Bayerischer Landtag:NSU-Ausschuss will mögliche Unterstützer in Fokus nehmen

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Auf diesem Parkplatz in der Nürnberger Scharrerstraße stand der Imbiss von İsmail Yaşar, dort wurde er 2005 erschossen. Von den Rechtsextremisten des NSU, wie sich später herausstellen sollte. (Foto: Florian Schuh/imago images)

Schon im Mai soll der zweite Untersuchungsausschuss zu den Morden der rechtsextremen Terrorzelle starten. Mögliche Behördenfehler sind ebenso ein Thema wie das Umfeld der Täter.

Von Johann Osel, München/Nürnberg

Am Tag davor, erinnert sich Arif Taşdelen, war er noch bei dem türkischen Imbiss in Nürnberg, um einen schwarzen Tee zu trinken und ein wenig zu plaudern. Plötzlich, damals im Frühsommer des Jahres 2005, war dann in der Scharrerstraße alles abgesperrt von der Polizei, die Spurensicherung zugange - und der Inhaber İsmail Yaşar war tot, er starb durch mehrere Schüsse in Kopf und Oberkörper. Er war eines der Opfer, wie sich später herausstellen sollte, der Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU). Ein großes Thema in Nürnbergs türkischstämmiger Community sei es damals gewesen, dass bei ihnen ermittelt wurde wegen vermeintlicher krimineller Geschäfte und dass sie "wie Schuldige behandelt wurden", sagt Taşdelen, SPD-Fraktionsvize im Landtag. Vor allem aber die Angehörigen der NSU-Opfer hätten Anspruch auf "lückenlose Aufklärung" - zumindest die Erwartung, dass der Landtag alles daran setze.

Jetzt ist es offiziell: SPD und Grüne beantragen einen neuen Untersuchungsausschuss zum NSU in Bayern. Der Ausschuss soll, so der Plan, bereits im Mai seine Arbeit aufnehmen. Neben dem laufenden U-Ausschuss zur Maskenaffäre in der Corona-Pandemie wird es der zweite für den Rest der Wahlperiode sein. Am Montag haben Taşdelen sowie der designierte Ausschuss-Chef Toni Schuberl und der Abgeordnete Cemal Bozoğlu (beide Grüne) ihren interfraktionellen Antrag zur Einsetzung des U-Ausschusses vorgestellt. Vergangene Woche hatte bereits die SZ berichtet, dass dies kurz bevorsteht.

Ziel soll die Klärung offener Fragen bei den Morden und Sprengstoffanschlägen sowie möglicher Fehler der bayerischen Sicherheits- und Justizbehörden sein - aber auch ein anzunehmendes breiteres Unterstützer-Umfeld der Terrorzelle und dessen denkbares Fortbestehen sollen im Fokus stehen. "Wir haben auch heute enorme rechtsextreme Gefährdungspotenziale", sagt Schuberl. So wolle man "mögliche Kontinuitäten und Verbindungen zwischen dem NSU und aktuellen rechtsterroristischen Bedrohungen durchleuchten".

Vor zehn Jahren tagte schon ein Gremium

Es ist das zweite Mal, dass Abgeordnete in Bayern zum NSU ein Aufklärungsgremium initiieren: Der Landtag hatte sich 2012 und 2013 in einem U-Ausschuss etwa mit der Sicherheitsarchitektur oder eben potenziellen Helfern des NSU beschäftigt. Als der Ausschuss den Schlussbericht vorlegte, lief der Prozess gegen die NSU-Hauptangeklagte Beate Zschäpe am Oberlandesgericht München aber erst seit Kurzem. Vor Gericht und über Recherchen kamen neue Erkenntnisse zu Tage, unter anderem zu einem Rohrbombenattentat 1999 in Nürnberg, bei dem der türkischstämmige Wirt verletzt wurde und das erst sehr spät dem NSU zugeordnet wurde. Bozoğlu treibt sehr die Frage um, ob nicht weitere Morde hätten verhindert werden können, wenn schon 1999 eine Neonazi-Spur ermittelt worden wäre. Unklarheiten gebe es auch weiter über die Rolle von V-Leuten und Informanten diverser Behörden. Bei bisherigen U-Ausschüssen zum NSU, auch anderorts, sieht Schuberl als "großes Manko", dass Prozesse noch liefen oder Urteile nicht rechtskräftig waren - und daher Aufklärern in Parlamenten nicht alle Akten zugänglich waren.

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Mit dem Tod von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos und den durch Zschäpe verschickten Bekennervideos war der NSU 2011 aufgeflogen. Mehr als ein Jahrzehnt lang konnte die Gruppe unentdeckt zehn Menschen ermorden, Anschläge verüben und Raubüberfälle begehen. Allein in Bayern hat der NSU fünf Männer türkischer beziehungsweise griechischer Herkunft ermordet, in Nürnberg und München. Diese "Dichte der Morde" im Freistaat sowie die Ermittlungen ohne Erfolge seien bis heute relevant für die Sicherheit der Menschen in Bayern, meint Bozoğlu: "Was wurde unternommen, dass das an Pannen nicht wieder passieren kann?" Das NSU-Trio und wenige bekannte Unterstützer können in seinen Augen nicht das gesamte "Netzwerk" gewesen sein. Am Gericht, sagt der Grüne, sei im Saal zu sehen gewesen: "Die Nazis haben gelacht, die Opferangehörigen haben geweint." Diese "Ohnmacht und Hilflosigkeit" gebe es nach wie vor.

Grüne und SPD verfügen über die 20 Prozent der Mandate, die es zur Einsetzung des U-Ausschusses braucht. In den Regierungsfraktionen wird derzeit eine Zustimmung zum Antrag geprüft, nachdem man sich dem Vernehmen nach im Ältestenrat etwas Bedenkzeit erbeten hatte. Bei CSU und Freien Wählern gibt es keine grundsätzlichen Zweifel, zuletzt war eher von Skepsis an der sinnvollen Umsetzbarkeit die Rede. Ende April soll der Antrag in den Fachausschuss, Mitte Mai ins Plenum. Dann geplant: die rasche Konstituierung. Ein Fragenkatalog liegt bereits vor, Grüne und SPD arbeiten schon länger daran - ohne viel Einarbeitung könne man starten, hieß es. Motiviert bei den Vorbereitungen wurden Grüne und SPD durch die Petition "Kein Schlussstrich". Auch die Stadträte in Nürnberg und München haben sich für einen U-Ausschuss ausgesprochen.

Doch reicht überhaupt die Zeit für ein derart umfassendes Vorhaben? Die Spanne der Untersuchung ist 1990 bis 2022, es spielen überregionale Aspekte, Akten und Zeugen mit hinein. Taşdelen sagt, man habe 15 Monate, um "konzentriert und fleißig zu arbeiten". Kann man die Erwartungen tatsächlich erfüllen? Sei nicht garantiert. Aber mit der Entscheidung, dass man den "Versuch, noch einmal Licht ins Dunkle zu bringen", nicht wage - damit hätte man sicherlich "mehr Menschen enttäuscht".

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