Nürnberger Staatstheater:Ein millionenschwerer Kulturbau auf einstigem NS-Gelände?

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Der Innenhof der NS-Kongresshalle auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände könnte der Ort für einen Interimsbau der Nürnberger Oper werden. Aus der Denkmalbehörde kommen Bedenken. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Die Denkmalschutzbehörde lässt bei dieser Frage wenig Deutungsspielraum: Ist hochproblematisch und müsste man wohl bald wieder abreißen. Doch das Papier lernt mancher Stadtrat jetzt erst kennen - vier Wochen nach dem Interimsentscheid.

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Die zuständige Oberkonservatorin des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege ist um eine Stellungnahme zum Denkmal mit der Nummer D-5-64-000-2367 gebeten worden, den Akten zufolge fand die Ortsbegehung am 29. September 2021 statt. Man darf davon ausgehen, dass die Fachfrau vom Landesamt Zeit mitgebracht hat an jenem Tag, immerhin hatte sie ein raumgreifendes Denkmal zu begutachten und ein überaus relevantes: den größten überlieferten Propagandabau aus der Zeit des Nationalsozialismus, die Torso gebliebene NS-Kongresshalle in Nürnberg. Ihre Stellungnahme zur Frage, ob dort ein Opernhaus eingebaut werden kann, fiel eindrucksvoll aus, so viel wird man sagen können. In den Unterlagen der Stadt, die vor Stadtratsentscheidungen öffentlich zugänglich gemacht werden, findet sich diese Stellungnahme allerdings nicht.

Ausweislich der Akten ist das Schreiben der Oberkonservatorin am 14. Oktober 2021 bei der Stadt eingegangen - und damit ziemlich exakt zwei Monate, bevor 70 Stadträtinnen und Stadträte mit großer Mehrheit einen Grundsatzbeschluss gefasst haben, demzufolge 2025 für etwa zehn Jahre an der Kongresshalle Oper gespielt werden soll. Im Kern umfasst die Stellungnahme der Fachbehörde für Denkmalfragen zwei wesentliche Punkte. Beide dürfen für die Debatte um ein Operninterim als elementar gelten.

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Die Stadt leitet damit das "größte Einzelprojekt seit dem Zweiten Weltkrieg" ein. Die Entscheidung suggeriert parteienübergreifenden Konsens. Tatsächlich stehen die strittigsten Fragen erst zur Klärung an.

Von Olaf Przybilla

Da ist zum einen die Frage, ob ein Kubus als Spielstätte in den Hof des hufeisenförmigen Torsos eingebaut werden kann. Die Oberkonservatorin zeigt sich da äußerst skeptisch. "Der Innenhof ist prägender Bestandteil des Baudenkmals", schreibt die promovierte Denkmalpflegerin. "Gerade durch seine Größe und Leere veranschaulicht er deutlich zugleich die Megalomanie der nationalsozialistischen Ideologie sowie deren Scheitern in Gestalt des unvollendeten Torsos." Und weiter: "Jegliche ,Möblierung' dieses in sich so aussagekräftigen Raumes schmälert diese Botschaft erheblich."

Das ist insofern bemerkenswert, als die Fachbehörde damit nahezu identisch jene Argumente bekräftigt, die in der Debatte die Historiker vom Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände und des Vereins "Geschichte für alle" vorgetragen hatten - dafür aber in Nürnberg schwer unter Beschuss geraten sind. Die Vertreter des Vereins, die historische Führungen übers ehemalige NS-Gelände organisieren, sind - ebenso wie die Historiker vom Dokuzentrum - nicht nur als Ewiggestrige der Erinnerungskultur attackiert worden. Dem Verein wird sogar Eigennutz unterstellt, als würde dieser seines hervorstechendsten Exponats - den verstörend öden NS-Innenhof - beraubt und fürchte deshalb um die "Attraktivität" seiner Führungen. In Wahrheit beurteilt das zuständige Landesamt jene "Hof-Möblierung" offenbar genauso kritisch. Zumal der Hof quasi ein Exponat der NS-Ausstellung des Dokuzentrums sei - "wenn nicht sogar das bedeutendste", urteilt die Oberkonservatorin.

Damit nicht genug. Die Denkmalpflege, heißt es in dem Papier, könnte "ihre fachlichen Bedenken" zurückstellen. Dies allerdings unter der Bedingung, dass "der tatsächliche Rückbau nach der Interimszeit gewährleistet ist". Will heißen: Abriss. Oder vornehmer ausgedrückt: Rückbau jenes, wie es in den Akten heißt, "temporären Ergänzungsbaus". Der wird derzeit auf etwa 50 Millionen Euro taxiert.

