S-Bahn-Ausbau in München:Was Seehofer bei der zweiten Stammstrecke anders gemacht hat als Söder

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Horst Seehofer (CSU), ehemaliger Ministerpräsident von Bayern, am Montag vor seinem Auftritt im Untersuchungsausschuss Stammstrecke des Landtags. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Beim Umgang mit Bayerns größtem Verkehrsprojekt hat der damalige Ministerpräsident immer wieder Druck gemacht. Seine Aussage im Landtag lässt seinen Nachfolger alt aussehen.

Von Klaus Ott

Horst Seehofer, vormaliger bayerischer Ministerpräsident und CSU-Chef, hält sich als Rentner mit Äußerungen über seinen Nachfolger Markus Söder vollkommen zurück. Keine öffentlichen Ratschläge, keine öffentliche Kritik, nichts dergleichen. An diesem Montag aber hat Seehofer bei einem Besuch im Landtag einiges geäußert, was Söder ziemlich schlecht aussehen lässt. Sehr schlecht sogar. Auch wenn Söder bei dem, was Seehofer sagte, überhaupt nicht vorkam.

Der Ministerpräsident a.D. war als Zeuge geladen zu dem Milliardendesaster beim Ausbau der Münchner S-Bahn. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss soll aufklären, wie es dazu kommen konnte, dass die zweite Stammstrecke viel teurer und viel später fertig wird als geplant. Die zweite Tunnelstrecke quer durch München wurde unter Seehofer als bayerischer Regierungschef geplant und mit dem Bund vereinbart.

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Seehofer berichtete als Zeuge, bei solchen Großprojekten habe seine Mentalität gelautet: "Nicht schieben, sondern entscheiden." Als Ministerpräsident habe er zur zweiten Stammstrecke "mindestens vier Bahngipfel einberufen unter meinem Vorsitz". Und er habe verfügt, dass im Kabinett monatlich über den Fortgang des Projekts berichtet werden müsse. Das "hält halt auf alle den Druck aufrecht". Wenn ein Ministerium der Regierungszentrale, der Staatskanzlei, regelmäßig Bericht erstatten müsse, sei das "segensreich" und "pädagogisch wirkungsvoll".

Diese Aussagen sind insofern bedeutungsvoll, als die Staatskanzlei sich unter Söders Regie ganz anders verhalten hat. Wie auch Söder selbst. Im Jahr 2020 hatte Bayerns damalige Verkehrsministerin Kerstin Schreyer (CSU) und ihr Ministerium die Staatskanzlei und auch Söders selbst wiederholt alarmiert. Bei der zweiten Stammstrecke drohten damals immense Kostensteigerungen und Verzögerungen, wozu es dann auch kam.

Schreyer und ihr Ministerium drängten vehement auf ein Gipfeltreffen, zu dem Regierungschef Söder einladen sollte. Einen Termin gab es nach Aktenlage auch schon, nämlich den 22. Oktober 2020. Ein Gipfeltreffen unter Söders Vorsitz gab es dann tatsächlich: Ende Juli 2022, als sich das Desaster nicht mehr verbergen ließ. Und zwischenzeitlich hatte die Staatskanzlei laut Aktenlage dem Verkehrsministerium sogar vorgegeben, bei der Deutschen Bahn als Bauherr nicht auf neue, aktuelle Zahlen zu Bauzeit und Kosten zu drängen.

Die Haltung der Staatskanzlei gipfelte in einem Vermerk vom Dezember 2020. Darin hieß es, die zweite Stammstrecke sei "kein Gewinnerthema im Wahlkampf". Gemeint war der Bundestagswahlkampf 2021. Zu diesem Vermerk wollte sich Seehofer auf Fragen von Ausschusschef Bernhard Pohl von den Freien Wählern nicht äußern. Aber der Ministerpräsident a.D. hat zu seinem Regierungsstil ein paar grundsätzliche Dinge gesagt. Wegen eines anstehenden Termins könne man nicht den "Kurs verlassen". Ihm sei es um eine "wahrheitsgerechte Kommunikation" gegangen. Probleme auszuklammern wäre "fahrlässig".

