Facebook, die angeblich die Gehirne der Bürger waschen. Dann sollten Social Bots schuld sein, also Software, die menschliche Nutzer in sozialen Medien imitiert und Propaganda verbreitet. Wahlweise lag es auch an der Filterblase, die Menschen von fremden Meinungen isoliert, bis sie zu Fanatikern werden. Weitere Sündenböcke sind aus Russland bezahlte Anzeigen auf Facebook und die angeblichen Psycho-Tricks der Big-Data Firma Cambridge Analytica. Diese Ängste überschatteten auch den Bundestagswahlkampf. Wirklich passiert ist dann: nichts.

Was stimmt: Die Kosten des Informationskrieges sind drastisch gesunken. Dank der Möglichkeiten der zielgerichteten Werbung ( Targeting) kann jeder Staat und jeder Geheimdienst jedem Social-Media-Nutzer auf der Welt jede Information - und damit jede Lüge - anzeigen. Das Erkennen von Falschinformation und nichtmenschlicher Kommunikation wird zu einer der wichtigsten Bildungsaufgaben für künftige Generationen. Noch ist aber unklar, inwieweit automatisierte Tweets und gezielt geschaltete Polit-Anzeigen überhaupt Menschen illegitim manipulieren können.

Dass Wähler wissen, was sie tun, scheint unvorstellbar

Die verengte Debatte, in der die sozialen Medien als Schuldige ausgemacht werden, ist riskant. Brexit, Trump und AfD sind in erster Linie Symptome einer politischen Krise. Teile der liberalen Öffentlichkeit reagieren auf diese aber mit einer Art Techno-Paranoia und suchen die Schuld im Digitalen. Sie erklären komplexe politische Ursachen wie die Nachteile der Globalisierung oder die Wunden der deutschen Einheit zu einem technischen Problem: Die Wähler von AfD und Trump wurden halt im Internet manipuliert, da muss Facebook doch was tun! Dass die Wähler wussten, was sie taten, dass die Netzwerke in erster Linie gesellschaftliche Probleme abbilden, scheint unvorstellbar.

Manche Anhänger der US-Demokraten hat sich in den Monaten nach Trumps Sieg in einen verschwörungstheoretischen Rausch gesteigert. In ihrer Vorstellung vernichtet Russland mit Trumps Gang als fünfter Kolonne gerade Amerikas Demokratie (in diesen Kreisen werden ironischerweise oft "Fake News" verbreitet). Zuletzt gaben die Regierungen Spaniens und Großbritanniens russischen Trollen und Bots Mitschuld an ihren innenpolitischen Krisen. Wer die Entscheidungen der Wähler monokausal mit sozialen Netzwerken erklären will, ist im besten Fall naiv, im schlimmsten Fall sucht er einen Sündenbock.

Das führt zu allzu simplen Forderungen. Facebook, blockiere Fake News, dann ist die Aufklärung gerettet! Google, schmeiß' die Holocaust-Leugner aus den Suchergebnissen, dann verschwindet der Antisemitismus! Twitter, schalte die Bots ab, dann reden alle wieder zivilisiert miteinander!

In einigen Bereichen besteht tatsächlich Handlungsbedarf: Die Konzerne sollten transparent machen, ob und wie Algorithmen zur Polarisierung beitragen, etwa wenn sie Nutzern immer radikalere Beiträge empfehlen. Der Hackerangriff auf die demokratische Partei war ein dramatischer Eingriff in den Wahlkampf. Er wird untersucht. US-Politiker pochen zurecht darauf, dass sich (nicht nur) ausländische Akteure zu erkennen geben, wenn sie im Netz Wahlwerbung schalten. Auch in Deutschland sind neue Regeln dafür nötig.

Die Konzerne sollen die Spaltung der Gesellschaft beenden

Doch die Politik geht einen Schritt weiter. Sie glaubt, einen Ausschaltknopf für die Spaltung der Gesellschaften gefunden zu haben: Sie will die Konzerne aus dem Silicon Valley verpflichten, Verantwortung für ihre Inhalte zu übernehmen, wie es Medienunternehmen tun. Aber es sollte nicht Facebook sein, das nach politischen Kriterien darüber entscheidet, was zwei Milliarden Menschen täglich zu sehen bekommen.

Zwar gibt es gute Gründe, die IT-Konzerne einer Regulierung zu unterwerfen. Wurzel des Problems sind aber nicht die Beiträge in den Netzwerken, sondern die ökonomische Macht der Unternehmen: An ihnen führt für viele Bürger kein Weg vorbei, sozialer Austausch und Teilhabe fallen ohne Facebook & Co. deutlich schwerer. In Kombination mit ihren gigantischen Kapitalreserven, die sie durch Steueroasen schleusen, sind die Konzerne Machtzentren geworden.

