Oktoberfest:Die Kaderschmiede für Wiesn-Bedienungen

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Jahr für Jahr stellen sich die Eichstätter Wiesn-Bedienungen und- Kellner unter der Bavaria zum Gruppenfoto auf. Fast schon eine Familie, sagen sie. (Foto: Stephan Rumpf)

Auffällig viele Bedienungen und Kellner stammen aus der kleinen oberbayerischen Stadt Eichstätt - im Hackerzelt etwa jeder fünfte. Warum nur?

Von Jacqueline Lang, München

Ihre Generalprobe, das ist das Eichstätter Volksfest. Wer sich dort behaupten kann, hat gute Chancen, im nächsten Jahr auch auf dem Oktoberfest in München arbeiten zu können - sofern sie oder er das überhaupt wollen. Aber es ist wohl Fakt: Wer von sich sagen könne, aus Eichstätt zu kommen, habe bei der Bewerbung als Wiesn-Bedienung schon mal einen Pluspunkt. Das zumindest behauptet Thorsten Heinz, und der ist schließlich Fachmann in eigener Sache: Heinz ist selbst Eichstätter und seit nunmehr zwölf Jahren im Hacker-Pschorr-Festzelt tätig. Das ist ihm bereits auf den ersten Blick anzusehen, denn wie alle Wiesn-Kellner von Hacker-Pschorr trägt er eine blaue Weste.

Von den knapp 200 Bedienungen im Hackerzelt kommen mittlerweile 40 aus Eichstätt. Weitere 40 Eichstätter arbeiten in einem der anderen großen Festzelte auf dem Oktoberfest, viele davon in der Bräurosl und dem Löwenbräu-Zelt. Und noch mal weitere 20 Eichstätter, so schätzt Thorsten Heinz, würden auf der Wiesn ihr Geld verdienen. Da sie aber nicht als Bedienungen, sondern zum Beispiel in der Küche tätig seien - wo man sie als Kellner nicht zu Gesicht bekomme - sei es schwer zu sagen, um wie viele es sich da handele. Mittlerweile, so glaubt Heinz, arbeiteten jedes Jahr um die 100 Eichstätter auf der Wiesn.

Und - nebenbei bemerkt - bei der Wiesn handelt es sich schließlich um ein ganz besonderes Biotop. Der Schriftsteller Georg Queri versank 1913 fast in Ehrfurcht angesichts seiner auf der Wiesn gesammelten Eindrücke. "Den Schädel hatte ich voll Oktoberfest", schreibt er da - und ganz sicher finden sich heuer unter der Kundschaft von Thorsten Heinz einige, die Gleiches von sich behaupten können.

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In diesem Jahr sind auf dem Münchner Oktoberfest rund 13 000 Menschen tätig, etwa 2000 davon sind Festzelt-Bedienungen. Lassen wir nun also Georg Queri weit hinter uns und folgen dem Kellner Thorsten Heinz: Die erste Eichstätter Bedienung, so erzählt er, habe nach allem, was man wisse, irgendwann in den 1990er Jahren auf der Wiesn angefangen. Was man aber mit Sicherheit sagen könne: Diese Bedienung habe damals ebenfalls im Hackerzelt Gäste bedient. Und von da an sei eins zum anderen gekommen: Wann immer seitdem neue Bedienungen gesucht wurden, etwa weil jemand aus der Stamm-Mannschaft erkrankt war, seien Kellnerinnen und Kellner aus Eichstätt vorgeschlagen worden.

Inzwischen hat das freilich auch etwas mit moderner Technik zu tun: Dafür gibt es nun eine eigene Whatsappgruppe, sagt Heinz. Mittlerweile, so betont er, sei daraus fast eine Art Verein geworden. "Andere genga zur Freiwilligen Feuerwehr, mia bedienen halt", sagt Heinz.

