Wenn sich der neue CSU-Vorstand an diesem Montag zu seiner konstituierenden Sitzung trifft, wird ein Thema besonders im Mittelpunkt stehen: Wie schafft es die Partei endlich, für Frauen attraktiver zu werden? Wie vermag sie ihr weibliches Personal besser in Szene zu setzen? Zumindest eine Frau kann diese Debatte sehr entspannt verfolgen. Ilse Aigner geht es so gut wie lange nicht.
Zehn Jahre führte sie als Ministerin große Häuser: fünf Jahre in Berlin, fünf in München. Sie war Stellvertreterin von Ministerpräsident Horst Seehofer, in der Schlacht um seine Nachfolge stand sie in vorderster Reihe, wenn auch nicht immer freiwillig. Die Ilse, behaupten Leute aus ihrem Umfeld, wäre im Streit zwischen Seehofer und Markus Söder fast kaputt gegangen. Ist da jemand nur froh, die Vergangenheit hinter sich zu lassen?
Landtag:Die Präsidentin und ihr Gartenzwerg
Landtagspräsidentin Ilse Aigner arbeitet derzeit nicht im Maximilianeum, sondern in einem Altbau in der Innenstadt. Das ist eher nüchtern eingerichtet, doch es gibt einige interessante Tischfiguren. Ein Besuch.
Ihr politisches Leben verbrachte Aigner, 54, im operativen Geschäft, als Chefin des größten CSU-Bezirks Oberbayern stets begleitet von der Erwartung, nicht nur den eigenen Machtanspruch, sondern den einer ganzen Region zu verkörpern. Und dann plötzlich der Wechsel auf den Stuhl der Landtagspräsidentin - eine Rolle, die Neutralität verlangt und Überparteilichkeit. Eine Rolle für Politikerinnen und Politiker, die mit dem Tagesgeschäft eigentlich abgeschlossen haben. Aigner ist bis heute oberbayerische CSU-Chefin. Auch deshalb begleitet sie die Frage: Passt das?
Ilse Aigner sitzt in Raum N 410 des Landtags, ein kleines Büro einer Mitarbeiterin. Ihr eigenes wird gerade umgebaut, wie so ziemlich alles im Maximilianeum. Sechs Stockwerke tief in die Erde wird gegraben, das Haus energetisch saniert, ein Besucherzentrum soll entstehen. Allein der erste Bauabschnitt kostet 65 Millionen Euro. Aigners Büro wird kleiner werden, das Vorzimmer größer und eine Klimaanlage bekommen. Der gelernten Elektrotechnikerin gefällt das Leben auf der Baustelle, wahrscheinlich hat ihr Wohlgefühl aber auch mit ihrer neuen Aufgabe zu tun. Ilse Aigner sagt: "Es entspricht meinem Naturell, über Parteigrenzen hinweg zu denken."
Aigners Ausweichbüro befindet sich ein paar hundert Meter weiter in der Maximilianstraße. Angemietet wurde es von ihrer Vorgängerin Barbara Stamm zu einer Zeit, als sich abzeichnete, dass der Landtag mit dem Einzug der AfD auch räumlich herausgefordert werden würde. Zehn Jahre stand Stamm an der Spitze des Parlaments. Sie sagt, eine Präsidentin müsse nach innen wirken und nach außen repräsentieren. Sie müsse den Stellenwert der Demokratie und die Eigenständigkeit des Parlaments betonen. Und mit der AfD sei ja eine ganz andere Verantwortung hinzugekommen. Wird Aigner ihr gerecht? "Alle Achtung", sagt Stamm: "Ich habe den Eindruck, dass ihr das Amt sehr, sehr gut bekommt."
Selbst in der CSU gab es Zweifler, wie trittsicher Aigner die Gratwanderung gelingen würde im Umgang mit der AfD. Wann greift man ein in einer Plenarsitzung? Wie viel Provokation lässt man zu? Wie wendet man in Sekundenschnelle die Geschäftsordnung an? Höflich, aber bestimmt steuert Aigner mit einer fachkundigen Verwaltung im Rücken durch die Sitzungen. Wie im Fußball wurde ein Videobeweis eingeführt, um verbale Fouls nachträglich ahnden zu können. Ein Vierteljahrhundert kam der Landtag ohne Rügen aus, das hat sich mit der AfD geändert.
CSU:Ein missratener Parteitag
Die Debatte über die Frauenquote lief aus dem Ruder, aber Markus Blume bleibt Generalsekretär. Eine Konsequenz wurde an diesem Abend aber gezogen: Die Partei will raus ins ganze Land.