Das Wettbewerbsrecht ist mit IT-Unternehmen oft überfordert. Sie agieren international und verlangen für ihre Produkte nicht einmal Geld. Nutzer bezahlen mit Daten, auf deren Grundlage Anzeigenkunden personalisierte Werbung schalten. Dabei wäre zum Beispiel zu prüfen, ob das Unternehmen Facebook mit seinem Hauptnetzwerk, mit Instagram und Whatsapp nicht eine zu starke Position in unserer täglichen Kommunikation einnimmt. Denn die Vorteile, von denen soziale Netzwerke ohnehin schon profitieren (die Netzwerkeffekte), multiplizieren sich, wenn eines von ihnen mit dem anderen verbunden wird.

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Gefragt ist also nicht die Überwachung von Nutzerbeiträgen, sondern Wettbewerbs- und Steuerrecht. Dass die Staaten bei beidem nur mühsam vorankommen, lässt Forderungen nach Inhaltskontrollen attraktiv erscheinen, um den Konzernen beizukommen.

Der Furor, mit dem soziale Medien für politische Polarisierung verantwortlich gemacht werden, erscheint ein Stück weit wie Projektion. Er unterschlägt etwa, dass die AfD nicht "aus dem Internet" kommt, sondern auf breitem anti-europäischen Ressentiment und Fremdenfeindlichkeit gewachsen ist. Und auf den Bestseller-Thesen von Thilo Sarrazin über Muslime, die Bild und Spiegel schon 2010 per Vorabdruck in die Mitte der Gesellschaft getragen haben.

Ein weiteres Beispiel: Vergangenen Winter erfasste die Hysterie über Cambridge Analytica Journalisten und Aktivisten. Sie beschrieben die Datenfirma als manipulatives Mastermind hinter den Ergebnissen der US-Wahl und des Brexit-Referendums. Dabei blendeten sie zum einen aus, dass Trumps Aggressivität auch ohne schmutzige Tricks in sozialen Medien besser funktioniert als Hillary Clintons Wahlkampf. Zum anderen ignorierten sie, dass die alteingesessene britische Boulevardpresse vor der Brexit-Abstimmung eine massive Anti-EU-Kampagne gefahren hatte, die es an Perfidie mit russischer Auslandspropaganda aufnehmen konnte. In den USA haben "talk radio" sowie Fox News und MSNBC die Polarisierung der Bevölkerung schon vorangetrieben, als Modems noch laut piepten und Mark Zuckerberg in seinem Kinderzimmer auf dem Atari tippte.

Gefährlicher Patriotismus im "Cyberwar"

Ironischerweise ähneln die irrationalen Erklärungsmuster der Linken dem Diskurs der Rechten, der auf Angst und Unwissenheit setzt. Die einen verlieren ihren Job und machen Flüchtlinge und Einwanderer dafür verantwortlich, die anderen sind schockiert von Trump und suchen die Ursache in Phänomenen, die ihnen fremd und bedrohlich erscheinen: Bots, Fake News, Filterblasen. Treffen diese Technologien auf eine verunsicherte politische Öffentlichkeit, gibt es eine Art Kurzschlussreaktion: " Das muss die Erklärung sein! Bots!!!"

Dieses verkürzte Verständnis von Digitalem und Demokratie führt zu einem gefährlichen Schluss. Wer das Silicon Valley als Verursacher innenpolitischer Probleme sieht, der erwartet auch, dass die Lösung von dort kommen muss. Aber wie soll diese aussehen? Sollen Konzerne, die bereits Daten von Milliarden Nutzern besitzen, Informationen auf Zuruf des Staates neu sortieren, filtern und löschen? Was bei Straftatbeständen wie Volksverhetzung oder Beleidigung dringend nötig ist, sollte nicht ausgeweitet werden, um allgemeine Informationsströme zu kontrollieren. Das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das insbesondere Facebook zur Löschung von Beiträgen zwingen soll, zeigt, wie unausgegoren solche staatlichen Eingriffe enden können. Es dürfte zu einer Praxis führen, in der Facebook noch willkürlicher Beiträge löscht.

Was auf dem Spiel steht, wurde in der Kongress-Anhörung der Juristen von Facebook, Google und Twitter in einem Kommentar der Senatorin Dianne Feinstein deutlich. Es gehe um "Cyberkrieg", die IT-Konzerne müssten mithelfen, belehrte sie deren Vertreter. Die Politikerin der Demokraten forderte also Patriotismus von den Konzernen, wie es in Kriegszeiten geschieht.

Nur muss davon ausgegangen werden, dass die Politik diesen "Cyberwar" zum Normalzustand ausruft. Schließlich wird Russland seine Online-Propaganda ebenso wenig einstellen wie Hacker von der NSA bis Nordkorea ihre Angriffe. Eine Allianz aus IT-Konzernen und Regierungen in einer Art ewigem Krieg ist wohl kaum das, was diejenigen im Sinn haben, die die Demokratie vor der Technologie schützen wollen.

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