Statistik in Bayern:"Heroin ist wieder voll da"

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Im Süchtigentreff in Augsburg liegen in einem Sammelbehälter gebrauchte Drogenspritzen. (Foto: Stefan Puchner/dpa)

Im Freistaat gab es im vergangenen Jahr 248 Drogentote, mit Abstand häufigste Ursache war dabei Heroin - und die Dunkelziffer ist wohl enorm.

Von Johann Osel, München/Augsburg

Die Zahl der offiziellen Drogentoten in Bayern ist im Pandemiejahr 2020 mit 248 Fällen leicht gesunken (Vorjahr: 263), doch weiter auf hohem Niveau. Dies geht aus der neuen polizeilichen Kriminalstatistik des Innenministeriums hervor. Nach einem Höhepunkt mit 321 Drogentoten 2016 war die Zahl vor zwei Jahren zwischenzeitlich auf 235 gesunken. Wie Daten des Landeskriminalamts auf SZ-Anfrage zeigen, ist mit Abstand Heroin häufigste Todesursache. Das LKA schreibt 109 Fälle der Droge zu, wobei auch "Misch-Intoxikationen" eine Rolle spielen. Dahinter folgt das Opioid Fentanyl (27), dann Kokain (18), relevant sind ferner Crystal Meth, Amphetamine und Neue psychoaktive Substanzen (NPS) - sogenannte "Legal Highs", oft zum Rauchen. Dutzende Todesfälle sind noch nicht exakt zugeordnet. Drogentote werden polizeilich erfasst, wenn etwa bei Überdosis ein Bezug zum Konsum besteht, zudem fließen Fälle nach Obduktionen oder toxikologischen Gutachten in die Statistik ein. Die Dunkelziffer ist wohl enorm, aber nicht seriös schätzbar.

Von "stillen Drogentoten" spricht Uwe Schmidt, Geschäftsführer der Drogenhilfe Schwaben in Augsburg. Durch die Hilfssysteme würden mehr Süchtige heutzutage älter, zumindest etwas älter. "Es gibt Folgeschäden an Lunge und Leber. Die werden einfach keine 60." Und gelten nicht zwangsläufig als Drogentote. Auch die Heroin-Erkenntnisse bestätigt er: Die Droge sei "eigentlich am absteigenden Ast gewesen", zu sehen an beschlagnahmten Mengen. Die Klientel sei aber doch stabil, es gebe auch wieder Jüngere; wobei in Augsburg Heroin "schon immer recht hoch vertreten" gewesen sei. Auch in bayerischen Fahnderkreisen hört man: "Die Gesellschaft denkt bei Heroin an die Siebziger und Achtziger und Bahnhof Zoo. Heroin ist wieder voll da."

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Die Drogenhilfe muss überall in Bayern unter den Bedingungen der Pandemie laufen. "Wir sind in den zweiten Lockdown vorbereitet gekommen", erzählt Schmidt, "der erste war total überraschend". Gleichwohl habe man es zwischendrin vermieden, größere Öffnungen einzuleiten, sei vorsichtig gewesen - Masken, Plexiglasscheiben, Abstände, Minimierung der Kontakte. Es gelte neben den Mitarbeitern auch die Klientel zu schützen - oft absolute Risikogruppe für Covid 19, abhängig, vielleicht an Hepatitis C erkrankt, obdachlos. "Wer Drogen und eine Flasche Wodka im Blut hat, hält keinen Abstand, trägt die Maske nicht richtig, redet laut und feucht."

Alle Einrichtungen, auch die Notschlafstelle, konnte die Drogenhilfe mit Vorsicht und reduziertem Umfang offenhalten. Ausnahme: die Kontaktläden, die wie ein Café ablaufen. Es werden aber Leute einzeln versorgt, es geht etwa auch um saubere Spritzen. Wie beim "beTreff", einem Angebot an die Drogen- und Trinkerszene am Helmut-Haller-Platz, in Kooperation mit dem Sozialdienst Katholischer Männer und im Auftrag der Stadt. Psychosoziale Hilfe, Vermittlung in Therapie und Substitution - "wir sind Weichensteller", so Schmidt, "für viele der letzte cleane Kontakt im Leben, dem sie vertrauen können." Generell falle für viele nun die Tagesstruktur weg, auch die Beschaffung: Schnorren bringt wenig, weil Passanten Abstand halten, ebenso Diebstähle und Strich, Flaschensammlern fehlt das Aufkommen von Pendlern. Mit der Digitalisierung des Lebens, wie in der Pandemie so häufig ein Weg, ist in der harten Drogenszene, bei Schwerstabhängigen im sozialen Elend, wenig zu bewerkstelligen.

Onlineangebote, die bei der Augsburger Drogenhilfe noch im Aufbau sind, richteten sich eher an andere Zielgruppen. Bürger, die in der Krise Halt in Drogen suchen. Jugendliche, die sich aus Frust zudröhnen. Cannabis, Speed, NPS, auch Opioide seien hier üblich. "Prävention konnten wir in der Pandemie leider nicht richtig machen."

Die heikle Lage kennt man im Gesundheitsministerium. "Wir müssen uns immer wieder bewusst machen, dass Sucht kein Randproblem in der Gesellschaft ist, sondern viele Menschen betrifft", teilt Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) auf Anfrage mit. Nach Unsicherheiten im ersten Lockdown gebe es Rückmeldungen, dass die Angebote aufrechterhalten werden können, teils über Telefon oder Chats; ebenso die Praxen für Substitution. "Insgesamt scheinen die Schnittstellen im Hilfesystem wieder zu greifen und sicherzustellen, dass Suchtkranke erreicht werden." Es sei gut, dass die Zahl der Drogentoten 2020 gesunken ist, sein Ziel seien "weitere Fortschritte". Der Freistaat fördere Suchtprävention jährlich mit sechs Millionen Euro.

2021 will Holetschek zwei Projekte forcieren: eine übergreifende, digitale Plattform als Zusatz-Zugang ins Suchthilfesystem. Die soll etwa Jugendliche "abholen, wo sie unterwegs sind: im Netz". Ein Naloxon-Projekt, das in einigen Städten läuft, soll es bayernweit geben. Das Nasenspray wird bei Überdosis Heroin, Opioid oder Methadon angewendet. Es kann bei Atemstillstand lebensrettend sein.

© SZ vom 15.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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