Manches lässt sich im persönlichen Gespräch klären, einmal wurde es aber auch der freundlichen Frau Aigner zu viel. Als der AfD-Mann Ralf Stadler ein Foto der Landtagspräsidentin mit Schulkindern für Werbezwecke missbraucht und mit einem AfD-Logo gefälscht hat, erstattete sie Strafanzeige. Dabei ist es Aigner wichtig, dass sich der Parlamentsbetrieb eben nicht nur auf Ausfälle der AfD und Reaktionen darauf reduziert. Sie sagt: "Ich will eine lebendige Debatte. Aber wir müssen darauf achten, wie wir uns nach außen präsentieren. Ich appelliere an alle Fraktionen, sich nicht gegenseitig zu provozieren." Nicht alle Abgeordneten können im Plenum der Versuchung widerstehen, sich für soziale Netzwerke als Helden oder Märtyrer zu inszenieren, anstatt bei der Sache zu bleiben.
Dass Aigner Landtagspräsidentin werden würde, stand schon vor der Landtagswahl 2018 fest. Es war Teil eines heimlichen Pakts. Söder sollte Ministerpräsident bleiben, Thomas Kreuzer CSU-Fraktionschef. Alle drei versicherten einander ihre Unterstützung. Die Macht war verteilt, andere kamen zu spät. Der frühere Staatskanzleichef Marcel Huber etwa, der ebenfalls gern Landtagspräsident geworden wäre. Die Verwaltung grummelte über den riesigen Hofstaat, mit dem Aigner ins Maximilianeum einzog. Die Präsidentin sei wohl sehr darauf bedacht, dass genügend Licht auf sie falle. Bei einer Personalversammlung bedankte sich Aigner unlängst bei ihren Mitarbeitern und erntete warmen Applaus. So wie sie ihren eigenen Seelenfrieden gefunden habe, sagt einer, habe auch das Haus seinen Frieden mit ihr gemacht.
Markus Rinderspacher (SPD), einer der Vizepräsidenten, schwärmt geradezu von der CSU-Frau. Aigner erzeuge im Präsidium eine gute, wertschätzende Stimmung und schaffe es im Plenum, die richtige Mischung aus Konsequenz und Diskussionsvielfalt zuzulassen. "Ich kann ihr nur Bestnoten ausstellen." Aigner habe ein verbindliches und einnehmendes Wesen - Eigenschaften, die ihr im Duell um die Ministerpräsidentenkrone nicht geholfen haben, wie Rinderspacher glaubt.
Als Oppositionsführer hat er den Machtkampf in der CSU genau beobachtet. Sein Eindruck: "Es fehlte am letzten, unbedingten Machtwillen. Im Endeffekt hat sie Markus Söder das Amt kampflos übergeben." Dafür habe Aigner dieses "übergreifende Wirken, das Söder sich mühsam antrainieren muss". Mit 198 von 205 Stimmen wurde Ilse Aigner am 5. November 2018 zur Landtagspräsidentin gewählt. "Sie würde heute mit gleicher Mehrheit wieder bestätigt werden", sagt Rinderspacher.
"Sie hat ihre Rolle gefunden", sagt auch Markus Söder. Und: "Wir haben wieder zusammengefunden." Es war Aigner, die Söder vor fast einem Vierteljahrhundert als JU-Landeschef vorgeschlagen hatte. Beide arbeiteten gut zusammen, bis der Nachfolgekampf sie entzweite. Aigner wusste: Söder würde niemals Ruhe geben, bis er endlich Ministerpräsident wäre. Nun pflegen sie eine Aufgabenteilung, wie Söder sie sich vermutlich immer gewünscht hat. Schnelle Absprachen bei Repräsentationsterminen, viel Verständnis füreinander: "Wir ergänzen uns ideal", sagt Söder.
Verdrängt sind die Zeiten, in denen Söder versuchte, Aigners Hausmacht in Oberbayern zu erschüttern. Inzwischen ist die kuriose Situation entstanden, dass Söder alles unternimmt, um Aigner in ihrer Heimat zu unterstützen. Er braucht sie als beliebte Stimmenkönigin für die nächste Landtagswahl. Und er braucht sie als Schild, um ehrgeizige Nachfolgekandidaten in Oberbayern abzuwehren. Beim CSU-Parteitag bekam Aigner überraschend das beste Ergebnis aller Bezirksvertreter. Die letzten Male lag sie lediglich im Mittelfeld.
Ilse Aigner hat sich viel vorgenommen als Landtagspräsidentin. Sie hat aber auch gemerkt, dass die Zeit die Themen vorgibt. Sie will den demokratischen Diskurs stärken, ein nachhaltiges Wirtschaften in Bayern voranbringen, gesellschaftliche Spaltung überwinden, Frauen fördern. Einfluss auf die Tagespolitik nimmt Aigner jetzt nur noch hinter den Kulissen. "Manchmal habe ich noch Zuckungen und denke: Was würde ich jetzt tun, wenn ich Chefin wäre?" Sie meint Ministerpräsidentin. "Ich behaupte, dass ich beides kann." Sorgen über einen neuen Machtkampf muss sich in der CSU vorerst aber niemand machen. "Ich habe keinen Phantomschmerz", sagt Ilse Aigner. "Es passt wunderbar so."