Söders Regierung und die CSU sagen heute, man habe nicht eher agieren und informieren können, weil die Bahn als Bauherr jahrelang keine Zahlen herausgerückt habe. Dazu hat sich Seehofer nicht geäußert, aber grundsätzlich hat er sich anders verhalten als Söder. Wenn ein Bahngipfel stattgefunden habe, "dann war das so vorbereitet, dass wir belastbare Zahlen hatten". Wie Seehofer als Ministerpräsident Druck gemacht hat, ist in einem Schreiben dokumentiert, das er am 12. September 2017 an den seinerzeitigen Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt geschickt hat.

Dobrindt sollte laut Seehofer beim Bahnchef klarstellen, dass der Zeitplan des Projekts nicht verhandelbar sei

Anlass waren mögliche Umplanungen der Deutschen Bahn bei der zweiten Stammstrecke gewesen. Seehofer bat Dobrindt, beim Vorstandschef der Bahn "unmissverständlich klarzustellen", dass es keine Änderungen geben dürfe, die zu Verzögerungen führten. "Die Einhaltung des avisierten Zeitplans mit Inbetriebnahme der zweiten Stammstrecke 2026 ist nicht verhandelbar." Für Seehofer war es damals selbstverständlich gewesen, sich an den Bundesverkehrsminister und CSU-Parteikollegen Dobrindt zu wenden. "Die Bahn gehört zu seinem Ressort."

Als Bundesverkehrsminister müsse man sich um die Bahn und deren Projekte kümmern, sagte Seehofer. "Das ist ja sein Geschäftsbereich." Ausschusschef Pohl von den Freien Wählern konnte sich an dieser Stelle einen Seitenhieb auf den späteren Bundesverkehrsminister und früheren CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer nicht verkneifen. Das habe Scheuer, "hier auf diesem Stuhl sitzend, ganz anders erklärt".

Scheuer hatte kürzlich ebenfalls als Zeuge aussagen müssen und dabei wortreich erklärt, dass er mit der zweiten Stammstrecke eigentlich nichts zu tun gehabt habe. "Das war nicht mein Thema." Seine bayerische Kollegin hatte sich im Oktober 2020 mit der Bitte um Hilfe an Scheuer gewandt; telefonisch und per Brief. Den Brief will Scheuer nie bekommen haben. "Dieses Schreiben kenne ich nicht." Und an ein Telefonat mit Schreyer in dieser Sache könne er sich nicht erinnern.

Der Grünen-Abgeordnete Martin Runge verstand Seehofers Äußerungen als "Botschaft, das ist Chefsache, der Ministerpräsident muss sich persönlich kümmern". Den Eindruck, der habe damit der Opposition eine Vorlage geliefert, wollte Seehofer nicht entstehen lassen. Die Opposition übertrage seine Äußerungen auf seinen Nachfolger. "Das sind die Spiele, die ich in der Politik immer scharf kritisiert habe." Für ihn gelte die Lebensweisheit, dass jede Zeit und jeder Politiker einen eigenen Stil habe. Deshalb schweige er seit seinem Ausscheiden aus den Ämtern des Ministerpräsidenten und CSU-Chefs im Jahr 2018 zur bayerischen Politik, sagte Seehofer.

Aber da waren Seehofers Worte über seinen Umgang mit der zweiten Stammstrecke eben schon gesagt. Seinen ganz anderen Umgang, als das anschließend bei Söder der Fall war. Der Vizechef des U-Ausschusses und CSU-Abgeordnete Jürgen Baumgärtner von der CSU ging Seehofer auf eine Art und Weise an, die wie ein Entlastungsversuch für Söder wirkte. Zu Seehofers Regierungszeit habe der Freistaat für die zweite Stammstrecke einen Vertrag "ohne Kostendeckel" mit der Deutschen Bahn geschlossen, erklärte Baumgärtner. "In diesem Vertrag ist überhaupt nichts geregelt." Das Ergebnis sei das Desaster von heute.

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:"Hier bahnt sich ein größeres Desaster mit Ansage an!" - "Alarm!!!"

Bayerische Regierungsakten belegen, dass Ministerpräsident Markus Söder und seine Staatskanzlei lange und eindringlich vor einem Debakel bei der zweiten Stammstrecke der Münchner S-Bahn gewarnt waren. Es ist ein Drama in zehn Akten, zu dem Söder jetzt im Landtag aussagen muss.

Von Klaus Ott

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