Eigentlich ist das Drehbuch für diesen Montag im Landtag schon geschrieben. Um 16 Uhr soll sich im Konferenzsaal der Fraktionsvorstand der CSU treffen und offiziell vorbereiten, was inoffiziell längst beschlossen ist: den Rauswurf ihres Abgeordneten Alfred Sauter aus der Landtagsfraktion. Kurz bevor die Sitzung losgeht, kommt es aber doch anders. Um 15.13 Uhr schickt Sauter eine E-Mail an die Presse, im Anhang befindet sich eine Datei mit dem Titel "Kündigung". Darin ein Schreiben, das Sauter an CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer adressiert hat. Er sei "von vielen gebeten worden", der Fraktion eine Abstimmung über seinen Ausschluss "zu ersparen", schreibt Sauter. Dann der entscheidende Satz: "Daher kündige ich mit sofortiger Wirkung meine Fraktionsmitgliedschaft."
Am Ende ist Sauter seinem Rauswurf also doch zuvorgekommen. Zu erwarten war das nicht unbedingt. Noch am Sonntag hatte er empört abgelehnt, die Fraktion von sich aus zu verlassen. Er hatte lediglich angekündigt, die Mitgliedschaft in der Fraktion ruhen zu lassen, bis die Vorwürfe gegen ihn geklärt seien. "Völlig unverhältnismäßig" nannte Sauter die Rauswurfpläne der Fraktion - das wiederholt Sauter zwar auch am Montag. Dass er nun trotzdem austritt, begründet Sauter gegenüber Kreuzer damit, dass er nicht wolle, "dass die Diskussion über meine Zugehörigkeit zur Fraktion die Diskussion der nächsten Tage und Wochen prägt".
Maskenaffäre:CSU verschärft Transparenzregeln - Sauter gibt Ämter ab
Es brauche "eine neue CSU", sagt Parteichef Söder bei einer Pressekonferenz - und stellt einen Zehn-Punkte-Plan vor. Zuvor war der Landtagsabgeordnete Sauter einem Rausschmiss zuvorgekommen, aus der Fraktion austreten will er aber nicht.
Die vergangene Woche hatte Sauter ja ganz entscheidend geprägt. Da waren die Ermittler ausgerückt, um unter anderem Sauters Büro im Landtag zu durchsuchen. Inzwischen hat Sauter indirekt eingeräumt, dass er im Zusammenhang mit Deals mit Corona-Schutzmasken nicht nur ein Anwaltshonorar bekam, sondern auch Provision. Insgesamt geht es um 1,2 Millionen Euro. Korruption bestreitet Sauter, auch am Montag: "Ich bin überzeugt davon, dass sich die Vorwürfe als haltlos erweisen werden", heißt es in seinem Schreiben an Kreuzer.
In CSU-Kreisen ist am Montag Erleichterung zu hören, da ein Rauswurf rechtlich nicht unkompliziert gewesen wäre - zumal Sauter offenbar erwogen hatte, dagegen zu klagen. Andererseits ist da auch Verwunderung: Warum nicht schon am Sonntag? Der letztlich kurzfristige Rückzug dürfte auch damit zu tun haben, dass die CSU Schwaben sich am Sonntagnachmittag von Sauter abgesetzt und nicht nur gefordert hat, dass er sein Landtagsmandat ruhen lässt - sondern auch mit einem Parteiausschlussverfahren gegen den bis vor kurzem noch so mächtigen Mann im CSU-Bezirksverband Schwaben drohte.
Sauter wäre der erste CSU-Abgeordnete gewesen, den die Landtagsfraktion rausschmeißt, wie eine Anfrage bei der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung ergibt. Laut Archivleiterin Renate Höpfinger sei seit Gründung des bayerischen Landtags 1946 "kein einziger Ausschluss aus der Fraktion bekannt". Sauters Ausschluss wäre also ein historischer Schritt gewesen.
Dabei gab es in der Fraktion schon früher kleinere und größere Skandale, etwa die Verwandtenaffäre von 2013 um den damaligen Fraktionschef Georg Schmid oder die Amigo-Affäre, die Max Streibl 1993 das Amt als Ministerpräsident kostete. Nur fanden die Fraktion und die betroffenen Abgeordneten immer einen Weg, die Sache ohne Höchststrafe zu regeln, damit die Beschuldigten einen Rest ihrer Würde wahren konnten. Streibl gab sein Regierungsamt nach großem öffentlichen Druck auf, durfte seinen Sitz in der CSU-Fraktion immerhin bis zur nächsten Wahl behalten; Schmid trat nicht nur von seinem Amt als Fraktionschef zurück, er gab in einem Akt der Reue auch sein Abgeordnetenmandat zurück an die Partei.
Fraktionsausschlüsse sind in der Geschichte des Landtags selten, neben der CSU melden auch Grüne und FDP null Fälle. Doch es gibt sie, wie ein Blick in die Geschichte zeigt. Die Freien Wähler, heute Regierungspartner der CSU, warfen am 16. Juni 2009 die Politikrebellin Gabriele Pauli nach nur einem Jahr aus der Fraktion. Die ehemalige CSU-Politikerin und Landrätin von Fürth hatte mit den Plänen, eine eigene Partei zu gründen, gegen die Fraktionssatzung verstoßen. Der damalige Fraktionschef Hubert Aiwanger verurteilte Pauli mit den Worten: "Unsere Leute haben gesagt: Schluss jetzt, das schadet uns." Der Rauswurf ist nach Angaben eines Fraktionssprechers der bislang einzige in der Chronik der bayerischen FW-Fraktion.
Mal sind es juristische Auseinandersetzungen, mal parteipolitische Querelen, die zum Bruch zwischen Volksvertreter und Parlamentsgruppe führen. Die SPD zum Beispiel setzte am Silvestertag 1991 ihren Dachauer Abgeordneten Hans Hartl vor die Tür. Er hatte bei Landtagswahlen mit millionenschweren Briefkampagnen um Zweitstimmen gebuhlt und auch außerhalb seines Stimmkreises für sich geworben, zum Beispiel mit einem Reisegewinnspiel. Die SPD fand dieses Verhalten anderen Kandidaten gegenüber unsolidarisch und schloss ihn aus Fraktion und Partei aus - der bislang einzige derartige Fall bei der Bayern-SPD.
"Der richtige Schritt sowohl für ihn persönlich, aber auch um weiteren Schaden von CSU und CSU-Fraktion abzuwenden", sagt Kreuzer über Sauters Austritt - und betont, dass dieser "kein Schuldeingeständnis" sei. Sauter selbst? Schwärmt in seiner Austrittserklärung über "auch sehr schöne Jahre" in der CSU-Fraktion. Und kündigt selbstbewusst an, "dass ich nach Abschluss des Verfahrens wieder in die Fraktion aufgenommen werden möchte".