Jahresrückblick:Verachtung und Verbrüderung

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Sie schütteln und schütteln: CSU-Chef und Ministerpräsident Markus Söder (li.) und sein Vize, FW-Chef Hubert Aiwanger haben doch wieder einen Koalitionsvertrag hingekriegt. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

CSU-Chef Markus Söder und FW-Anführer Hubert Aiwanger haben ein hartes Jahr hinter sich: Wahlkampf, Flugblatt-Affäre, Demokratie-Bekenntnisse. Ihr Verhältnis ist angespannt, doch die Koalition wird fortgeführt. Warum das so ist.

Von Katja Auer und Andreas Glas

Zwischen Verachtung und Verbrüderung liegen nur 28 Treppenstufen. Unten, im Weiße-Rose-Saal des Landtags, haben Markus Söder und Hubert Aiwanger gefeilscht und an jedem Tag penibel darauf geachtet, dass die Kameras auf den Fluren kein Bild einfangen, das sie gemeinsam zeigt. Oben im Akademiesaal packt Söder jetzt Aiwangers Hand, schüttelt und schüttelt und lässt sie gar nicht mehr los.

Es ist Ende Oktober, die beiden haben gerade ein Papier unterzeichnet, das gemessen am Status dieser Männerbeziehung kein handelsüblicher Koalitionsvertrag ist. Eher ein Friedenspakt.

Ihr Kampf ist vorbei, nach Monaten. Und er geht weiter. Das macht diese Beziehungskiste ja so speziell: Dass sich schon im Moment der Verbrüderung alle fragen, wie lange der Frieden diesmal hält.

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Sicher, das Drama war immer Teil der bayerischen Politik. Aber die Zutaten dieses Wahljahres waren selbst für bayerische Verhältnisse unerhört. Hier der Ministerpräsident, den sie auspfeifen, weil er sich von Rechtsextremen distanziert. Dort sein Vize, den sie bejubeln, weil er die Demokratie "zurückholen" will. Hier Söder, der Aiwanger "pubertär" nennt. Dort Aiwanger, der Söder "mädchenhaft" findet.

Und dann war da das Flugblatt, das im Schuljahr 1987/88 am Gymnasium Mallersdorf-Pfaffenberg aufgetaucht war. Das Pamphlet rief zu einem angeblichen Wettbewerb auf, Titel: "Wer ist der größte Vaterlandsverräter". Ein "Freiflug durch den Schornstein von Auschwitz" wurde ausgelobt. Die SZ hatte im August berichtet, dass Hubert Aiwanger im Verdacht stand, das Flugblatt verfasst und verbreitet zu haben. Ein oder mehrere Exemplare waren in seiner Schultasche gefunden worden. Vor dem Disziplinarausschuss der Schule galt er als überführt und wurde bestraft. Das räumte Aiwanger nach mehrmaligem pauschalem Abstreiten ein. Der Verfasser des Pamphlets will aber sein Bruder Helmut gewesen sein.

Nicht nur für Söder blieben "viele Fragen offen". Warum trug Hubert Aiwanger die Flugblätter in seiner Tasche? Hat er sie verteilt? Ist er an der Schule mit rechtsradikalem Verhalten aufgefallen? Drei von 25 Fragen, die Söder beantwortet haben wollte, schriftlich. Aiwanger? Beklagte eine "Schmutzkampagne", zog als deren Opfer durch Bierzelte und Talkshows. Der Deutsche Presserat befand, dass die SZ-Berichterstattung inhaltlich wie presseethisch nicht zu beanstanden war. Doch Aiwanger hatte Erfolg in der Opferrolle.

Bei der Landtagswahl im Oktober konnten seine Freien Wähler zulegen, 15,8 Prozent, plus 4,2 Punkte. Die CSU? Holte 37 Prozent, minus 0,2 Punkte. Für Söder hat dieses Jahr also eine Gewissheit gebracht: Er weiß spätestens jetzt, wie gefährlich Aiwanger für die CSU ist.

