Anschlag auf Synagoge:"Gefestigte judenfeindliche und rechtsextreme Geisteshaltung"

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Der Mann (re.) soll in der Silvesternacht versucht haben, ein Feuer in der Synagoge in Ermreuth zu legen. Im Prozess attestierte ihm der Richter eine rechtsextreme Gesinnung. (Foto: Daniel Vogl/dpa)

Ein 22-Jähriger räumt den Versuch ein, in der Silvesternacht eine Synagoge in Brand zu stecken. Und das ausgerechnet im fränkischen Ermreuth, einem historisch gebrandmarkten Ort.

Von Olaf Przybilla, Bamberg

Die Anklage der Generalstaatsanwaltschaft München beginnt nicht mit einer Erörterung des Tathergangs. Fürs Verständnis des danach geschilderten Sachverhalts ist Andreas Franck, dem Chefankläger gegen Antisemitismus in Bayern, zunächst anderes wichtig: "Der Angeklagte hat eine gefestigte judenfeindliche und rechtsextreme Geisteshaltung." Besagter Mann, inzwischen 22 Jahre alt und aus dem Kreis Forchheim stammend, soll in der Nacht von Silvester auf Neujahr 2023 wenige Minuten nach Mitternacht einen Brandanschlag auf die Synagoge in Ermreuth versucht haben.

Ermreuth, so muss man das wohl sagen, ist ein historisch gebrandmarkter, ein geschundener Ort. In den Siebzigerjahren hat von dem Dorf aus eine paramilitärische Truppe ihr Unwesen getrieben. Als verfassungsfeindlich wurde sie später verboten und war mit einem zugezogenen Bewohner schon namentlich aufs Engste verbunden: die "Wehrsportgruppe Hoffmann", benannt nach dem heute noch in Ermreuth lebenden, gesundheitlich angeschlagenen Karl-Heinz Hoffmann. Das Dorf-Stigma.

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Nur stand das Dorf Ende 2022 ja längst für anderes: Ein Ort, keine tausend Einwohner, mit lebendigem Kulturleben, das nicht zuletzt von einer Synagoge ausgeht, um die sich die Menschen aus der Umgebung liebevoll kümmern. 1738 war dort die erste Synagoge erbaut worden, 1822 entstand am gleichen Platz ein neues, prächtiges Haus. Zwar schändeten die Nazis das Gebäude, beschädigten es schwer, es überdauerte gleichwohl den Zweiten Weltkrieg. Neun Jahre nach Kriegsende ging es über in den Besitz der Raiffeisengenossenschaft, wurde zur Lagerhalle umgebaut. Seit 1994 aber gibt es wieder eine Synagoge in Ermreuth, für kulturelle, auch für religiöse Zwecke. Der Beginn einer neuen, einer positiven Geschichte Ermreuths.

Und dann das. "Spätestens im Verlauf des 31. 12. 2022", so sagt es am Donnerstag Oberstaatsanwalt Franck im Amtsgericht Bamberg, habe der Angeklagte den Beschluss gefasst, "ein weithin sichtbares Zeichen seiner ablehnenden Einstellung gegenüber jüdischen Menschen und ihren Gebetshäusern zu setzen und eine Synagoge in Brand zu stecken."

Die Synagoge im oberfränkischen Ermreuth ist ein Haus der Begegnung und Kultur. (Foto: Alexander Nadler)

Zumindest was den grundsätzlichen Tatverlauf betrifft, lässt der 22-Jährige seinen Verteidiger die Anklage einräumen. Er gibt also zu, der Mann zu sein, der schwankend auf dem Video an der Synagoge zu sehen ist. In der Untersuchungshaft sei ihm sein "schändliches Fehlverhalten" bewusst geworden. Und ja, bereits vor längerer Zeit sei er "mit rechtem Gedankengut" in Kontakt gekommen. Offenbar habe ihn dann übermäßiger Alkoholgenuss am Silvestertag "enthemmt". Da habe er schon um die Mittagszeit an einer Treibjagd teilgenommen - und von da an getrunken. Er könne nur um Verzeihung bitten: bei den Eltern, beim Dorf, beim Bürgermeister auch.

Der gelernte Industriemechaniker trägt Kapuzenpulli, er sitzt aufrecht und redet bedächtig. "Der Bürgermeister hat viel Stress dadurch, der wäre vermeidbar gewesen", sagt er. Er sei in der Feuerwehr, liebe seine Heimat, den Kirschanbau dort. Sein Verteidiger verliest noch den Satz: "Ich fühle mich sehr schlecht."

