Endlich nach Bayern kommen! Das hat Frau Müller ja versucht, so erzählt sie es. Frau Müller ist eine Art seltene Spezies, nämlich Lehrerin - und sie wollte jahrelang gerne nach Südbayern ziehen, wo auch ihr Mann arbeitet, statt weit entfernt in Norddeutschland zu unterrichten. "Außerdem gefällt mir das Schulsystem", sagt sie am Telefon. Gut 30 Bewerbungen habe sie deshalb an bayerische Schulen geschrieben. Bei einigen habe sie sich auch persönlich vorgestellt, doch trotz "gegenseitigen Interesses" am Ende nur Ablehnungen gesammelt. Von Seiten der bayerischen Behörden sei ihr signalisiert worden, dass ihr "individuelles Vorgehen nicht erwünscht" sei, sagt Frau Müller. "Und meine beiden sehr guten ersten und zweiten Staatsexamen nützen mir auch nichts."
Eine Lehrerin, die Bayern nicht haben will? Dabei ist der Engpass an Pädagoginnen und Pädagogen hierzulande so groß, dass Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sie aus anderen Bundesländern abwerben will. Doch das wäre manchmal gar nicht nötig. Immer wieder gibt es Lehrkräfte, die sich freiwillig um die Versetzung in den Freistaat bemühen - aber Absagen kassieren. Trotz Personalmangels.
Frau Müller heißt eigentlich anders. Den echten Namen soll man bitte nicht schreiben: Der Wechselwunsch käme womöglich nicht so gut an bei den Vorgesetzten daheim. Auch wegen solcher Sorgen lässt sich kaum beziffern, wie viele Menschen vor Klassen in NRW oder Bremen stehen statt vor den gewünschten in Bayern. Sicher ist, dass Frau Müller nicht alleine ist. So erzählt eine Frau Schmidt - noch so ein falscher Name -, dass sie sich in Bayern auf Stellen beworben habe, die die Schulbehörden mangels Bewerbern bereits zum zweiten oder dritten Mal ausgeschrieben hätten. Trotzdem sei sie abgelehnt worden. "Stattdessen hat man mir vorgeschlagen: Gehen Sie doch nach Baden-Württemberg!"
Nachprüfen lassen sich diese und ähnliche Schilderungen nur bedingt. In jedem Fall genießt der Freistaat in der Schulfamilie nicht den Ruf, besonders entgegenkommend auf Wechselgesuche zu reagieren. Die Ablehnungsgründe sind vielfältig. Mal passt die Fächerkombination nicht. Mal erkennt Bayern den Abschluss aus einem anderen Bundesland nicht als gleichwertig an - egal, wie lange und wie gut die Betroffenen damit schon unterrichten. Mal findet sich kein Gegenüber. Denn neben der sogenannten freien Bewerbung haben die Länder untereinander ein Tauschverfahren etabliert. Die Idee, vereinfacht: Gibst du mir einen Pädagogen, gebe ich dir einen anderen zurück. Ein Nullsummenspiel.
91 solcher Tauschvorgänge waren laut Kultusministerium zum Einstellungstermin September 2022 erfolgreich; wie viele fehlschlugen, nennt es nicht. Hinzu kamen rund 280 Menschen, die ihren Vorbereitungsdienst anderswo absolviert und sich im Rahmen der freien Bewerbung um eine Stelle in Bayern bemüht hatten. "Diese wurden größtenteils auch eingestellt", heißt es aus dem Ministerium. Ein Problem: Oftmals hätten Bewerber aus einem anderen Bundesland einen ganz spezifischen Ortswunsch und seien wenig flexibel bei der Ortswahl. Sie hätten es jedoch "auch nicht schwerer bei der Einstellung als bayerische Bewerber", es gelte das "Prinzip der Bestenauslese".
An dem Prozedere hat Simone Strohmayr allerdings ihre Zweifel. Zu starr und bürokratisch findet sie es, "antiquiert". Die bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion erhält nach eigenen Worten regelmäßig Post von Menschen, die gerne in Bayern unterrichten würden. Unter all den Ablehnungsgründen will sie vor allem einen Knackpunkt ausgemacht haben: Immer wenn es um bereits in anderen Bundesländern eingezahlte Pensionsrückstände gehe, werde das Wechseln nach Bayern besonders kompliziert. "Da müssten die Länder gemeinsam eine flexible Lösung finden", sagt Strohmayr. Stattdessen aber ziele Söder mit seinen Abwerbeversuchen bewusst an bestausgebildeten Fachkräften vorbei. "Er will nur Leute, die frisch von der Uni sind" - noch nicht verbeamtet also und möglichst ungebunden. Dass aber die Menschen heute mobiler seien als früher und viele Bewerber älter, werde nicht berücksichtigt.
Laut Bayerischem Lehrer- und Lehrerinnenverband fehlen im Freistaat bis zu 4000 Lehrkräfte. Dass sich so viel Personal zeitnah anderswo abwerben lässt, gilt in der Schulfamilie als eher aussichtslos. Um zumindest einigen mehr den Umzug schmackhafter zu machen, will die Staatsregierung eine Prämie von 3000 Euro brutto an jene auszahlen, die sich für den Einsatz in einer Region mit "besonderem Personalbedarf" entscheiden. Die Details werden laut Kultusministerium derzeit final abgestimmt und sollen rechtzeitig für das Bewerbungs- und Einstellungsverfahren veröffentlicht werden. Man nehme gerne qualifizierte Bewerber aus anderen Bundesländern auf, lässt Minister Michael Piazolo (FW) mitteilen. Nichtsdestotrotz müssten Interessenten die entsprechenden Anforderungen erfüllen - etwa "eine der bayerischen Ausbildung gleichwertige Ausbildung". "Passen Qualifikation, Wunschzielort und entsprechender Bedarf vor Ort zusammen, steht einer Anstellung nichts im Wege."
Tatsächlich stehen den gescheiterten Fällen etliche geglückte gegenüber. Auch Frau Schmidt kennt solche. "Bei einer Bekannten hat es im ersten Versuch geklappt", sagt sie. Warum? Das würde sie auch gerne wissen. "Ich habe den Eindruck, das wird willkürlich entschieden, wer in Bayern als Lehrkraft arbeiten darf." Sie werde sich dennoch weiterbewerben, passende Stellenangebote vorausgesetzt. Frau Müller ist inzwischen der Wechsel in ein anderes, drittes Bundesland geglückt. Von der neuen Schule aus ist es nicht weit bis zur bayerischen Grenze. Näher werden sich Frau Müller und der Freistaat vielleicht auch nicht mehr kommen.