Jüdisches Leben:Leichenzug auf versteckten Pfaden

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"Totenwegstafeln" erinnern in Georgensgmünd daran, dass früher Menschen jüdischen Glaubens aus weit umliegenden Gemeinden in den Ort kamen, um ihre Toten zu bestatten. Dabei galt es, die Zollstationen der verschiedenen Herzogtümer zu meiden.

Mit fünf "Totenwegstafeln" in Georgensgmünd (Landkreis Roth) soll ein weniger bekannter Teil jüdischer Geschichte ein Stück in die Öffentlichkeit getragen werden. Schautafeln an fünf verschiedenen Orten in der Gemeinde zeigen, dass früher Menschen jüdischen Glaubens aus den umliegenden Gemeinden in den Ortskern kamen, um ihre Toten auf dem jüdischen Verbandsfriedhof in Georgensgmünd zu bestatten, erzählt die evangelische Pfarrerin Cornelia Meinhard. Bis aus Hilpoltstein, Windsbach, Schwabach oder Roth kamen die Trauerzüge, manche legten mehr als 20 Kilometer zurück.

Meinhard zeigt auf eine Landkarte, auf der die Totenwege genau eingezeichnet sind. Die verschiedenen damaligen Herzogtümer sind farblich markiert. Zwischen ihnen "schlängelten" sich die jüdischen Glaubensangehörigen hindurch, denn jedes Herzogtum bestimmte selbst, wie hoch es seine Zölle ansetzte. Ein Eintrag im Eichstätter Zollverzeichnis von 1719 besagt, dass hier acht Gulden für "einen toten Jud'" erhoben wurden, während für ein Kalb lediglich ein Gulden verlangt wurde. Um diesen Zoll nicht zahlen zu müssen, bewegte sich der Leichenzug auf versteckten Pfaden in Richtung Georgensgmünd, erklärt Shoshana Sauerbier-Tietz vom Referat für Öffentlichkeitsarbeit, Kultur und Tourismus. So entstanden oft Strecken abseits der regulären Verkehrsrouten, durch Wälder und über Felder, für die sich bis in den heutigen Sprachgebrauch hinein die Bezeichnung "Judenwege" erhalten hätte.

Ein solcher Leichenzug habe nicht nur aus den Angehörigen bestanden, sondern sei von der "Chewra Kadischa", der Totenbruderschaft, begleitet worden. "Die Tafeln sollen einen Teil davon erklären, was es bedeutet hat, jüdisch zu sein", sagt Sauerbier-Tietz, "welchen Widrigkeiten man ausgesetzt war und welche Schwierigkeiten es gab". Denn möglichst noch am Todestag sollten die Verstorbenen nach jüdischem Glauben bestattet werden. Von der ersten Totenwegstafel am Marktplatz steigt eine steile Straße hoch auf einen Hügel. Hier gelangt man auf einen der größten jüdischen Friedhöfe in Bayern. Er umfasst heute 1800 Gräber. Der älteste Grabstein steht bereits seit 1594 hier. Die Jahrhunderte sind an den Grabsteinen, die meist aus Sandstein bestehen, nicht spurlos vorübergegangen. Das sei aber auch so gewollt, berichtet Meinhard: Die Vergänglichkeit dürfe ruhig zu sehen sein.

Derzeit sind die Georgensgmünder dabei, alle Grabsteininschriften digital zu erfassen, erzählt die Pfarrerin. Diese Erinnerung an die Verstorbenen sei bedeutend vor allem für Angehörige, die nun im Ausland lebten und die Erinnerung an ihre jüdischen Vorfahren erhalten wollten. Meinhard berichtet von einigen Besuchen jüdischer Nachkommen aus den USA und England in Georgensgmünd. In den vergangenen Jahren ist in Georgensgmünd noch mehr passiert, um die Erinnerung an die ehemals große jüdische Gemeinde aufrechtzuerhalten. So wurde ein Audio-Guide samt 3-D-Animation erstellt, um sich die Synagoge und das jüdische Leben erschließen zu können. Anrührend und spannend: das Wiederauftauchen des ehemaligen Thora-Vorhangs nach 80 Jahren und die Geschichte der aufwendigen Recherche.

Ausstellungen und Projekte seien immer wieder durch die finanzielle Förderung des EU-Programms "Leader" ermöglicht worden, sagt Sauerbier-Tietz. Darunter sei auch eine 3-D-Animation der 1734 erbauten Synagoge, durch die die kunstvolle Wand- und Deckenbemalung im Innenraum des Gebetsraumes wieder zum Leben erweckt wird. Aber auch ohne 3-D-Brille sind an einigen Stellen des Raumes dank mühevoller Restaurationsarbeiten noch die Verzierungen zu sehen. Sauerbier-Tietz blickt durch den Innenraum der Synagoge. Man könne nie aufhören, an die Vergangenheit zu erinnern und zu zeigen, dass es anders gehen kann, sagt sie: "Indem man sich wieder hier versammelt, zusammen feiert und einfach immer zeigt: Hier ist nach wie vor Leben."

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