Radverkehr in Bayern:Hätte, hätte, Fahrradkette

Lesezeit: 3 Min.

Fast 20 000 Radunfälle gab es im vergangenen Jahr in Bayern - ein Rekordwert. Fahrradverbände klagen, dass zu wenig in die Sicherheit investiert wurde. (Foto: Alexander Rochau/imago)

Bayerns Verkehrsminister preist das Rad gerne als wichtiges Fortbewegungsmittel. Der Ausbau der dazugehörigen Wege wurde allerdings vernachlässigt. Nun wird vor der Wahl noch schnell ein Radgesetz gestrickt.

Von Thomas Balbierer und Andreas Glas

Wenn es um den Ausbau des Radverkehrs in Bayern ging, waren sich die CSU-Verkehrsminister in den vergangenen Jahren einig. So einig, dass sie stets dasselbe Ziel ausriefen - und dabei Jahr für Jahr identisch klangen. "Wir wollen mehr Menschen für das Fahrradfahren begeistern", erklärte zum Beispiel Joachim Herrmann 2017. "Wir wollen, dass mehr Menschen das Fahrrad auch im Alltag nutzen", sagte Kerstin Schreyer im Jahr 2021. Und vom aktuellen Amtsinhaber Christian Bernreiter ist folgender Satz überliefert, nur wenige Monate alt: "Wir wollen das Fahrrad deshalb noch mehr als Verkehrsmittel im Alltag etablieren."

Nun ist das mit dem Wollen so eine Sache, man kennt das aus dem eigenen Leben. Allein der Wunsch, endlich öfter ins Fitnessstudio zu gehen, lässt den Bizeps nicht wachsen. Man muss schon zur Hantel greifen. Doch beim Zupacken haperte es in den vergangenen Jahren beim Thema Radverkehr - obwohl sich die Regierung 2017 in einem eigenen Radverkehrsprogramm ambitionierte Ziele gesetzt hat: Zum Beispiel, den Anteil der Fahrradfahrer am Gesamtverkehr bis 2025 von circa zehn auf 20 Prozent zu erhöhen. Aktuell liegt der Wert laut dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) bei etwa elf Prozent. Oder den Vorsatz, die Fahrradunfälle durch mehr Sicherheitsmaßnahmen zu reduzieren. Tatsächlich gab es im vergangenen Jahr fast 20 000 Unfälle in Bayern, ein trauriger Rekord. 84 Radler starben.

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Weil die Politik hinter den eigenen Ankündigungen zurückblieb, wollte der ADFC - eine Art ADAC für Fahrradnutzer, nur viel kleiner - das Problem selbst in die Hand nehmen. Im vergangenen Jahr startete der bayerische Landesverband den sogenannten Radentscheid, ein Volksbegehren, das die Landespolitik per Radgesetz zu Verbesserungen verpflichten soll. Mehr als 100 000 Unterschriften haben die Initiatoren für ihren Gesetzentwurf gesammelt, unterstützt von zahlreichen Naturschutzverbänden und Parteien wie SPD und Grünen.

Der Gesetzestext sieht unter anderem vor, dass der Freistaat die Kommunen bei der Planung entlastet, den Anteil des Radverkehrs bis 2030 auf 25 Prozent steigert und bei Straßenbauprojekten die Errichtung und Sanierung von sicheren Fahrradspuren forciert. "Bislang ist viel zu wenig passiert", sagt Bernadette Felsch, Radentscheid-Beauftragte und Vorsitzende des ADFC in Bayern. "Noch immer gibt es auf der Hälfte der Landstraßen keinen Radweg."

Am Wochenende finden in bayerischen Städten Fahrraddemos statt

Der Gesetzestext des Volksbegehrens liegt derzeit zur Prüfung beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof, er kann die Zulassung aus juristischen Gründen stoppen, was bei Volksbegehren häufig der Fall ist. Die Initiatoren wollen sich aber nicht bremsen lassen und hoffen, dass das Projekt noch rechtzeitig zur Landtagswahl im Oktober ins Rollen kommt. Am Wochenende veranstalten sie in mehreren bayerischen Städten Fahrraddemos, um für ihre Ziele zu werben. In München werden am Sonntag bis zu 20 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu einer Sternfahrt erwartet, auch in Nürnberg, Deggendorf und Bayreuth soll protestiert werden. Falls das Volksbegehren zugelassen wird, müssten eine Million Wahlberechtigte unterschreiben, bevor es in den Landtag eingebracht werden kann.

Möglicherweise hat die Regierung bis dahin aber längst andere Tatsachen geschaffen. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bekräftigte nach einer Sitzung seines Kabinetts am Dienstag, dass seine Regierung ein eigenes Radgesetz auf den Weg bringen will. Es werde "vor der Sommerpause noch verabschiedet". Der Entwurf für das Gesetz wird von den Regierungsfraktionen CSU und Freie Wähler kommen. 1500 Kilometer neue Radwege sollen bis 2030 gebaut werden, mehr ist nicht bekannt. Seine Radpläne hatte Söder im Januar öffentlich gemacht. "Just an dem Tag, an dem ich im Innenministerium angerufen habe, um zu sagen, dass wir genug Unterschriften für unser Volksbegehren haben", sagt Bernadette Felsch vom ADFC. Sie vermutet, dass Söder dem Radentscheid zuvor kommen will, um nicht erneut in die Defensive zu geraten wie beim erfolgreichen Bienen-Volksbegehren 2019.

"Und jetzt wird mit ganz heißer Nadel ein Gesetz gestrickt."

Vom Vorhaben der Staatsregierung erhofft sich die Radexpertin nicht allzu viel, zumal ihr Verband an der Ausarbeitung des Gesetzes bislang nicht beteiligt sei. "Die CSU hat fünf Jahre lang Forderungen nach einem bayerischen Radgesetz abgelehnt", sagt sie. "Und jetzt wird mit ganz heißer Nadel ein Gesetz gestrickt, um das Thema vor der Wahl abzuräumen." Dass die CSU auf einmal vorschlage, Auto- oder Parkspuren in der Stadt zu Fahrradwegen umzugestalten, glaubt sie nicht. "Da ist die Angst zu groß, Autofahrer zu verprellen." Die Zahl von 1500 neuen Radkilometern hält sie für zu niedrig. "Das sind 90 Meter pro Kommune."

Auch Inge Aures, Verkehrsexpertin der SPD-Fraktion im Landtag, hält Söders Vorstoß für ein Wahlkampfmanöver. "Bislang hat die Staatsregierung dem Fahrrad wenig Priorität in der Verkehrspolitik eingeräumt", sagt Aures. "An erster Stelle kam das Auto und dann sehr lange nichts." Dass die Regierung das Radgesetz nun bis spätestens Juli durch den Landtag boxen wolle, passe ins Bild. Gelegenheiten, das Thema ausführlich zu behandeln, habe es genug gegeben, sagt Aures. Sowohl die SPD als auch die Grünen haben in der laufenden Legislatur eigene Entwürfe für ein Radgesetz eingebracht. Sie scheiterten an der Mehrheit von CSU und Freien Wählern. Immerhin will die Regierung Radfahrer nun auch noch mit einem Ein-Euro-Ticket für die Mitnahme von Fahrrädern in Regionalzügen beglücken.

Mit der Kritik an der bayerischen Radpolitik kann Verkehrsminister Christian Bernreiter gar nichts anfangen. "Wir haben jedes Jahr 50 Millionen Euro ausgegeben", sagt er und verweist auf die Ausbaupläne bis 2030. "Da ist ganz viel vorangegangen. Da sind wir eigentlich turbomäßig unterwegs."

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