Bildungspolitik:Jetzt sollen es die Quereinsteiger richten

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In Bayerns Klassenzimmern fehlen die Lehrer. Das ist zwar keine neue Erkenntnis, aber noch immer wird nach Lösungen gesucht. (Foto: David-Wolfgang Ebener/dpa)

Akademiker, die ihren alten Karriereweg verlassen, um als Lehrer die Lücken in den Schulen zu schließen, sind gerade heiß begehrt in Bayern: Eine Kampagne soll sie zum Umschulen bewegen.

Von Maximilian Gerl, Amberg

Stefanie Frisch hätte in der Forschung Karriere machen können und die Welt ein bisschen gesünder. Sie hat Molekulare Medizin studiert und sich mit Tumoren beschäftigt; sie hat parallel in Laboren und Biotechnologieunternehmen gearbeitet, andere Studierende angeleitet und sich mit Gedanken an eine Doktorarbeit getragen. Doch dann, nach dem Masterabschluss, sei sie "aus purem Zufall auf diese Sondermaßnahme gestoßen", erzählt sie am Telefon. Unter anderem für das Berufliche Schulzentrum Amberg wurden Lehrkräfte gesucht. Quereinsteiger willkommen. "Ein sehr sicherer Job im Gegensatz zur Forschung", sagt Frisch, interessant dazu und heimatnah. Kurzerhand verpflichtete sie sich für zwei Jahre als Referendarin. Seit Herbst ist sie mit ihrer Ausbildung fertig und unterrichtet an der FOS/BOS Amberg Gesundheitswissenschaften - nicht als Aushilfe, sondern als ganz normale Lehrkraft. "Ich bin mit offenen Armen empfangen worden", sagt sie.

Menschen wie Stefanie Frisch sind derzeit in Bayern heiß begehrt: Fachkräfte, die ihren alten Karriereweg an den Nagel hängen, um die zahlreichen Lehrerlücken in den Schulen zu schließen. Um mehr Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger zu gewinnen, hat das Kultusministerium sogar eine Kampagne gestartet. Dazu gehört auch eine Hotline, bei der sich die Interessierten von März an melden können. Dort sollen ihnen beispielsweise Schnupperpraktika an Schulen vermittelt werden. Abwerben daheim also statt in anderen Bundesländern, wie von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) erst kürzlich propagiert. Das kann klappen und wird doch nicht reichen.

Stefanie Frisch hat ursprünglich Molekulare Medizin studiert. Heute unterrichtet sie an der FOS/BOS in Amberg. (Foto: privat)

Stefanie Frisch ist eines der Gesichter der Kampagne, ein Vorbild fürs Umschulen. Das ging vorher schon, gut 300 Menschen stiegen so bayernweit in den vergangenen Jahren ins Unterrichten ein. Das Ganze soll nun ausgeweitet werden. Neu ist etwa ein Programm für Mittelschulen, das sich an bisherige Unterstützungskräfte mit Hochschulabschluss richtet. Für die übrigen Schulformen sind Vorerfahrungen im Unterrichten nicht notwendig, aber hilfreich.

Vereinfacht benötigen die Quereinsteiger einen Masterabschluss und kommen erst zum Referendariat in die Lehrerausbildung. In diesen zwei Jahren besuchen sie zusätzliche Pädagogikkurse, absolvieren aber ansonsten dieselben Seminare und Lehrproben wie klassische Lehramtsstudierende. Wer Kinder hat - nicht ungewöhnlich bei Quereinsteigern -, soll das Referendariat in Teilzeit absolvieren können, verspricht das Ministerium auf einer Info-Website. Auch eine spätere Verbeamtung sei möglich. Eine Einstellungsgarantie mit Bestehen der Zweiten Staatsprüfung möchte man jedoch nicht aussprechen.

