Debatte um NS-Parteitagsgelände:Nürnberg ist aus dem Tiefschlaf erwacht

Kongresshalle in Nürnberg

Die Kongresshalle auf dem ehemaligen NS-Reichsparteitagsgelände in Nürnberg.

(Foto: Timm Schamberger/dpa)

Soll in Hitlers Halle eine Opernspielstätte einziehen - oder nicht? Über dieser Frage wird in Nürnberg endlich debattiert. Wie wohltuend.

Kolumne von Olaf Przybilla, Nürnberg

Die Opernhausdebatte von Nürnberg begann phlegmatisch, war gefangen im kleinsten Kulturinsiderkreis. Inzwischen müsste man fast einen Live-Ticker einrichten zur Frage, ob ein Operninterim aufs frühere NS-Parteitagsgelände soll - und dort in den bisher bewusst öde gehaltenen Innenraum des Kongresshallentorsos. Und selbst mit Ticker drohte man den Überblick zu verlieren.

Was zuletzt geschah: Die Grünen finden, man könne zwar wie geplant am 15. Dezember beschließen, ob das Interim "im oder neben dem Kongressbau" gebaut wird. Warnen aber, man müsse da nicht auch entscheiden, ob das denkmalgeschützte Opernhaus sündteuer saniert werden soll. Die Alternative? Wäre ein Neubau.

Bei den "Freunden der Staatsoper", einem des Alarmismus nicht verdächtigen Verein, läuten derweil "alle Alarmglocken". Es gebe keine Zeit mehr für "Spielchen", fordern sie, und sehen für 2025 die Gefahr einer Halbmillionenstadt ohne bespielbares Opernhaus heraufdämmern. So rasch wie möglich solle der Opern-Umzug aufs NS-Gelände beschlossen werden.

Dutzende Unterzeichner eines offenen Briefes halten dagegen. Sie haben für "Geschichte Für Alle" Hunderttausende Besucher übers NS-Areal geführt und beschreiben, wie stark Besucher beim Betreten des NS-Innenhofs auf die Dimension des leeren Raumes reagierten: "Gerade diese einzigartige Wirkung würde durch einen architektonischen Eingriff zerstört."

Die Jusos wiederum mahnen, ein Interim im Kongressinnenhof stehe der Erinnerung an die NS-Herrschaft im Wege. Während sich beim großen Stadtpodiumsgespräch am Freitag vier Fachleute für Erinnerungskultur - darunter der Politologe Claus Leggewie - in einem immerhin weithin einig waren: dass eine Entscheidung in der Causa in ein paar Tagen zu früh käme.

Eine Stadt debattiert, wie wohltuend. Nürnberg hatte mit Großdiskursen lange kein Problem, seit aber die Zeitungslandschaft sukzessive verarmt - vor allem mit der Einstellung der lokalen, kulturaffinen Abendzeitung -, tut man sich auffallend schwer. Momentan freilich ist die Stadt wie aus einem Tiefschlaf erwacht. Gerade noch rechtzeitig: Ein Opernumzug in Hitlers Halle des Größenwahns wäre mitnichten eine lokale Frage - die Stadt stünde damit unter internationaler Beobachtung. Da kann Gedankenaustausch nicht schaden.

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