Auf seiner Kleidung war der Schriftzug "Unbeugsam" zu lesen

Oberstaatsanwalt Franck nimmt das alles ungerührt zur Kenntnis. Er geht in der Anklage davon aus, dass der 22-Jährige den Zeitpunkt seines Brandanschlags sehr wohl bewusst wählte. Immerhin sei ihm als Ortskundigen klar gewesen, dass "sich viele Dorfbewohner und Feiernde gegen Mitternacht zum Dorfplatz begeben würden". Zwar habe der junge Mann versucht, seine Identifizierung zu erschweren, etwa mit einer über die Kappe gezogenen Kapuze. An seinen Klamotten war aber immer noch der in Fraktur gehaltene Schriftzug "Unbeugsam" zu lesen. Und auch: "Mein Hass, mein Schmerz, Dein Leid."

Vier Minuten nach Jahreswechsel, so Franck, habe der 22-Jährige zunächst versucht, die Eingangstür der Synagoge zu öffnen. Als das misslang, stieg er auf eine Bank, hieb zweimal mit der linken Faust erfolglos an ein Fenster, nahm dann die rechte Faust und zerschlug die Scheibe. Danach habe er "einen Schuhkarton-großen pyrotechnischen Gegenstand" gezündet, wohl ein Bodenfeuerwerk, um es in den Innenraum der Synagoge zu werfen. So habe er Brennbares - Postkarten oder Broschüren - in Brand setzen wollen und zumindest in Kauf genommen, dass die ganze Synagoge abbrennt. Was glücklicherweise - trotz mehrerer Versuche - misslang. Woher er das Feuerwerk hatte? Daran könne er sich nicht erinnern, sagt der Angeklagte. Nichts an der Tat sei geplant gewesen.

Eine rechtsradikale Gesinnung? Doch, die räumt der 22-Jährige ein. Er habe sich "weltpolitisch viel angesehen", will Missstände beobachtet haben, auch rechtsradikale Musik hörte er. Rechtsrock am liebsten, Lieder über Heimat, die hätten ihn bestärkt, dass er "die richtige Meinung" habe. Seine extreme Gesinnung wolle er nun aber überwinden, arbeite auch schon daran. Ein Aussteigerprogramm brauche er aber nicht - hoffe er jedenfalls. Er sei ja nicht aktives Mitglied einer Szene, wenn auch an einer einschlägigen Chat-Gruppe beteiligt gewesen. Mit dem betagten Hoffmann hat er nach allem, was die Ermittler zutage gefördert haben, nichts zu tun. Nur einmal gegoogelt hat er die "Wehrsportgruppe Hoffmann".

Rechtsradikale Gesinnung? Der Vater des Angeklagten will davon nie etwas mitbekommen haben. Seine Frau aber habe mal gesagt: Wenn der Sohn so weiter trinke, "dann passiert mal was". Die Mutter berichtet, sie sei bei der Festnahme ihres Sohnes "vollkommen schockiert" gewesen, seither sei alles anders. Sie suche die Schuld bei sich, komme aber schwer zu einem Ergebnis. Rechtsradikalismus? So hätten sie die Kinder "nie erzogen", sagt die Mutter mit brechender Stimme. Sie gehe mal davon aus, dass ihr Sohn "ein CSU-Wähler" sei.

Eine rechtsradikale Gesinnung in der Dorfclique will auch ein Kumpel nicht beobachtet haben. Und ein verbürgter Hitlergruß im Suff? "Auf dem Dorf" passiere so etwas "öfters", behauptet der Zeuge. Er heiße das aber nicht gut. Eine andere Zeugin berichtet, es habe durchaus antisemitische Äußerungen in der Clique gegeben: "Scheiß-Juden" und "sprengt die Juden weg" zum Beispiel, bedauerlicherweise. Der Angeklagte habe das am Silvesterabend aber, soweit sie es mitbekommen habe, nicht gesagt. Ja, doch, "Hitler-Parolen" seien in der Dorfclique bei Alkoholkonsum schon mal gefallen, ergänzt wiederum ein weiterer Zeuge.

In der Ermreuther Synagoge, berichtet der 22-Jährige selbst, sei er noch nie gewesen. Aber gekannt, ja doch, habe er sie schon, er stamme ja aus dem Nachbarort. Vermutet, dass die Synagoge videoüberwacht werde, habe er auch. Der Alkohol habe ihn das wohl vergessen lassen. Ein Urteil in dem Verfahren wird an diesem Freitag erwartet.

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