Heinz ist mit 48 Jahren der Dienstälteste im Eichstätter Team, umringt von vielen Studenten. Lukas Stadler, 24 Jahre alt, gehört zu den jüngeren Kollegen. Bereits das zweite Mal bedient er in diesem Jahr auf der Wiesn. Ihre Heimatstadt, das sei so eine Art "Kaderschmiede für Bedienungen", sagen Stadler und Heinz einhellig. "Eichstätter kenna hilanga", lautet ihre Begründung. Übersetzung für Außerbayerische: Sie alle seien sich zum Arbeiten nicht zu schade und würden bedienen, "weils Spaß an der Freid ist", wie Heinz sagt. Übersetzung: Weil sie mit Freude an die Arbeit gehen und darin ihre Erfüllung sehen.

Klar, das Geld spiele natürlich schon eine Rolle, aber für die meisten gehe es vor allem um eine gute gemeinsame Zeit. Hierzu eine geografische Fußnote: Weil Eichstätt so klein sei, würde eigentlich jeder jeden früher oder später kennen. Und dadurch gebe es eine Vertrauensbasis. Die braucht es auf der Wiesn. Zwar habe jede Bedienung ein eigenes Portemonnaie, aber am Ende werde gemeinsam abgerechnet. Da sei es "unglaublich wichtig, dass man einander blind vertrauen kann", sagt Heinz. Hört man ihm ein wenig länger zu, so drängt sich fast ein Vergleich mit der Schweizergarde im Vatikan auf, denn - man höre und staune: Auf dem Barthelmarkt in Oberstimm bei Ingolstadt gibt es sogar schon ein Zelt, in dem nur noch Eichstätter arbeiten. Auch die rechnen am Ende alles gemeinsam ab.

Nahezu als Veteran kann sich Thorsten Heinz (links) fühlen. Neben ihm Student Lukas Stadler - seit zwei Jahren dabei. (Foto: Stephan Rumpf)

Das geht auf der Wiesn schon allein aufgrund der Größe der Zelte nicht, aber es zeigt, wie groß das gegenseitige Vertrauen ist. "Wir sind wie eine große Familie", sagt Heinz. Er selbst habe eigentlich nur ein Jahr auf dem Oktoberfest arbeiten wollen, sagt der 48-Jährige, der im normalen Leben einen Bürojob bei einem Automobilzulieferer hat. Und dann gesteht er etwas, was schon viele Wiesn-Bedienungen vor ihm gestanden haben: Jedes Jahr schwöre er sich, dies sei nun wirklich sein letztes Jahr auf der Wiesn gewesen. Aber im kommenden Jahr sei er dann doch wieder dabei. Andere würden nach Thailand fliegen, in den Dschungel gehen - er fahre dafür jedes Jahr nach München auf die Wiesn. Damit nähern wir uns auch schon wieder den Schilderungen eines Georg Queri.

Wie Heinz kann sich auch Kollege Lukas Stadler ein Leben ohne Volksfeste kaum mehr vorstellen. Er studiert in Bayreuth Wirtschaftsingenieurwesen und finanziert sich als Volksfestbedienung sein Studium. Mit gerade einmal 24 Jahren ist er einer der Jüngsten im Team, bald könnte aber sein jüngerer Bruder nachrücken. Ach ja, auch das gehört gesagt: Etliche der Eichstätter Bedienungen sind untereinander verwandt. "Es gibt nichts Einfacheres, als auf der Wiesn bedienen", sagt Heinz. Trotzdem sei es für ihn selbstverständlich, die Neulinge einzuweisen. Da geht es um sehr gewichtige Dinge: Wie trage ich zwölf Maß Bier, und wie den Essensschlitten? Wie verhalte ich mich am Schank? All das lerne man in einer Art "Eichstätter Bedienungsintensivkurs", sagt Stadler. So gewappnet, tappe man sicherlich in weniger Fettnäpfchen als manch anderer Anfänger.

Obwohl die Eichstätter längst nicht alle in einem Zelt arbeiten, treffen sie sich nahezu täglich - spätestens auf dem Nachhauseweg "bei Frau Li", der Stammkneipe für alle Bedienungen. Seit mittlerweile drei Jahren gibt es zudem die Tradition, dass sich alle Eichstätter - oder zumindest jene, die nicht gerade arbeiten müssen - einmal innerhalb der 16 Tage vor der Bavaria zum Gruppenfoto versammeln. Eines sei verraten: Die Farbe Blau überwiegt.

© SZ vom 04.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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