Tourismus und Naturschutz:Neubaupläne am seidenen Faden

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Die Kampenwandbahn schaukelt ihre Fahrgäste seit 1957 in Vierergondeln zu Berge. In Zukunft sollen schon die einzelnen Kabinen doppelt so viele Passagiere fassen. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Die Betreiber der Kampenwandbahn im Chiemgau wollen ihre Seilbahn erneuern und bei der Gelegenheit die Transportkapazität verdreifachen. Der BN ist dagegen vor Gericht gezogen, doch ein Urteil gibt es nach der Verhandlung vom Donnerstag noch nicht.

Von Matthias Köpf, Aschau im Chiemgau

Lange in der Schlange stehen müssen die Prozessbeteiligten an diesem regnerischen Donnerstagvormittag nicht. Dabei wären es doch gerade die langen Schlangen morgens an der Talstation und dann spätnachmittags droben am Berg, mit denen die Betreiber der Kampenwandseilbahn ihre Neubaupläne begründen. Dass diese neue Seilbahn gut 1500 Fahrgäste pro Stunde auf die Kampenwand schaffen könnte, also gut dreimal so viele wie die bisherige Bahn, macht trotzdem einige Menschen misstrauisch drunten in Aschau im Chiemgau. Dort haben sie von dem ganzen Vorhaben eigentlich erst etwas erfahren, als es das Landratsamt in Rosenheim 2017 schon zum ersten Mal genehmigt hatte. Der Bund Naturschutz in Bayern hat dann Klage eingereicht gegen das Projekt, über das das Verwaltungsgericht München am Donnerstag direkt vor der Talstation verhandelt hat.

Auch beim Ortstermin in Aschau will der private Betreiber der Bahn möglichst wenig Öffentlichkeit. Er ist in dem Prozess eigentlich nur beigeladen, denn der Bund Naturschutz klagt gegen den Freistaat Bayern in Gestalt des Rosenheimer Landratsamts, das die von den Betreibern in der Zwischenzeit leicht geänderten Neubau-Pläne im vergangenen Jahr abermals genehmigt hat.

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Jenen Bescheid vom Juni 2022 sehen die Behörden als eine bloße Änderungsgenehmigung an, während der Bund Naturschutz und seine Anwältin darin eine komplette Neugenehmigung erkennen. Jenseits dieses rein formalen Hebels geht es dem BN ganz grundsätzlich um den Schutz der Tiere und Pflanzen auf der 1669 Meter hohen Kampenwand, auf der im Sommer mit all den Ausflüglern, Kletterern, Mountainbikern und Paragleitern tagsüber ohnehin schon viel Betrieb herrscht. In Zukunft sollten auch mehr als 80 nächtliche Sonderfahrten mit Partygästen erlaubt sein, kritisiert der BN. Für den geplanten Neubau der 1461 Meter hoch gelegenen Bergstation und das Einziehen zahlreicher zusätzlicher Seilbahnstützen seien eine Materialseilbahn und damit auch erhebliche Eingriffe in den empfindlichen Schutzwald notwendig, was gegen das Naturschutzrecht und die europäische Alpenkonvention verstoße.

Der Ortstermin im Oktober fand jedenfalls nicht bei bestem Ausflugswetter statt. (Foto: Uwe Lein/dpa)

Das Verwaltungsgericht München muss sich von all dem selbst ein Bild machen, weshalb sich die 24. Kammer mitsamt den rund zwei Dutzend weiteren Prozessbeteiligten am Donnerstagvormittag auf die wolkenverhangene Kampenwand schaukeln lässt - jeweils zu viert in jenen roten, gelben und blauen Vierergondeln, wie sie hier schon seit dem Bau der jetzigen Bahn im Jahr 1957 unterwegs sind. Sie sollen ebenfalls bunten, aber erstmals barrierefreien Achterkabinen weichen, und zwar 54 normalen Gondeln und 18 "Erlebniskabinen". Insgesamt wird das alles mehr als 30 Millionen Euro kosten, rund zehn Millionen davon hat das bayerische Wirtschaftsministerium als Seilbahnförderung in Aussicht gestellt.

Alle Appelle, die Sache doch denkmalpflegerisch zu betrachten und den nostalgischen Charme der jetzigen Bahn bei vorsichtiger Modernisierung als ideales Marketinginstrument zu sehen, sind an den Betreibern und Bauherren bisher abgeprallt. Zwei Landtagsabgeordnete der Grünen, die mit ihnen und lokalen Neubau-Kritikern genau darüber reden wollten, haben sie vor einigen Monaten des Geländes verwiesen.

Die Seilbahn sei so schon mangels Ersatzteilen kaum mehr zu betreiben, kleinere als Achterkabinen seien nicht auf dem Markt, heißt es von den Betreibern, was die Gegenseite freilich ebenso bezweifelt wie die Beteuerungen, dass man schon bisher vor allem für Gäste aus der Region fahre und dass man mit der neuen Bahn auch nur bestenfalls zehn Prozent mehr Menschen auf die Kampenwand bringen wolle.

Dem BN geht es auch um den Schutz des Birkhuhns

Dabei wäre es neben den mehr als 80 möglichen nächtlichen Sonderfahrten gerade die schiere Zahl der zu erwartenden Fahrgäste, die aus Sicht des BN unter anderem die seltenen und streng geschützten Birkhühner auf der Kampenwand empfindlich stören würde - im schlimmsten Fall so empfindlich, dass die ganze Population bedroht und damit der großräumigere genetische Austausch mit und zwischen den benachbarten Birkhuhnpopulationen auf der Hochries und dem Geigelstein am Ende wäre.

Nachdem die ganze Gesellschaft wieder im Tal eingeschwebt ist, lässt auch die Vorsitzende Richterin in der mündlichen Verhandlung direkt vor der Talstation durchblicken, dass der Schutz der Birkhühner in einem späteren Urteil eine wichtige Rolle spielen könnte - zusammen mit der Frage, ob die dann etwas breitere Seilbahntrasse auf die Kampenwand auch besonders geschützten Naturwald berühren würde. Mit der Alpenkonvention und anderen Vorschriften sieht die Kammer demnach weniger Probleme, und auch die Frage, ob der jüngste Bescheid des Landratsamts nun als Änderungs- oder als Neugenehmigung gelten muss, hat die Kammer für sich offenbar schon beantwortet. Da es hier schon eine Seilbahn gebe, seien Abriss und Neubau nach dem maßgeblichen Gesetz nur "die radikalste Form der Änderung", formuliert die Vorsitzende.

Die Frage, ob eine solche radikale Änderung mit ihren vielen zusätzlichen Stützen ohne weitere Eingriffe in den Wald überhaupt bewerkstelligt werden könnte, stellt sich dem Gericht zumindest in diesem Verfahren nicht. Denn eine dafür womöglich notwendige Materialseilbahn sei keine öffentliche Seilbahn und daher nicht nach dem Seilbahnrecht zu genehmigen, sondern in dem Fall wohl nach dem Forstrecht.

Am Ende der mündlichen Verhandlung setzt die Anwältin des BN noch einmal voll auf das Birkhuhn und verlangt in zwei Beweisanträgen zwei Gutachten zu den Auswirkungen auf das lokale und das überregionale Vorkommen. Entscheiden will die Kammer das alles im Weiteren schriftlich: "Rechnen sie nicht damit, dass sie morgen ein Urteil abrufen können."

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