Ende Oktober gondelte die 24. Kammer des Verwaltungsgerichts München bei denkbar schlechtem Ausflugswetter von Aschau im Chiemgau auf die Kampenwand. Droben hätte sie an der Sonnenalm noch jene Terrassen in Augenschein nehmen können. Sie waren ohne Genehmigung des Rosenheimer Landratsamts errichtet worden und sollten daher gerade entfernt werden. Die Aufmerksamkeit der Richter jedoch galt einem Vorhaben, für das es zu der Zeit sehr wohl eine Genehmigung gab: dem Neubau der Kampenwandseilbahn, die statt bisher 450 Fahrgästen pro Stunde danach gut die dreifache Zahl an Menschen auf den Berg hätte schaffen können. Mit seinem am Mittwoch veröffentlichten Urteil hat das Gericht diese Genehmigung nun aufgehoben. Was das auf lange Sicht bedeutet, ist allerdings offen.
Zunächst geben die Richter mit dem Urteil jedenfalls dem Bund Naturschutz recht. Der hatte gegen den geplanten Neubau geklagt, der die inzwischen 66 Jahre alte, von nostalgischem Charme geprägte Bahn ersetzen soll. Denn aus der Sicht des BN vertragen die Pflanzen und Tiere auf der ohnehin überlaufenen Kampenwand nicht noch mehr Ausflügler, Bergwanderer, Mountainbiker und Paragleiter - und dies schon gar nicht spätabends und nachts. Die umstrittene Genehmigung aus dem Landratsamt hätte den Betreibern der Bahn aber jedes Jahr mehr als 80 späte Sonderfahrten für Gäste ihrer Sonnenalm erlaubt.
Juristisch entscheidend sind laut einer eigenen Mitteilung des Verwaltungsgerichts aber weniger diese Bedenken. Vor allem ist den Richtern die Genehmigung des Landratsamts zu "unbestimmt". So gehe aus dem Bescheid nicht eindeutig hervor, wie viele und welche Bäume im Schutzwald am Berghang gefällt werden dürften und müssten, um die Trasse wie geplant etwas zu verbreitern und die Zahl der Seilbahnstützen zu erhöhen. Es sei nicht auszuschließen, dass derlei Eingriffe auch geschützten Naturwald betreffen, was nach Überzeugung des Gerichts aber unzulässig wäre.
Das Argument des Landratsamts und der Betreiber, die Fällungen dienten der Verkehrssicherung und könnten daher erlaubt werden, greife hier jedenfalls nicht. Denn die Fällungen würden gerade keinen bestehenden Verkehrsweg sicherer machen, sondern sollten vielmehr einen Neubau ermöglichen. In der mündlichen Verhandlung im Oktober nachgereichte Anträge des BN, Auswirkungen des Vorhabens auf die lokale und die regionale Birkhuhn-Population von Sachverständigen begutachten zu lassen, lehnte die Kammer in dieser Situation als unnötig ab.
Ein Problem stellt für die Richter demnach auch nicht dar, dass es neben der nun aufgehoben Genehmigung aus dem Jahr 2022 noch eine weitere aus dem Jahr 2017 gibt. Weil gegen die niemand geklagt hat, ist sie inzwischen gültig, auch wenn sie laut den Erläuterungen der Kammer-Vorsitzenden während der mündlichen Verhandlung im Oktober mit schweren Mängeln behaftet ist. So habe das Landratsamt die neuen Tal- und die Bergstationen nur nach Baurecht genehmigt und nicht nach Seilbahnrecht. Ob das die erste Genehmigung noch hinfällig machen könnte, ist offen.
Die Betreiber hatten ihr mindestens 30 Millionen Euro schweres Projekt, für das Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW) bereits zehn Millionen Euro an staatlichen Zuschüssen in Aussicht gestellt hat, zuletzt ohnehin nicht auf Basis dieses ersten Bescheids und ihrer damaligen, noch etwas anderen Pläne verwirklichen wollen. Sie und die Behörden des Freistaats als eigentlichem Beklagten könnten nun innerhalb von vier Wochen einen Berufungsantrag beim Verwaltungsgerichtshof stellen. Vor allem aber könnten sie versuchen, die vom Gericht nur aus formalen Gründen verworfene Genehmigung juristisch zu "heilen", indem sie die nötigen detaillierten Karten und Pläne beibringen. Vom Ortstermin vor der Verhandlung im Oktober war die Öffentlichkeit auf Wunsch der Bahn-Betreiber ausgeschlossen worden. Naturschützer, die aufseiten der Kläger dabei waren, hatten aber schon damals den Verdacht geäußert, der Zuschnitt des Naturwald-Gebiets solle womöglich noch passend gemacht werden.
Gleichwohl bezeichnete BN-Landesgeschäftsführer Peter Rottner das Urteil des Verwaltungsgerichts am Mittwoch als "wichtigen Erfolg für unsere sensible Bergwelt". Dadurch sei kein Neubau an der Kampenwand möglich. "Auch bei einem klarer definierten Trassenverlauf wird der Eingriff in den Naturwald nicht kleiner", betonte Rottner vorsorglich. "Aus unserer Sicht kann es also keine neue Genehmigung auf Grundlage von überarbeiteten Antragsunterlagen geben."
Aus Sicht der Gegenseite ist dies sehr wohl möglich. Ein Sprecher des Landratsamts betonte, dass der Betreiber auch einen neuen Antrag einreichen könne. Seilbahn-Geschäftsführer Eric Zbil will an den Plänen festhalten, die das Gericht nur in einem formalen Punkt beanstandet habe. "Die festgestellte Unschärfe der neuen Genehmigung kann und muss nunmehr beseitigt werden", sagte er. Die breitere Seilbahn-Trasse sei auch schon 2017 genehmigt worden. Mit Unterlagen aus dieser Zeit könne man belegen, dass die Fällungen nirgendwo den "Naturwald" berührten, den der Freistaat im Dezember 2020 als zusätzliche Schutzkategorie eingeführt habe.