Forschungsband über die Erlanger "HuPfla":"Medizin-historische Themaverfehlung und fachliches Versagen"

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... und danach. (Foto: Olaf Przybilla)

Die Herausgeber eines Buches über die historische Heilanstalt in Erlangen gehen mit Stadt und Universität hart ins Gericht. Einer der Autoren lehrt in Erlangen selbst Ethik in der Medizin.

Von Olaf Przybilla, Erlangen

Erlangen dürfte keine Debatte in den vergangenen Jahren so in Atem gehalten haben wie die um die ehemalige Heil- und Pflegeanstalt, die "HuPfla". Im akademischen Milieu der Stadt soll das etwas heißen. Debatten werden dort auf hohem Niveau geführt, man schenkt sich nichts, die Diskurslinien aber sind selten trennscharf zu ziehen: In der Debatte um die "HuPfla" etwa nehmen die Duellanten jeweils für sich in Anspruch, für Erinnerungskultur einzustehen - für das Erinnern also an Hunderte Patientinnen und Patienten, die der NS-"Euthanasie" mitten in der Stadt zum Opfer gefallen sind. Die Frage war und ist nicht, ob man erinnert. Sondern wie und wo.

Immerhin darauf dürfte man sich inzwischen einigen können: Es war richtig, dass eine Initiative darum gekämpft hat, einen maßgeblichen Teil des seit 1990 unter Denkmalschutz stehenden, ehemaligen Nordflügels der "HuPfla" zu retten - einen Teil dieses historischen Baus also nicht modernen Forschungsbauten zu opfern. Der Streit aber, zunehmend unversöhnlich geführt, war damit nicht zu Ende. Zwischenzeitlich konzentrierte er sich auf die Frage, ob nach dem westlichen Patiententrakt des Baudenkmals, 2020 abgebrochen, wenigstens dessen Ostflügel gerettet werden soll für die Gedenkkultur.

Alle Versuche, die Bitten von Ärzten, Denkmalschützern und des Auschwitz-Komitees für die Bundesrepublik Deutschland waren vergebens. Im Frühjahr 2023 wurde auch der Ostflügel abgerissen, ebenfalls ein ehemaliger Patiententrakt. Vom Gebäude, in dem Menschen zu Tode gehungert wurden, ist somit nur der Mitteltrakt mit Kleinansätzen beider Seitenflügel übrig geblieben. 48 von einst 166 Metern.

So sah die historische Heilanstalt noch zu Beginn des Jahres 2023 aus. (Foto: Olaf Przybilla)

An diesem Mittwoch wird ein Buch vorgestellt, in dem man die Kämpfe ums Erinnern nachlesen kann. Der Band mit dem Titel "NS-,Euthanasie' in Erlangen. Tatorte - Hungerkost - Opfer", erschienen im Verlag Ph. C. W. Schmidt, ist von einer Universitätspublikation dem Gepräge nach nicht zu unterscheiden. Auf 392 Seiten erörtern zehn Autorinnen und Autoren verschiedene Aspekte, über Grundsätzliches zur NS-"Euthanasie" kann man sich ebenso informieren wie über die Geschichte von Opfern und die Topografie des organisierten Hungersterbens in der Unistadt.

Auf den ersten Blick könnte man den Band also ohne Weiteres für ein Resultat des derzeit an der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) vorangetriebenen Projekts zur Aufarbeitung von Medizinverbrechen halten - zumal einer der Herausgeber, Andreas Frewer, dort Ethik in der Medizin lehrt. Tatsächlich aber versteht sich das Buch offenkundig als Teil der bürgerschaftlichen, gewissermaßen "nicht-offiziellen" Erinnerungskultur, jenes Teils der Stadtgesellschaft also, der sich einen anderen Umgang mit der "HuPfla" gewünscht hätte, Abrissbagger aufhalten wollte und dafür leidenschaftlich gekämpft hat - wenn auch in einem maßgeblichen Punkt erfolglos.

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Wer Belege dafür sucht, mit welchen Bandagen in Erlangen diskutiert wird, kann darin fündig werden. In einem resümierenden Beitrag versuchen weder Frewer noch sein Mitherausgeber, der ehemalige Leiter des Erlanger Stadtmuseums Thomas Engelhardt, entstandene Gräben zuzukleistern. So hätten die offiziellen Stellen, "die an der Durchsetzung des Abbruchkonzeptes interessiert waren", neue Erkenntnisse über die exakte Lage der Hungerstationen mit der Behauptung pariert, "dass dies gar keine neuen Ergebnisse seien - ohne einen Versuch unternommen zu haben, die Quellengrundlage für diese Aussagen in Erfahrung zu bringen". Sowohl Stadt wie auch die Uni hätten stattdessen versucht, "mit großem Aufwand das Meinungsbild zu beeinflussen", indem man die Forschungen in Frage gestellt, diskreditiert und zu unterminieren versucht habe.

Das von Stadt, Uni und Bezirk beauftragte, sozusagen "offizielle" Erinnerungsprojekt habe zu jener Zeit "noch keine substanziellen Ergebnisse vorgelegt" - und die Frage nach der exakten Lokalisierung der Hungerstationen "erstaunlicherweise als zweitrangig" ausgeklammert. "Diese Form der ,Auftragsforschung' ist bedenklich", beanstanden der frühere Stadtmuseumschef und der aktuelle FAU-Professor.

Dem wachsenden öffentlichen Druck hätten offizielle Stellen zudem mit der These zu begegnen versucht, ein Ändern der Baupläne zu jenem Zeitpunkt habe den Verlust von Fördergeldern in zweistelliger Millionenhöhe zur Folge. So sei man also zur Tat geschritten: Abbruch. Mit der Folge, dass für die geplante Gedenkstätte nun nur noch frühere Räume der Unipsychiatrie sowie Wohnungen der Pflegekräfte und Ärzte übrig sind. Die Flügel des Baus aber gestutzt wurden und damit die "eigentlich wichtigsten Teile, die Krankenstationen" nicht mehr vorhanden - "und nicht einmal auf Bodenniveau als begehbare Fundamente des Unrechts erkennbar" geblieben seien.

Unterm Strich attestieren Frewer und Engelhardt der Gegenseite eine "medizin-historische Themaverfehlung und fachliches Versagen", sogar von "dienstfertiger Anpassungsbereitschaft" ist die Rede. Ihre Conclusio: "Eben vor dem unumkehrbaren Abriss sollten historische Fakten eigentlich offengelegt werden!"

Auf die Gegenrede, gerade aus der Erlanger Uni, wird man gespannt sein dürfen. Übertriebene Dünnhäutigkeit, zumal für Kritik aus den eigenen Reihen, wird man dieser bislang kaum nachsagen können. Vorgestellt wird der - absehbar zum Teil FAU-kritische - Band an diesem Mittwoch (18 Uhr) im Senatssaal des Uni-Kollegienhauses, Universitätsstraße 15.

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