75 Jahre Verfassungskonvent:Eine ganz große Koalition für die Demokratie

Lesezeit: 3 min

Der Spiegelsaal von Schloss Herrenchiemsee war vollbesetzt mit politischer Prominenz. Darunter Bundespräsident Franz-Walter Steinmeier eingerahmt von seiner Frau Elke Büdenbender (li.) und Landtagspräsidentin Ilse Aigner. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Beim Festakt zur Geburtsstunde des Grundgesetzes überwiegen die mahnenden Töne. Nicht nur der Bundespräsident warnt in seiner Rede vor Verfassungsfeinden. Wer gemeint ist, wird schnell klar.

Von Hans Kratzer

Nachdem es tagelang geregnet hatte, riss am Morgen des Donnerstags die Wolkendecke am Himmel doch noch auf und es spannte sich ein weiß-blauer Himmel über den Chiemsee, wie es ihn in dieser Grandezza nur hier zu sehen gibt. Die angenehme Witterung wurde dem Sommertag vollauf gerecht, denn vor genau 75 Jahren, am 10. August 1948, begann auf der Insel Herrenchiemsee eine Sternstunde der deutschen Demokratiegeschichte. Hier wurden die Weichen gestellt für den Aufbau der zweiten deutschen Demokratie. Um das alles auf den Weg zu bringen, trat damals ein Verfassungskonvent zusammen, der die unglaubliche Leistung vollbrachte, in nur 14 Tagen einen noch heute gerühmten Entwurf für das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland zu erstellen.

Weil so ein Jubiläum von Glanz und Gloria getragen ist, wurde der Festakt nicht im eher kargen Alten Schloss, also in der historischen Stätte des Verfassungskonvents begangen, sondern im prunkvollen Spiegelsaal des Neuen Schlosses. Die Feier hätte wohl auch dem Erbauer Ludwig II. gefallen. Die Ränge waren voll von Vertretern und Würdenträgern aus allen gesellschaftlichen Richtungen, das Euphonia Orchester aus München brachte Mozart-Klänge zu Gehör und verschaffte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den passenden Rahmen für eine Grundsatzrede zum Wert einer Verfassung, wie sie die Deutschen nun seit 1949 besitzen.

SZ PlusGeschichte
:Sternstunde der Demokratie

Vor 75 Jahren begannen Sachverständige auf der Insel Herrenchiemsee mit der Ausarbeitung des Entwurfs für das Grundgesetz. Es dauerte nur 14 Tage, bis ein Ergebnis vorlag, auf das Deutschland auch heute noch stolz sein darf.

Von Hans Kratzer

Der Bundespräsident würdigte die enorme Leistung der Sachverständigen, die einen Staat bauen wollten, der nie mehr für so ungeheure Verbrechen wie in der NS-Zeit missbraucht werden sollte. Im Kampf gegen den Extremismus gebe es eine historische Lehre, die sich wie ein roter Faden durch den Verfassungsentwurf von Herrenchiemsee ziehe und bis heute gelte: "Eine Demokratie muss wehrhaft sein gegenüber ihren Feinden. Niemals wieder sollen demokratische Freiheitsrechte missbraucht werden, um Freiheit und Demokratie abzuschaffen", sagte Steinmeier unter lebhaftem Beifall und appellierte an alle: "Wir haben eine gemeinsame Verantwortung für unsere Demokratie. Wir müssen sie schützen."

Kein Wähler, fuhr Steinmeier fort, könne sich "auf mildernde Umstände herausreden, wenn er sehenden Auges politische Kräfte stärkt, die zur Verrohung unserer Gesellschaft und zur Aushöhlung der freiheitlichen Demokratie beitragen."

Newsletter abonnieren
:Mei Bayern-Newsletter

Alles Wichtige zur Landespolitik und Geschichten aus dem Freistaat - direkt in Ihrem Postfach. Kostenlos anmelden.

Auch Landtagspräsidentin Ilse Aigner mahnte in ihrer Festrede: "In einer ernsten Lage, in der alle aufgerufen sind, das Land zusammenzuhalten, ist das Schüren von Wut brandgefährlich." Wehret den Anfängen, sagte sie und erinnerte die Menschen in Deutschland daran, dass man sich auch hierzulande nicht sicher sein dürfe, dass die Demokratie immer gesetzt sei. Deutschland habe bereits einmal die Erfahrung machen müssen, wie eine Demokratie mit zu wenigen Demokratinnen und Demokraten gescheitert sei.

Ministerpräsident Markus Söder baute als Reaktion auf die staatstragende Rede Steinmeiers einige ironische Elemente in seine Lobrede ein. Die verfolgten nicht alle ganz aufmerksam. Manche schauten lieber auf dem Smartphone nach dem Rechten. Da passte es ganz gut, dass Söder darauf hinwies, die Effizienz des Konvents von 1948 rühre wohl auch daher, dass es damals nur zwei Telefone auf der Insel gab. "Die hatten also keine Ablenkung und konnten konzentriert arbeiten."

Im Übrigen wies Söder schmunzelnd darauf hin, wie sehr der Einfluss der gastgebenden Bayern das Ergebnis beeinflusst und in eine wichtige föderale Richtung gelenkt habe. Die spätere Ablehnung des Grundgesetzes durch die Bayern interpretierte er als "Tradition der Geschmeidigkeit", die schon die Wittelsbacher gepflegt hätten, indem sie zum Beispiel mal für und dann gegen Napoleon waren. Insgesamt bescheinigte er dem Konvent eine unglaubliche Leistung und nannte das Ergebnis einen heute noch gültigen Kompass für die Zukunft. Das darin enthaltene Menschenbild sei die Basis, die uns zusammenhält, weshalb es keine Freiheit für die Feinde der Freiheit geben dürfe.

Am Schluss hing summarisch das Wort des Bundespräsidenten über der Versammlung, das da lautete: "Der Verfassungskonvent vor 75 Jahren mag in der Kargheit des Alten Schlosses getagt haben. Aber mit seiner zentralen Hervorhebung der Menschenwürde als Maxime allen staatlichen Handelns strahlt der damals entstandene Verfassungsentwurf heller in die Gegenwart als aller Prunk und Glanz dieses Saales."

Einen Kontrapunkt zu diesen feierlichen Worten setzte eine Gruppe von Klimaaktivisten der sogenannten Letzten Generation. Auf einer Wiese am Fuße des Alten Schlosses kündigten sie an, man wolle von nächster Woche an verstärkt in Städten des Freistaats protestieren. Der Start sei am Montagnachmittag in Würzburg, danach werde es Richtung Süden bis nach München gehen.

In fast schmerzhaft düsteren Worten erklärten sie an diesem strahlend hellen Tag, sie gingen in Bayern auf die Straße, "weil wir gegen den Verfassungsbruch der Bundesregierung in dem Bundesland protestieren, wo unsere Verfassung vor 75 Jahren geschrieben wurde". Sie warfen der Politik vor, die Verfassung zu brechen, indem sie die Bevölkerung schutzlos der Klimakatastrophe ausliefere.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusExklusivLandtagswahl in Bayern
:AfD erstarkt auch im Freistaat

In einer Forsa-Umfrage für die "Süddeutsche Zeitung" deutet sich ein harter Kampf darum an, wer hinter der CSU als zweitstärkste Kraft abschneidet. Freie Wähler und AfD legen zu, Grüne verlieren. Und Söders Partei landet unterhalb der 40-Prozent-Marke.

Von Johann Osel

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: