Stimmen zur "Verfassungszeit":Viel Verwirrung um ein Viertelstündchen

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In der Aula der Universität tagt im September 1946 die Verfassungsgebende Landesversammlung. Sie erarbeitete die Bayerische Verfassung, die nun an den Schulen stärker in den Fokus genommen werden soll. (Foto: Keystone Pressedienst)

Die "Verfassungs-Viertelstunde" im neuen Koalitionsvertrag löst unterschiedliche Reaktionen aus. Vor allem die Lehrer sind nicht begeistert.

Von Johann Osel, München

Schon die erste Idee zum Schuljahresbeginn im September blieb nicht ohne Widerspruch. Das Morgengebet an Schulen solle durch eine "Verfassungszeit" ersetzt werden, schlug da der Bayerische Landesverein für Heimatpflege vor. Statt des religiösen Impulses sollen Texte aus der Verfassung des Freistaats oder aus dem Grundgesetz vorgetragen werden. Die Kirche verliere an Bedeutung, weshalb es säkulare Konzepte brauche, um den Menschen die grundlegenden Vorgaben für ein friedliches Zusammenleben in Freiheit zu vermitteln, befand damals Rudolf Neumaier, Geschäftsführer des Heimatpflege-Vereins. "Gerade die Bayerische Verfassung liest sich wie eine Bergpredigt der Staatskunst." Es folgte prompt ein Grummeln der Kirchen. Und ansonsten der Einwand, dass an staatlichen Schulen ohnehin meist nicht gebetet werde. Vorschlag beerdigt?

Jetzt, im neuen Koalitionsvertrag von CSU und Freien Wählern, hat die Idee ihr staatstragendes Comeback. In bayerischen Schulen soll es demnach künftig eine "Verfassungs-Viertelstunde" pro Woche geben. Wie Ministerpräsident Markus Söder (CSU) am Donnerstag sagte, soll in den 15 Minuten über eine Textstelle aus Grundgesetz oder bayerischer Verfassung gesprochen oder über Werte diskutiert werden, unter "maximaler pädagogischer Freiheit". Es gehe nicht um "Institutionen-Lehre", wie sie ihn, den späteren Berufspolitiker, zu Schulzeiten begeistert habe, was wohl nicht der Regelfall sei. Sondern um "praktische Anwendung von Demokratie", erklärte Söder und verschwieg den Heimatpflege-Verein als Impulsgeber nicht. Gereift sei das Vorhaben indes durch die symbolischen Unter-18-Wahlen im September, in der die AfD stark abgeschnitten hatte.

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Und auch jetzt ließ Kritik nicht lange auf sich warten. Der Philologenverband fragte in einer Mitteilung, wie das mit der dringend nötigen Entlastung an den Schulen zusammenpasse. Vorsitzender Michael Schwägerl findet: Das Anliegen hinter der Viertelstunde sei absolut berechtigt, es sei aber zu kurz gegriffen, diesen Auftrag nur an den Schulen zu sehen. Der Realschullehrerverband sieht konkrete Fragen zur Ausgestaltung dieser Viertelstunde. Der Bayerische Jugendring, Initiator der besagten U-18-Wahlen, kritisiert den Plan. "Über die Idee kann man eigentlich nur den Kopf schütteln", sagte Präsident Philipp Seitz: "Einerseits die gesellschaftspolitischen Fächer immer wieder kürzen und dann eine Viertelstunde pro Woche, um sich mit der Verfassung zu beschäftigen?" Auch sonst macht ihn der Koalitionsvertrag mit Blick auf die Belange des Jugendrings sprachlos: "Das Wort Jugendarbeit taucht nicht einmal auf."

Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze teilte mit: "Mehr politische Bildung ist dringend nötig. Das Verfassungs-Viertelstündchen pro Woche ist ein Placebo. So eine Druckbetankung in einer Viertelstunde kann nicht die einzige Antwort auf den Rechtsrutsch und den zunehmenden Populismus sein." Empört zeigt man sich in AfD-Kreisen. Wobei, wie etwa der AfD-Abgeordnete Oskar Lipp spöttelt, bei mehr Demokratieunterricht Schüler eine Ausgrenzung der AfD erkennen würden, "das Demokratiedefizit von CSU und Grünen", wie er glaubt.

Vom Landesverein für Heimatpflege wiederum kam Kritik an der Kritik des Philologenverbands. Diese Viertelstunde koste nichts und bedürfe "für die hervorragenden bayerischen Pädagoginnen und Pädagogen auch gewiss keiner großen Vorbereitung", sagte Geschäftsführer Neumaier. Den Lehrermangel dürfe man nicht als Argument gegen einen Verfassungsimpuls anführen. Wenn Lehrer wirklich damit überfordert wären, könne sein Verein auch Video-Spots mit Verfassungspassagen vorbereiten, als Basis. Er ist überzeugt: Die Viertelstunde werde sich als probates Mittel erweisen, junge Menschen "von den klugen Ideen der Urheber von Grundgesetz und Bayerischer Verfassung zu begeistern".

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Viele Stimmen, ein großes Durcheinander. Eine Zwischenposition nimmt Simone Fleischmann ein, Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV). "Bitte keine zu große Aufregung, es ist ja nicht so, dass jetzt die ganze Stundentafel umgeworfen werden muss." Schon jetzt, sagte sie, gehen Lehrerinnen und Lehrer auf die Ängste von Kindern ein, wenn diese glaubten, dass die Welt aus den Fugen gerät, wenn sie die Debatten daheim am Küchentisch mitbekommen. "Das tun wir schon jetzt in den Schulen, wir haben Profis am Start, wenn auch zu wenige", sagt Fleischmann unter Anspielung auf den Lehrkräftemangel. Über Formate werde man sich schon einig, auch die Viertelstunde würde man "professionell hinkriegen". Jedoch: "Es ist auch schon früher viel in Koalitionsverträgen gestanden". Ein Gutes an dem Hickhack sei: "Es wird damit über den Wert der Schulen für die Gesellschaft diskutiert und darüber, was die Demokratie uns allen als Hausaufgabe mitgibt."

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