Region Bayerisch-Schwaben:Die Magie der Landschaft

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Der Lech mit dem Lechfall, ein künstliches Stauwehr am Stadtrand von Füssen. (Foto: Imago)

Ein interdisziplinäres Forscherteam der Uni Augsburg hat untersucht, wie stark Mobilität und technischer Fortschritt sowie die damit einhergehende Landschaftsveränderung die menschliche Wahrnehmung prägen.

Von Hans Kratzer, Augsburg

Bayern habe die herrlichsten Gegenden, schwärmte der Münchner Aufklärer Lorenz von Westenrieder an einem launigen Tag des Jahres 1782, also in einer Zeit, in der sich die Natur noch üppiger entfalten durfte als heute. Derlei Lobgesänge auf ihre Reize waren damals aber eine Ausnahme. Die Ästhetik einer Landschaft beeindruckte die Vorfahren in der Regel nicht. Sie hatten durchaus andere Sorgen, als sich an sanften Hügeln und wogenden Wäldern zu ergötzen. Der Großteil der Bevölkerung musste dem Boden mit harter Arbeit und ohne die Segnungen der Moderne sein Brot abringen. Unter solchen Bedingungen fällt es natürlich schwer, die eigene Empfänglichkeit für das Schöne und Gute zu schärfen.

Bei aller Idylle aber hat der Mensch schon zu Westenrieders Zeiten massiv in das Landschaftsbild eingegriffen. "Aufgeklärte adelige Eliten haben das Land damals nach ihren Vorstellungen umgestaltet", sagt die Historikerin Marita Krauss, die solchen Veränderungsprozessen mit wissenschaftlicher Akribie nachspürt. Zumindest die mitteleuropäische Landschaft ist schon seit Tausenden Jahren Veränderungsprozessen unterworfen. Erst recht, seitdem der Mensch begann, Wälder zu roden, den Boden zu beackern, nach Rohstoffen zu greifen und quer übers Land Siedlungen und Straßen zu bauen.

Erstaunlich ist wiederum, dass weite Teile Bayerns bis in die 60er-Jahre hinein einen unverkennbar sakralen Charakter ausstrahlten, eine Eigenart, die aus der Zeit der frühen Benediktinerklöster herrührte. Diese hatten als bauende Pioniere die Kulturlandschaft nachhaltig und fast bilderbuchartig geformt.

Ein Cessna Privatjet parkt am Rande des Flughafens Memmingen, der auch als Allgäu Airport Memmingen bekannt ist. Er gilt als höchstgelegener Verkehrsflughafen in Deutschland. (Foto: Bernd Feil/Imago Images)

In diesem Wechselspiel veränderte sich stets auch der Blick auf die Landschaft. Sie wurde von der wilden Natur, die zu zähmen war, zum Gegenstand romantischer Verklärung, vom Hindernis für die Erschließung des Landes zum schützenswerten Objekt. Mit der wachsenden Industrialisierung zeichneten sich immer deutlicher die Folgen für Landschaft und Umwelt ab, die schließlich auch Konflikte hervorriefen. So stieß beispielsweise im 19. Jahrhundert der Eisenbahnbau eine neue Wahrnehmung der Landschaft an, im 20. und 21. Jahrhundert wurden Flughäfen, Schnellstraßen und Gewerbeflächen zu Pulsadern des wirtschaftlichen Wachstums, und nicht zuletzt prägen seitdem Energiegewinnung und Wassermanagement der Flüsse das Landschaftsbild.

Ein Forscherteam der Universität Augsburg um Marita Krauss und Stefan Lindl hat nun Phänomene wie Mobilität, Zersiedelung, Energiewende und Waldsterben speziell in Bayerisch-Schwaben in einem interdisziplinären Projekt unter die Lupe genommen. Durch das Zusammenwirken verschiedener Wissenschaften sollten neue allgemeine Erkenntnisse über die Auswirkungen der Umweltveränderungen auf Mensch und Natur gewonnen werden. Eine interessante Weiterung ergab sich durch einen vergleichenden Blick auf Ostmitteleuropa, speziell auf die Stadt Brüx/Most in Nordböhmen, die dem Braunkohleabbau weichen musste, aber auch auf die Bukowina mit der Problematik Müll und Trinkwasser.

