Gesprächskultur im Wahlkampf:Reden und reden lassen

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Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger hat auf der Demo gegen das Heizungsgesetz in Erding im Juni gezeigt, dass er bei der Bayerischen Meisterschaft im Populismus ganz vorne dabei ist. (Foto: Matthias Balk/dpa)

Die bayerische Diskussionskultur lässt nicht nur im Wahlkampf zu wünschen übrig. Der eine oder andere tut sich besonders hervor.

Glosse von Franz Kotteder

Neulich war in Chieming was los. Die Grünen wollten im Bierzelt Wahlkampf machen mit dem Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, aber das Publikum hatte den Wortbestandteil "Kampf" überbewertet. Es gab unablässig Pfeifkonzerte und Brüllorgien, ohne ein großes Polizeiaufgebot wären die Rednerinnen und Redner gar nicht ins Zelt gekommen.

Jetzt ist Özdemir von jenem Flügel der Grünen, dessen Radikalität sich im Radwegebau erschöpft und der sich ansonsten mehr so als Öko-FDP gefällt, aber das war offensichtlich wurscht. Im Bayerischen Rundfunk erläuterte ein Teilnehmer, um was es ihm ging: "De ham uns no nia ned oghört, und jetzad lass mas aa nimmer reden!"

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So sieht das also aus, wenn sich ein Bayer die Demokratie zurückholt: nicht gehört werden, nicht zuhören, gar nicht erst reden lassen? Dabei scheint es mittlerweile egal zu sein, um welche (demokratische) Partei es sich handelt. Hauptsache, man hat es den Deppen da oben wieder einmal gezeigt. Ob in Erding, ob in Chieming - wer es als Politiker nicht rechtzeitig schafft, selber mitzuzündeln, dem wird halt ordentlich eingeheizt.

Auch in der Disziplin Populismus gibt es inzwischen Bayerische Meister. Man muss beinahe froh sein, dass ausgerechnet Markus Söder (noch) nicht dazugehört, aber wer weiß schon, was da noch kommt? Vielleicht übt er noch, wenn er über die angeblich drohenden Leberkäs- und Bratwurstverbote herzieht und die ganze Genderei. Womöglich kommt dann doch wieder der Krampf mit dem Asyltourismus und der Asylindustrie und was es sonst noch alles so geben soll, was die Bayern am Genießen ihres Wohlstands hindert.

Man nennt das dann gemeinhin "die Sorgen der Bürger ernst nehmen" und sagt, dass "die Eliten" wieder lernen müssen, sich auf die Bedürfnisse der "normalen Menschen" einzulassen. Das ist sicher nicht verkehrt. Auf der anderen Seite wünscht man sich aber auch, dass die Politik, die man mal gewählt hat, eben nicht die landesweit dumpfesten Gefühle widerspiegelt, sondern gerade denen, die in Wahrheit die Deppen sind, deutliche Grenzen setzt. Vielleicht sind nämlich viele Sorgen gar nicht begründet oder grundverkehrt und es mag das bloß keiner aussprechen, weil das Stimmen kosten könnte? Es kann aber auch sein, dass das bald schon gleichgültig sein wird - weil dann eh keiner mehr zuhört und bloß noch pfeift und brüllt.

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