Rechtsterrorismus:Untersuchungsausschuss zu NSU-Morden steht kurz bevor

Rechtsterrorismus: Eine Gedenkstätte für die Opfer der NSU-Terrorzelle, die allein in Bayern fünf Männer türkischer beziehungsweise griechischer Herkunft ermordet hat, wurde 2013 in Nürnberg eingerichtet.

Eine Gedenkstätte für die Opfer der NSU-Terrorzelle, die allein in Bayern fünf Männer türkischer beziehungsweise griechischer Herkunft ermordet hat, wurde 2013 in Nürnberg eingerichtet.

(Foto: Johannes Simon/Getty Images)

Im bayerischen Landtag soll sich ein Gremium demnächst mit der rechtsextremistischen Mordserie beschäftigen - das ist nicht das erste Mal. Die Beantragung von SPD und Grünen sei "nur noch eine Frage der Zeit".

Von Johann Osel

Mehr als zehn Jahre nach dem Auffliegen der Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) soll im bayerischen Landtag höchstwahrscheinlich ein neuer Untersuchungsausschuss die rechtsextremistische Mordserie untersuchen. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung wollen SPD und Grüne demnächst einen Antrag zur Einsetzung stellen. Dafür reicht die Zustimmung eines Fünftels aller Abgeordneten aus. Diese Marke erfüllen die beiden Fraktionen bereits, wünschen sich aber eine breitere Initiative.

Ob und in welcher Form sich auch die Regierungsfraktionen CSU und Freie Wähler beteiligen, ist noch unklar. Ein möglicher Fragenkatalog in Sachen NSU liegt offenbar fertig vor, womöglich schon in der kommenden Woche sollen Details vorgestellt werden. Erste parlamentarische Schritte dazu seien bereits gemacht worden, heißt es. Die Beantragung sei ganz konkret geplant und "nur noch eine Frage der Zeit".

Es wäre das zweite Mal, dass Abgeordnete im Freistaat zu dem Thema ein solches Gremium initiieren: Der Landtag hatte sich bereits 2012 und 2013 in einem U-Ausschuss unter anderem mit möglichen Defiziten in der Sicherheitsarchitektur und dem Unterstützer-Umfeld des NSU beschäftigt. Als der Ausschuss seinen Schlussbericht vorlegte, lief der Prozess gegen die NSU-Hauptangeklagte Beate Zschäpe am Oberlandesgericht München aber erst seit einigen Monaten.

Manche heutigen Erkenntnisse zum NSU wurden also erst später bekannt, bei Prozessen oder durch Recherchen. Die neuerliche NSU-Aufklärung im Landtag wäre der zweite U-Ausschuss für den Rest dieser Wahlperiode, seit einigen Monaten tagt einer zu den Maskenaffären in der Corona-Pandemie.

Mit dem Tod der Rechtsterroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos war im November 2011 das mörderische Treiben der Terrorzelle publik geworden. Mehr als ein Jahrzehnt lang konnte sie unentdeckt zehn Menschen ermorden, drei Sprengstoffanschläge verüben und zahlreiche Raubüberfälle begehen. Allein in Bayern hat der NSU fünf Männer türkischer beziehungsweise griechischer Herkunft ermordet, in Nürnberg und München.

Seit dem ersten Ausschuss gibt es nicht nur neue Erkenntnisse, sondern auch weiterhin offene Fragen. 2021 hatten die Fraktionen von Grünen und SPD eine Arbeitsgruppe eingesetzt, um den Themenkomplex aufzubereiten. Den Angehörigen der Opfer des NSU sei versprochen worden, die Morde vollständig aufzuklären, sagte damals Cemal Bozoğlu (Grüne): "Von der Einlösung dieses Versprechens sind wir immer noch weit entfernt." Florian Ritter (SPD) betonte, man sei dies den Angehörigen, aber auch der Öffentlichkeit "schuldig".

Ungeklärt ist einiges zur Rolle von V-Leuten

Zum Beispiel wurde ein Rohrbombenattentat auf die Nürnberger Kneipe "Sonnenschein" im Jahr 1999, bei dem der türkischstämmige Wirt verletzt wurde, erst im Laufe der Hauptverhandlung dem NSU zugeordnet. Auch wurden zuvor unbekannte Aufenthalte des Terrortrios in den Neunzigern in Bayern publik, womöglich liegt hier eine Verbindung zu verborgenen Neonazi-Strukturen.

Ohnehin offen ist die Frage, warum Bayern ein Haupttatland des NSU war und wie Opfer ausgespäht wurden. Bei den Behörden soll es nach wie vor Unklarheiten über die Rolle von V-Leuten geben; sowie über die Ermittlungen, die sich lange auf mutmaßliche organisierte Kriminalität fokussierten. Motiviert bei den Vorbereitungen wurden Grüne und SPD vergangenes Jahr auch durch eine Petition namens "Kein Schlussstrich".

Erst im Dezember beschloss der Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, ebenfalls einen zweiten U-Ausschuss zum NSU aufzulegen. Dort will man auch klären, warum sich andere Neonazi-Gruppen wie das "Nordkreuz"-Netzwerk im Bundesland etablieren konnten. Offenbar schwebt auch Grünen und SPD in Bayern ein derart breiterer Ansatz zum Rechtsextremismus und dessen Strukturen vor. Nur wenn sich der Ausschuss jetzt wirklich rasch konstituieren würde, bliebe wohl genügend Zeit in der Wahlperiode, um sich sinnvoll an weiterer Aufklärung zu versuchen.

CSU und Freie Wähler prüfen dem Vernehmen nach eine denkbare Beteiligung an der Initiierung, was noch wenige Wochen in Anspruch nehmen dürfte. Im Ausschuss selbst wären sie dann ohnehin umfassend beteiligt. Zuletzt waren in den Regierungsfraktionen keine grundsätzlichen Bedenken oder Einwände gegen Aufklärung zu hören; eher die Sorge, dass der Erkenntnisgewinn am Ende, zumal nach so langer Zeit, überschaubar sein könnte.

Dass die Staatsregierung im Grunde fest mit dem U-Ausschuss rechnet, bestätigte Innenminister Joachim Herrmann (CSU) kürzlich eher beiläufig bei einem Bericht im Innenausschuss: Bevor klar sei, was genau der Ausschuss anfordere, werde man keinerlei Daten löschen, auch wenn Fristen dies eigentlich vorsähen. "Wir haben nichts zu verbergen."

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