Ein Jahr schwarz-orange Koalition:Die Bilanz vom Kuscheln und Kämpfen

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Männerrunde, von links: Florian Streibl (Freie Wähler), Ludwig Hartmann (Grüne), Moderator Peter Schmalz, Thomas Kreuzer (CSU), Horst Arnold (SPD) und Martin Hagen (FDP). (Foto: Johann Schwepfinger/Presseclub München)

Die Fraktionschefs aller Parteien im Landtag reden über ein Jahr schwarz-orange Koalition. Die Bewertung fällt naturgemäß höchst unterschiedlich aus. Die AfD kommt gar nicht erst zum Termin.

Von Lisa Schnell, München

Ein bisschen kennen sie sich jetzt ja schon, Thomas Kreuzer (CSU) und Horst Arnold (SPD). Immerhin haben sie elf gemeinsame Jahre im Landtag verbracht. Nun aber ereignet sich am Montag im Münchner Presseclub folgende Szene: Eigentlich sind die zwei da, um über die schwarz-orange Koalition zu reden, zunächst aber ist nur eines wichtig: Fußball und der Rauswurf des Bayern-Trainers. In diesem Zusammenhang bezeichnet Kreuzer Arnold als "Clubberer", also als Anhänger des 1. FC Nürnberg, woraufhin Arnold das Gesicht verzieht. Sie sind zwar politische Gegner, Beleidigungen dieser Güte aber tauschen selbst sie nicht aus. Arnold nämlich fiebert mit den Erzfeinden des "Clubs": Greuther Fürth.

Es lässt sich eben doch noch etwas lernen, wenn die Fraktionschefs des Landtags zusammenkommen, um nach einem Jahr schwarz-orange Koalition Bilanz zu ziehen, nicht nur für Thomas Kreuzer. Im Laufe der Diskussion wird es darum gehen, ob CSU und Freie Wähler die Grünen nun als bürgerlich anerkennen oder nicht (ja und nein), und wann die Koalitionspartner in Zukunft vorhaben zu "kuscheln" und wann zu kämpfen. Die erste Frage aber, die am Montag neben den fünf Stühlen für die Fraktionschefs im Raum steht, ist jene, warum da nicht noch ein sechster steht. Schließlich sitzt seit einem Jahr auch die AfD im Landtag.

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Ohne sie namentlich zu erwähnen, stellte Moderator und Presseclub-Vorsitzender Peter Schmalz gleich am Anfang klar: "Wir haben alle eingeladen." Von "dieser einen Partei" aber habe er keine Reaktion bekommen. "Wir haben sogar nachgefragt." Die AfD-Fraktion bestätigt das. Warum die Fraktion, deren Abgeordnete sich oft beschweren, dass sie ausgegrenzt würden, niemanden schickt, wenn sie eingeladen wird, dazu gab es bis zum frühen Abend keine Erklärung. Anstatt sich der Diskussion mit ihren politischen Gegnern zu stellen, gibt die AfD später lieber eine Pressemitteilung heraus, in der sie der schwarz-orangen Koalition "die Übernahme von grünen Positionen" vorwirft.

Aber zurück zu den fünf Fraktionschefs, die der Einladung folgten. Wo die Regierungsfraktionen überwiegend Erfolge sehen, hat die Opposition unterm Strich eine Mängelliste stehen.

Das fehlende Wissen über seine Fußballleidenschaft lässt Arnold aus und zählt stattdessen auf: "Viele Ankündigungen, Symbolpolitik ohne Substanz und gebrochene Versprechen." Mit letzterem meint er etwa das "jahrelange Mantra" der CSU vom Schuldenabbau, von dem sie nun abgekommen sei. Außerdem würden Herausforderungen nicht angegangen wie die weißen Löcher beim Mobilfunk, der ein "Schandfleck" sei. Kurz gesagt: "Da muss mehr Butter bei die Fische."

"Da muss mehr Bier in den Krug", forderte mal die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock bei einem Besuch in Bayern. Kollege Ludwig Hartmann findet andere Worte für seine Bilanz. "In all den Fragen, wo es um den Schutz der Natur ging, war es ein verlorenes Jahr", sagt der Fraktionschef der Grünen. Das Klimaschutzgesetz etwa werde seit einem Jahr angekündigt, da aber sei es immer noch nicht. Zum Gesetz für mehr Artenschutz sei die CSU nur getrieben worden vom Volksbegehren, das die Grünen mitinitiiert haben.

Arnold gratuliert Hartmann noch kurz zu den "Hämatomen des Glücks", die er wohl schon auf den Schultern haben müsse vom vielen Sich-Draufklopfen. Die eigentliche Gegenrede übernimmt dann aber doch CSU-Mann Kreuzer. Er findet, seine Partei habe das mit dem Volksbegehren gut hinbekommen. Aber auch im Sozialen habe man etwas geleistet, siehe Pflegegeld und Familiengeld. Für Martin Hagen von der FDP, der vom Moderator liebevoll "Youngster" genannt wird, sind das freilich "teure Wahlversprechen", die den Haushalt aus allen Nähten platzen ließen.

Hartmann wirft den Freien Wählern vor, wie ein verlorener Sohn zur CSU zurückgekehrt zu sein. Das scheine auf den neben ihm sitzenden Florian Streibl besonders gut zu passen. Schließlich war der Vater des FW-Fraktionschefs nicht nur Ministerpräsident, sondern auch bei der CSU. Streibl dagegen will seine Familienangelegenheiten nicht als politisches Programm verstanden wissen. Ein pflegeleichter Partner seien die FW nicht, nein.

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Zuvor allerdings spricht er noch vom Kuscheln im Zusammenhang mit der CSU. Da wird er gefragt, wie FW und CSU das denn im aufkommenden Kommunalwahlkampf machen wollen mit ihrer Einigkeit, und Streibl sagt: "Man muss da kuscheln, wo man kuscheln muss, und da kämpfen, wo man kämpfen muss." Sein Koalitionspartner Thomas Kreuzer, dem eher keine Ambitionen zum Kuscheln nachgesagt werden, rümpft da ein bisschen die Nase. Und Streibl korrigiert sich, dass es natürlich Differenzen gebe, die aber nur intern ausgetragen würden.

Durchaus extern, nämlich vor einem Mikro beim jüngsten Parteitag der CSU, trug Markus Söder seine Differenzen aus. Am Regierungstisch mitentscheiden und im Land nichts davon wissen wollen? Das will der Ministerpräsident dem Koalitionspartner nicht mehr durchgehen lassen. Was Söder da gemeint habe, das könne er ihm ja mal erläutern, sagt Streibl. Am liebsten wäre es ihm wohl, wenn das eher leise geschieht, denn: "Die Bürger wollen, dass es geräuschlos abläuft." Das mache eine bürgerliche Koalition aus. Streibl grenzt sich damit von der anderen Koalitionsmöglichkeit ab, die es kurz auch mal gab in Bayern: schwarz-grün.

Die Grünen sind für ihn in Bayern eher nicht bürgerlich. In Thüringen allerdings sind sie das anscheinend schon, denn Streibl zählt auch die Grünen auf, wenn er von der bürgerlichen Minderheitsregierung spricht, die er sich dort wünscht. Die Grünen in Bayern freilich sehen das anders. Sie wollen auch im Freistaat bürgerlich genannt werden. Nur eine Partei, darauf können sich dann alle einigen, würden sie nicht als bürgerlich bezeichnen. Die, die es nicht geschafft hat, zum Podium zu kommen.

© SZ vom 05.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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