Alte Versandhauskataloge im Staatlichen Textil- und Industriemuseum in Augsburg künden von einem einst blühenden Wirtschaftszweig. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Schwaben wurde stark geprägt durch die Textilindustrie. Die Arbeit, deren Ergebnisse nun in einem Buch vorliegen, konzentriert sich aber auf vier andere Blöcke. Zum einen auf das Thema Landschaftsveränderung durch Straßen- und Eisenbahnbau sowie auf die Energiewende im Spannungsfeld von Protest und Akzeptanz. Der zweite Themenblock widmet sich dem Wassermanagement. Schließlich geht es um urbane Landschaften sowie um Abfall und Waldsterben.

Extremer Flächenverbrauch durch Autobahn und Bundesstraßen bei Gersthofen im Landkreis Augsburg. (Foto: Google Earth)

Der Bau der Ludwigs-Süd-Nordbahn von Augsburg nach Lindau bedeutete im 19. Jahrhundert einen nie dagewesenen Eingriff des Menschen in die Natur, vergleichbar mit heutigen Autobahnprojekten. Gigantische Erdbauten sowie ein extremer Ressourcenverbrauch zerstörten die Landschaft nachhaltig. Die Zeitungsberichte über den Baufortschritt belegen, dass der Eisenbahnbau damals als heroischer Kampf mit der Natur verstanden wurde. "Man feierte den Eisenbahnbau enthusiastisch als Sieg des Fortschritts und der Ingenieurskunst", sagt Krauss. Nicht einmal unmittelbare negative Folgen für die Anwohner, wie sie im Tal beim Rentershofener Damm zutage traten, wurden kritisch aufgegriffen.

Oft sind Entscheidungen über die wirtschaftliche Entwicklung eines Orts direkt mit einer Veränderung der Kulturlandschaft verbunden. Das zeigt exemplarisch die Diskussion um den Gewerbepark Altdorf in Biessenhofen (Landkreis Ostallgäu). Zur Entstehungszeit ging es der Gemeinde um Arbeitsplätze und um die Gewerbesteuer. Diese Aspekte, die nicht zuletzt mit Blick auf den Unterhalt von Kindergarten und Schule Bedeutung haben, genossen Priorität vor dem Schutz der Landschaft. Bedenken der Denkmal- und Naturschutzstellen wurden übergangen. Die Haltung der Bevölkerung ist heute noch ambivalent.

Dem Umgang mit künstlicher Natur widmet sich das Kapitel über die in den 1960er-Jahren errichtete Donaustaustufe Bertoldsheim. Der Stausee liegt nahe der Mündung des Lechs in die Donau, auch er hat die Landschaft und die Lebensumstände der Menschen verändert, entwickelte sich aber zu einer attraktiven künstlichen Natur und zum Vogelparadies. Ein solcher Wandel weite sich am Anfang schnell auf eine emotionale und psychische Ebene aus, sagt Krauss. Veränderung sei immer auch Zerstörung zugunsten von etwas Neuem. Das führe bei den Menschen zu Unsicherheit und Instabilität. Gerade in einem gewohnten Umfeld führen technische Neuerungen, die das gewohnte Landschaftsbild verändern, zu Konflikten. "Aber jede Generation entdeckt ihre Landschaft neu", sagt Krauss. In diesem Fall wuchs ein See zu einem Freizeitparadies heran, das von der jungen Generation nur als solches wahrgenommen wird. Ähnliches gilt für die Bausubstanz in den Städten, in denen sich alles ständig ändert. Jede Generation sieht eben nur ihr gegenwärtiges Stadtbild.

"Blickt man von verschiedenen Disziplinen aus auf diese Prozesse, sieht man ganz neue historische Zusammenhänge", sagt Krauss. Was sich daraus an Erkenntnissen ableiten lässt, da ist die Forschung erst am Anfang. Aber die Methodik ist vielversprechend. "Geschichte findet ständig statt, aber wir sehen vieles anders, wenn wir neue Fragen stellen."

Marita Krauss/Stefan Lindl (Hg.), Landschaft. Umwelt. Identität. Die Region Bayerisch-Schwaben im Vergleich. Volk Verlag, 29 Euro

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