Man würde gerne wissen, ob Söder die bedrohliche Liaison mit Aiwanger noch mal eingehen würde, aus heutiger Sicht. Söder hat Aiwanger ja erst groß gemacht, als er ihn 2018 in die Regierung holte. Er hat ihm eine Bühne bereitet, die er zuvor nicht hatte. Im Wahlkampf 2023 hat sich Söder früh festgelegt, mit den FW weiterzumachen. Das habe der CSU "geschadet und dem Aiwanger genutzt", sagte der frühere CSU-Chef Erwin Huber der SZ. Das frühe Koalitionsbekenntnis habe Aiwanger "Narrenfreiheit" beschert, die er für sich genutzt habe.

Der Moment, der alles ins Kippen brachte, war im Juni die Erdinger Demo gegen das sogenannte Heizungsgesetz, als eben Aiwanger 13 000 wütenden Menschen zurief, dass "die schweigende große Mehrheit dieses Landes sich die Demokratie wieder zurückholen" müsse. Die Grünen sahen "Trump-Methoden", wollten Aiwangers Rauswurf. Söder? Hielt an ihm fest. Und selbst als ihm Aiwanger in der Flugblatt-Affäre kaum Antworten auf seine 25 Fragen lieferte, stützte Söder seinen Rivalen, über den man bis heute nicht weiß, ob er "nie" oder nur "die letzten Jahrzehnte kein Antisemit" war. Und was er genau meint, wenn er sagt, er habe früher "Scheiß gemacht".

Die Frage ist natürlich, ob Söder sich einen Rauswurf hätte leisten können. Seine Fixierung auf ein Bündnis mit den FW, seine Lobhudelei für die "Bayern-Koalition" - viele CSU-Wähler sahen und sehen Aiwanger und seine Partei inzwischen als Verbündete. Wer sich im Bierzeltwahlkampf beim CSU-Parteivolk umhörte, traf wenige, die Aiwanger loswerden wollten. Aus Sorge, dass am Ende eine schwarz-grüne Koalition stehen könnte oder Aiwanger den Märtyrer macht und noch mehr CSU-Stimmen klaut. Ein Risiko, das auch Söder nicht eingehen wollte.

Dass die Furcht der CSU vor den FW in diesem turbulenten Jahr eine existenzielle Dimension erreicht hat, war am Tag nach der Bayern-Wahl spürbar. "Die Schonfrist ist vorbei", sagte da der CSU-Ehrenvorsitzende Theo Waigel. Schon bei der Europawahl 2024 seien die FW "unser Gegner". Die CSU müsse sich "stärker von den Freien Wählern abgrenzen", forderte Parteivize Manfred Weber.

Seit der Wahl präsentiert sich Aiwanger noch resoluter als Patron der Bauern, die jahrzehntelang zum CSU-Kernklientel zählten. Zuletzt verbrüderte er sich in Berlin mit den Landwirten, die gegen die Streichung von Subventionen demonstrierten. Söder übt derweil den weltläufigen Staatsmann, wie im Dezember, bei seiner Israel-Reise. Während Aiwanger sich als Wirtschaftsminister die Nischenbefugnis für Jagd und Staatsforsten gesichert hat, will ihn Söder mit seinem Fokus auf die großen, auch außenpolitischen Themen klein aussehen lassen.

Zuvor hatte das zweite Kapitel der "Bayern-Koalition" direkt mit einem Ultimatum begonnen. Die FW, aus CSU-Sicht nach rechts gerutscht, sollten sich bekennen, ob sie "fest im demokratischen Spektrum" stünden. Herausgekommen ist eine Präambel im Koalitionsvertrag, in der sich die alten und neuen Partner "zu unserer historischen Verantwortung und den Prinzipien unserer Demokratie" bekennen. Von "Optimismus statt Streit" ist auch die Rede, von "vertrauensvoller und beständiger Zusammenarbeit".

Es passt also wieder zwischen Söder und Aiwanger. Zumindest auf dem Papier.

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