Innere Sicherheit:Polizei verzeichnet "überproportionalen Rückgang" der Kriminalität

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Einen massiven Anstieg gab es im Jahr 2021 bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, darunter fällt auch die Kinderpornografie. (Foto: Arne Dedert/dpa)

Ein positiver Corona-Effekt: Die Kriminalitätsrate in Bayern ist so niedrig wie seit 40 Jahren nicht. Allerdings geben deutlich mehr Sexualdelikte Grund zur Sorge.

Von Johann Osel, München

Wenn in der Pandemie die Leute oft zu Hause bleiben und kaum verreisen, gibt es weniger Wohnungseinbrüche, bei eingeschränktem Einzelhandel wird weniger gestohlen, das brachliegende Nachtleben bringt weniger Schlägereien oder Straßenraub mit sich. Im Corona-Jahr 2021 hat die Polizei einen "überproportionalen Rückgang" der Kriminalität im Freistaat verzeichnet, wie es Innenminister Joachim Herrmann (CSU) am Montag bei der Vorstellung der neuen Kriminalstatistik nannte. Die sogenannte Kriminalitätsbelastung (Delikte pro 100 000 Einwohner) ging um 9,8 Prozent auf 3869 Straftaten zurück. Zwar könnten bei einer Normalisierung des Lebens mit "vermehrt Tatgelegenheiten" die Zahlen wieder steigen, sagte Herrmann. Insgesamt folge die Statistik aber auch ohne Corona-Effekt einem Trend: weniger Verbrechen bei wachsender Bevölkerung. "2021 hatten wir die niedrigste Kriminalitätsbelastung seit 44 Jahren", sagte der Minister. Gleichzeitig stieg die Aufklärungsquote leicht, auf 66,9 Prozent. Bei den Straftaten gegen das Leben (Mord und Totschlag, auch als Versuch) konnten neun von zehn Tätern ermittelt werden.

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Deutlich zeigen sich Rückgänge zum Beispiel bei Raubüberfällen (minus 15,3 Prozent), gefährlicher und schwerer Körperverletzung (minus 13,3 Prozent) oder Einbruch (sogar minus 44,5 Prozent). Einen massiven Anstieg gab es dagegen bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, plus 22 Prozent auf 13 664 Fälle. Die Zahlen in dem Bereich, der von Belästigung, Exhibitionismus oder Verbreitung pornografischer Schriften bis zu Missbrauch, Vergewaltigung oder Zuhälterei reicht, nehmen seit Jahren zu, signifikant seit 2018. Maßgeblich hierbei war eine Änderung des Strafrechts, was in der Debatte unter der Losung "Nein heißt nein" oder als "Grapscher-Paragraf" wohl auch zu mehr Sensibilisierung und Anzeigebereitschaft geführt hat. Die aktuellen Zuwächse machte der Minister vor allem an einer "erschütternden, enormen Steigerung" bei Kinderpornografie fest - auf 5070 Fälle 2021, ein Plus von 84 Prozent. "Die Ermittlungen scheitern häufig, weil Provider keine Verbindungsdaten speichern", sagte Herrmann - er forderte vom Bund mehr Befugnisse für die Polizei bei der Datenspeicherung.

Bei Internetkriminalität ist die Aufklärungsquote niedrig

Sorgen bereite ohnehin die Kriminalität mit "Tatmittel Internet": 39 469 registrierte Fälle, ein Plus von 10,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Einkaufen im Netz, Home-Office, die Digitalisierung des täglichen Lebens - "all diese Entwicklungen machen sich leider auch Kriminelle zunutze. Polizeiexperten gehen aber von einem großen Dunkelfeld aus, da viele Internetstraftaten nicht angezeigt werden." Entgegen landläufiger Meinung, wonach man da eh keiner Täter habhaft werde und eine Anzeige gar nichts bringe, gebe es auch hierbei ordentliche, wenn auch niedrigere Aufklärungsquoten. Herrmann nannte auch die Wirtschaft als Opfer von Internetkriminalität, etwa bei Datenklau. Dies könne gerade für kleinere und mittlere Unternehmen schnell existenzbedrohend werden. Hierzu arbeiteten landesweit "Quick-Reaction-Teams" mit Spezialermittlern und IT-Forensikern, die rund um die Uhr alarmiert werden können. Zur Kriminalität im Netz gehört auch das wachsende Problem von "Hate-Speech", strafrechtlich aktenkundig etwa als Beleidigung, Verleumdung oder Volksverhetzung.

Als bedauerlichen Trend machte Herrmann Betrug über den "Enkel-Trick" oder Schockanrufe aus, bei denen meist ältere Menschen um ihr Vermögen gebracht werden. Die Zahl der Drogentoten bleibt mit 255 weiterhin auf recht hohem Niveau. Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) teilte dazu mit, man werde die Suchtprävention und Hilfe, in die der Freistaat jährlich acht Millionen Euro investiere, "verstärkt fortsetzen". Er warnte vor einer "Verharmlosung" von Cannabis.

34,7 Prozent aller Tatverdächtigen insgesamt sind ausländische Staatsbürger, erklärte Herrmann; ihr Anteil an der bayerischen Bevölkerung betrage aber nur 13,7 Prozent. Innerhalb der Gruppe hat wiederum gut jeder Vierte einen Bezug zu Asyl, Migration und Flucht. Herrmann verwies gleichwohl auf positive Entwicklungen: weniger Delikte in der hierfür äußerst relevanten Tatörtlichkeit Asylbewerberheim. Die Zahl der Polizeieinsätze dort summierte sich mit 10 425 auf weniger als halb so viel wie 2019, als "uns das noch massiv beschäftigt" hat.

Die Grünen kritisierten am Montag, dass der Innenminister Antworten schuldig bleibe, warum bei der Kinderpornografie "dieser gravierende Anstieg stattgefunden hat und welche Maßnahmen ergriffen werden", wie Fraktionschefin Katharina Schulze mitteilte. Ratsam wäre in ihren Augen gerade für die Pandemiejahre auch eine Sonderauswertung der Problematik von häuslicher Gewalt gegen Frauen gewesen.

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