Für den vielleicht wichtigsten Satz lässt sich Michael Piazolo ein bisschen Zeit. Der Kultusminister (FW) hat an diesem Freitag eigentlich ins Münchner Literaturhaus geladen, um über das neue Schuljahr zu sprechen. Stattdessen geht es erst einmal um die vergangenen Schuljahre: um die Lehrerbedarfsprognose, mit der das Ministerium versucht, in die Zukunft zu schauen - und um die Maßnahmen, die unternommen wurden, um Personal für Bayerns Schulen zu akquirieren. Das Ergebnis, aus Piazolos Sicht: Was die Unterrichtsversorgung des Schuljahres 2023/24 betreffe, stehe man besser da als im Vorjahr. Und: "Wir sind aktuell voll im Plan."
Sicher? Nicht alle sind von diesem Plan gleichermaßen überzeugt. Die Schule geht zwar erst am Dienstag wieder los - doch was dann womöglich zu erwarten ist, daran gibt es seit Tagen Kritik. Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) geht davon aus, dass mancherorts wieder Unterricht ausfallen könnte. Fürths Schulbürgermeister warnte im Bayerischen Rundfunk, der Lehrermangel gehe vor allem zu Lasten zusätzlicher Angebote wie der Theater-AG. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Bayern forderte, "die dramatische Bildungskrise" anzugehen, zuletzt hätten mehr als 6000 junge Menschen die Schulen ohne Abschluss verlassen. Und die SPD-Landtagsfraktion befand: "Schöne Worte zu Schulbeginn helfen Bayerns Kindern nicht." Auch wenn sich das Kultusministerium gerne selbst lobe, sei die Situation "alles andere als zufriedenstellend".
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Piazolo ist am Freitag darum bemüht, der Kritik zu begegnen. Er erklärt, er wirbt um Verständnis. Und er verweist auf die Statistik zum neuen Schuljahr. Demnach wurden gut 3700 neue Lehrkräfte gewonnen, sie sollen in erster Linie die Planstellen abdecken. Hinzu kommt eine noch unbekannte Zahl an Vertragslehrkräften, vor allem an den Grund- und Mittelschulen. Außerdem beginnen rund 4000 Menschen eine Lehramtsausbildung. Unter ihnen sind allein 600 Quereinsteiger, die vorher einen anderen Beruf erlernt haben und nun im Rahmen eines zweijährigen Referendariats umgeschult werden. Auf das Instrument des Quereinstiegs hält Piazolo große Stücke; bei der Hotline, die das Ministerium für Interessierte eingerichtet hat, seien "viele Anfragen" eingegangen.
Lehrermangel herrscht trotzdem weiter. Ein Grund dafür lässt sich ebenfalls der Statistik zum neuen Schuljahr entnehmen: Schulartübergreifend sind rund 1,67 Millionen Kinder und Jugendliche zu unterrichten und zu betreuen - 31 200 mehr als im Schuljahr zuvor. Vor allem an den Grund- und Mittelschulen ist das Plus mit 3,9 Prozent groß. Das liegt einerseits an der Demografie, Bayern ist Zuzugsland. Andererseits gilt es, zusätzlich gut 30 000 ukrainische Kinder in die Schulen zu integrieren. Rein rechnerisch entspreche das ungefähr einem Abiturjahrgang, sagt Piazolo, "das ist schon wuchtig".
In der Schulfamilie kennen sie die sich daraus ergebenden Zwänge natürlich. Manche gehen auch davon aus, dass angesichts der Zahl an Neueinstellungen das neue Schuljahr tatsächlich besser laufen wird als das alte. Dennoch sei von Schule zu Schule unterschiedlich, wie viel Unterricht am Ende gehalten werden könne. Unverständnis äußern BLLV und GEW dafür, dass das Ministerium zwar verstärkt auf Quereinsteiger setzt - darüber aber an anderen Hebeln nicht stark genug ziehe, um der Personalnot zu begegnen. Zum Beispiel werde jungen, voll ausgebildeten Lehrkräften häufig eine Anstellung versagt, heißt es von der GEW.
Auch wer aus anderen Bundesländern nach Bayern wechseln will, hat es mitunter schwer. Eine Betroffene erzählte der SZ, ihr sei gar geraten worden, es doch lieber in Baden-Württemberg zu versuchen. Dabei hatte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zu Jahresanfang verkündet, Lehrkräfte bundesweit abwerben zu wollen. Abschließende Zahlen hierzu liegen laut Kultusministerium noch nicht vor. Man verzeichne zwar ein Plus, sagt Piazolo, aber "keinen riesengroßen Zustrom". Ein Lehrer, der seit 20 Jahren in Schleswig-Holstein unterrichte, werde wahrscheinlich eher nicht nach Bayern wechseln wollen - aber vielleicht ja ein Referendar.
An der Ausgangslage können indes die besten Ideen nichts schnell ändern. Die Personalnot dürfte daher auch in den folgenden Schuljahren das dominante Thema bleiben. Zum Beispiel haben Familien mit Grundschulkindern von 2026 an einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung - der noch mehr Fachkräfte als heute nötig macht. Und auch in der freien Wirtschaft herrscht Personalnot. Längst konkurrieren Staat und Markt um wenige Köpfe.
Jetzt aber kommt ja erst mal das Schuljahr 2023/24. Piazolo sagt, er wolle nichts beschönigen, natürlich gebe es Herausforderungen. Aber er wundere sich schon über den "Furor, mit dem die Schule schlechtgeredet wird". Vielmehr müsse Schule doch ein Ort sein, an den man gerne hingehe.