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Nun wird seit Jahren in Nürnberg über eine nicht vorhandene wettbewerbsfähige Konzerthalle geklagt. Und auch die Szenekultur sucht nach Aufführungsmöglichkeiten. Da könnte man davon ausgehen, dass so ein wuchtiges Papier auf breitest möglicher Basis debattiert worden ist. Immerhin ist dort offenbar zugrunde gelegt, dass die Fachbehörde davon ausgeht, es werde keine Anschlussnutzung für die Halle auf dem Ex-NS-Gelände geben. Kein Umbau zum Konzertsaal also. Und keine Szenekultur.

De facto indes war der Inhalt des Papiers bei der Abstimmung offenkundig nicht mal allen Entscheidern bekannt. Ein Anruf beim FDP-Stadtrat Ümit Sormaz, er hat am 15. Dezember seine Hand zustimmend gehoben. Nein, das Papier kenne er nicht, das sei "ja der Hammer", sagt er, wenn man ihm daraus vorliest. Die Linke? Kennt den Wortlaut des Papiers ebenfalls nicht. Dass man diese nicht in den öffentlich zugänglichen Akten finde, sei "komplett unverantwortlich", findet Stadträtin Kathrin Flach Gomez. In der elfseitigen Sachverhaltsschilderung finde sich zwar der Satz: "Ein Ergänzungsbau als dauerhafter Neubau wäre aktuell aus denkmalpflegerischer Sicht problematisch" - im Papier aus dem Landesamt klinge das aber sehr viel deutlicher. Alexandra Thiele wiederum, Stadträtin der "Guten", war Mitglied der Opernhauskommission - im engsten mit der Sache befassten Gremium also. Seit wann sie das Papier aus dem Landesamt hat? Erst nach dem Stadtratsentscheid habe es ihr eine wohlmeinende Kollegin zukommen lassen. Schwer irritierend finde sie das.

Daniel Ulrich ist der Baureferent der Stadt Nürnberg. Er sagt, dass das fragliche Papier den Spitzen der "großen Fraktionen" zugegangen sei. (Foto: Christine Dierenbach/oh)

Nürnbergs Baureferent Daniel Ulrich hält solche Reaktionen für übertrieben. Insofern ein führender Nürnberger Stadtrat sogar angibt, er habe das Papier zwar lange schon vorliegen gehabt, jedoch "vertraulich unter dem Mantel der Verschwiegenheit" - so müsse er, Ulrich, das in den Bereich der Fabel verweisen. Den Spitzen der "großen Fraktionen" sei das Papier zugegangen, manche Stadträte der kleineren Parteien hätten "nicht danach gefragt". Aber wäre es nicht notwendig für eine maximal fundierte Debatte gewesen, die Stellungnahme in die öffentlich zugänglichen Unterlagen einzugliedern? Dafür sei er nicht zuständig, betont Ulrich, möglicherweise könne man das so sehen. Er unterstelle aber "keine böse Absicht", wahrscheinlich habe man die Causa nicht mit Papieren überfrachten wollen. Mehrere Hundert Seiten umfassen die Unterlagen; die Stellungnahme des Landesamtes exakt vier - hätten ausgerechnet die das Lesepublikum überlastet?

Es sei trotzdem immer sehr offen kommuniziert worden, dass es sich beim geplanten Bau um ein "Interim" handeln soll, erklärt ein Stadtsprecher. Das stimme so, sagt Linken-Stadtrat Titus Schüller. Aber das Wort vom "Interim" könne man eben unterschiedlich verstehen. Die einen dächten, damit sei schlicht der vorübergehende Umzug der Oper bezeichnet. Dass damit offenbar ein definitiv interimistischer Bau ohne Nachnutzung gemeint ist, eine Millioneninvestition ohne Nachhaltigkeit also, gehe dabei leicht unter.

Aber ist es überhaupt so, soll in etwa 13 Jahren definitiv wieder abgerissen werden? Seit Donnerstag erlebt die Causa eine neue Volte - die nur zeigt, dass sie endgültig zum Politikum geworden ist, nun offenbar auch im Landesamt. In einer Presseerklärung zitiert die Grünen-Abgeordnete Sabine Weigand den Leiter des Landesamtes für Denkmalpflege, Mathias Pfeil, mit den Worten: "Ich schließe einen dauerhaften Bau nicht aus, aber ein Eingriff dieser Tragweite kann nur auf Grundlage einer gesamtgesellschaftlichen Diskussion beschlossen werden." Der Denkmalschutz könne und wolle die Entscheidung "über ein 50 bis 100 Millionen Euro teures Bauvorhaben nicht alleine" treffen. Im Übrigen sei man von der Stadt immer nur um eine Stellungnahme zu einem Interim gebeten worden.

Dies sei angeblich kein Widerspruch des Behördenleiters zur Stellungnahme der Oberkonservatorin, wird aus dem Landesamt betont - dürfte die Debatte in Nürnberg aber künftig nicht unkomplizierter machen.

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