Politik:Bayerns Jugend zieht es zur FDP

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Links Nico Stegmayer, 19, rechts Jonas Schmidt, 18: Die beiden Jungs aus Dillingen sind in diesem Sommer der FDP beigetreten - und eigens zur Wahlparty in den Münchner Hofbräukeller angereist. (Foto: Viktoria Spinrad)

Von wegen Grünen-Boom bei jungen Leute: Die Liberalen im Freistaat haben überraschend hohen Zulauf. Woran liegt das?

Von Viktoria Spinrad, München

Bei ihm, sagt Nico Stegmayer, sei es vor allem die Außenpolitik. Dass die FDP auf Menschenrechtsverletzungen in China aufmerksam mache, bei aller Wirtschaftsfreundlichkeit die westlichen Werte hochhalte, das gefalle ihm, sagt der 19-Jährige aus Dillingen. Jonas Schmidt, 18, wiederum spricht von Innovation, Technologie, einem leichteren Markteintritt und weniger Staat - den Kernthemen der FDP also.

Sie sind zwei Freunde aus dem schwäbischen Dillingen, eigentlich schwarzes Kernland, seit 1949 kommt der Direktabgeordnete für den Bundestag immer von der CSU. Doch die Sympathien der jungen Männer liegen woanders: Sie sind beide in diesem Sommer der FDP beigetreten. "Ich mag die freiheitliche Denke" sagt Stegmayer. "Wir brauchen weniger Regularien", sagt Schmidt. Sätze, die so auch im Parteiprogramm der Liberalen stehen könnten.

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Für die FDP war Bayern stets ein schwieriges Terrain. Konservativ gesinnte Pragmatiker haben hier schließlich auch noch die Freien Wähler zur Auswahl. Doch sind es die Julis, die jungen Liberalen, bei denen sich die Mitgliederzahl in den vergangenen fünf Jahren verdoppelt hat, von 1161 auf 1756. Unter den Erstwählern war die FDP die meistgewählte Partei - noch knapp vor den Grünen. Was treibt die jungen Menschen in die Arme der Partei, die gerne als Zufluchtsort für Porsche-fahrende Nickelbrillenträger verspottet wird?

Dann war da plötzlich: Zeit

Die politische Reise von Nico Stegmayer begann vor vier Jahren. An seiner Schule fand die Jugendwahl statt, die bei jungen Leuten das Interesse für Politik wecken soll. Stegmayer hörte einem CSU-Europaabgeordneten zu, überflog die Programme der Parteien, machte den Wahl-O-Mat und beobachtete die schwierigen Koalitionsverhandlungen. Sein Interesse war geweckt.

Gleichzeitig fing sein Freund Schmidt an, bei sich daheim Bücher zu verschlingen. Gründungstipps des US-amerikanischen Wirtschaftsgurus Michael Porter, Anlegestrategien mit Benjamin Graham, Börsenhacks von Starinvestor Peter Lynch. Er wollte das Wirtschaftssystem verstehen, sagt er.

Dann kam die Corona-Pandemie, beide machten das volle Programm durch. Homeschooling, Wechselunterricht, zurück an die Schule, Corona-Abi. Dann war da plötzlich: Zeit. In diesem Sommer schrieb Stegmayer eine Mail an Alois Jäger, den Kreisverbandsvorsitzenden der FDP. Ob man mal vorbeikommen könne. Na klar, signalisierte der.

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Kurze Zeit später saßen Stegmayer und Schmidt beim FDP-Stammtisch im Biergarten. Es ging um den anstehenden Wahlkampf, und natürlich auch um Technologie und Wirtschaft. "Da waren sich alle einig", sagt Stegmayer. "Man hat sich richtig gefreut, dass da Nachwuchs kommt", sagt Schmidt.

"Junge Menschen wollen nicht nur als Problem wahrgenommen werden"

Kein Wunder, schließlich ist es nicht lange her, dass die FDP unterzugehen drohte. Doch war es ausgerechnet die Corona-Krise, diese kollektive Kraftanstrengung, die viele den Blick auf das Individuum vermissen ließ. Gerade bei den jungen Leuten. Dabei sei das eigenverantwortliche Leben und Handeln vielen wichtig, betont Eva Feldmann--Wojrachnia von der Forschungsgruppe Jugend und Europa am Centrum für angewandte Politikforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität in München.

"Junge Menschen wollen nicht nur als Problem wahrgenommen werden", sagt sie. Das wisse die FDP und verbinde ihre freiheitliche Denke mit klaren Konzepten wie der Digitalisierung. "Die Partei hat sich ein klares zukunftsorientiertes Profil verpasst", sagt sie - und sei dabei im Gegensatz zu anderen Parteien auch glaubwürdig bei ihren Werten geblieben, ohne sich zu verbiegen.

Ein Eindruck, den Stegmayer teilt. Die CSU zum Beispiel, die schaue ihm viel zu sehr auf die Arbeitsplätze und viel zu wenig auf die Menschenrechte, sagt er. Es mache ihm Sorge, dass Taiwan eines Tages übernommen wird, sagt er. Wenn dann die FDP-Politikerin Gyde Jensen bei ihm auf Youtube aufpoppt und sagt, auch China müsse sich ans Völkerrecht halten, ansonsten gebe es Konsequenzen, dann zieht das bei ihm.

Der "Tunnelblick" auf das Klima, der störe ihn

Die Grünen kommen nicht ganz hinterher im Rennen um die Gunst des Nachwuchses. Zwar haben auch sie in Bayern kräftigt zugelegt, von 1329 auf mehr als 3000 Jung-Mitglieder in den vergangenen zehn Jahren. Doch gefällt manchen jungen Leuten gerade der liberale Weg zum Klimaschutz. "Durch ihr Innovationskonzept wird die FDP für junge Menschen attraktiv und wählbar", sagt Feldmann--Wojrachnia. Auch für Stegmayer: Ihm gefalle der Optimismus bei der ganzen Sache, sagt er. Der "Tunnelblick" auf das Klima, sagt Schmidt, der störe ihn.

Beim Stammtisch der Jungen Union wären nun ebenfalls die Tassen hochgegangen. Doch kann Schmidt mit dem Linksruck der Union nichts anfangen. "Die Partei wurde entkernt", sagt er. Die Politologin sieht noch einen weiteren Malus: Während die Parteistrukturen bei den größeren Parteien verkrustet seien, traue man jungen Menschen bei der FDP viel zu. "Hier können sie durchstarten", sagt sie. Wobei hier vor allem junge Männer eine politische Heimat finden: Nur eine Person von fünf jungen Liberalen ist weiblich. "Viel zu wenig", betont der bayerische Juli-Chef Maximilian Funke-Kaiser. Feldmann relativiert: In einer Zeit, in der Frauen vielerorts durchstarten, müssen sich eben auch junge Männer irgendwo verorten.

Stegmayer und Schmidt möchten nun Leute aus ihrer Freundesgruppe akquirieren und die erste "Juli"-Gruppe in Dillingen gründen. Mitgliedsausweis und Anstecker haben sie bereits zugeschickt bekommen.

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