Der Bayerische Lehrerinnen- und Lehrerverband (BLLV) geht von rund 4000 Menschen aus, die an den Schulen des Freistaats fehlen. Bedarf an Unterstützung, woher auch immer, wäre also vorhanden. Trotzdem schrien an den Schulen nicht alle Hurra, als die Ministeriumskampagne startete - was auch an deren Titel lag, "Im Herzen Lehrer". Manche Lehrkräfte verstanden das so, als ob sie jahrelang ohne Herzblut unterrichtet hätten. Andere wollen erst mal schauen, was da so auf Kollegium, Schüler und Eltern zukommt. Die sprachliche Unschärfe zwischen "Quer-" und "Seiteneinsteigern" trägt ihr Übriges zur Verwirrung bei, obwohl die beiden nur bedingt miteinander vergleichbar sind. Seiteneinsteiger definiert das Ministerium als Aushilfslehrkräfte, die vertretungsweise unterrichten, ohne zuvor den Vorbereitungsdienst absolviert zu haben.

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Gewissermaßen hin- und hergerissen zeigt sich auch BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann. Angesichts des "Krisenzustands" an den Schulen "liegt es auf der Hand, dass uns auch andere unterstützen müssen", sagt sie. "Besser ein Mensch vor der Klasse als keiner."

Grundsätzlich freue sie sich über alle, die ihre Leidenschaft fürs Unterrichten entdeckten. Allerdings dürfe das Mittel des Quereinstiegs die Politik nicht dazu verführen, langfristig an der Qualität der Lehrerausbildung zu sparen. Manche Bildungsexperten formulieren das drastischer. Aus ihrer Sicht könnten Quereinsteiger in den zwei Jahren Vorbereitungsdienst nicht so viel an Erziehungswissenschaft und Didaktik aufholen, um später mit den regulären Lehrkräften mitzuhalten. Vereinzelt ist sogar von "Billiglehrern" die Rede - ein Begriff, der den Betroffenen allerdings nicht gerecht wird.

Bürokratie und Bezahlung sind für Quereinsteiger nicht gerade attraktiv

Kultusminister Michael Piazolo (FW) setzt jedenfalls voll auf die neue alte Zielgruppe, als eine von mehreren Maßnahmen, um dem Lehrermangel zu begegnen. Sein Haus erwartet eine "Bewerberzahl im mittleren dreistelligen Bereich" bis Herbst 2023. Selbst dann wären allerdings die Lücken an den Schulen noch nicht geschlossen, sondern nur punktuell kleiner - und das auch erst in zwei Jahren, nach Ende der Ausbildung.

Ambitioniert macht die Kampagne auch, dass sie gegen den Fachkräftemangel in der freien Wirtschaft antritt. Wer halbwegs mobil ist in der Wohnortwahl, kann sich in vielen Branchen den Arbeitgeber aussuchen, allerlei Boni und Benefits inklusive. Verglichen damit wirken die Aussicht auf Schulbürokratie sowie die Bezahlung im Referendariat nicht gerade verlockend, bemängeln Quereinsteiger wie Interessierte. In den zwei Jahren liegt das Gehalt bei rund 1600 Euro brutto monatlich, je nach Besoldungsstufe und ohne Zuschläge. Das Umschulen muss man sich da im wahrsten Sinne leisten können - vor allem, wenn man schon Kinder hat oder eine Immobilie abbezahlt.

Quereinsteigerin Frisch ist zufrieden mit ihrer Entscheidung. Ihr mache das Arbeiten mit jungen Menschen Spaß, sie könne Wissen weitergeben und Erfahrung. So kann Frisch aus erster Hand berichten, wenn sich Schüler für medizinische Einblicke und Laborarbeit interessieren. Auch ihr Lebenslauf könne Mut machen, findet sie: weil er zeige, "dass im Leben nicht immer alles geradlinig verläuft" und Umwege deshalb nichts Schlechtes sein müssten. Sie selbst, sagt Frisch, würde ihren verschlungenen Pfad jedenfalls noch einmal gehen.

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