Nach der Wahl:Ins andere Leben

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Staatssekretär Florian Pronold während einer Rede im Plenum des Deutschen Bundestags. (Foto: Christian Spicker/imago)

Der ehemalige SPD-Landeschef Florian Pronold gibt sein Politikerleben freiwillig auf. Für ihn war schon immer klar, vor seinem 50.Geburtstag was Neues zu machen.

Von Katja Auer und Johann Osel, München/Berlin

Eine "Stimmung, wie ich sie selten erlebt habe", vernimmt Florian Pronold gerade im Wahlkampf. In Bayern, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen war er aktiv. Als der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesumweltministerium solche Termine vor einigen Monaten zugesagt hatte, dümpelte seine SPD in den Umfragen drittplatziert-deprimiert herum. Pronold sagte damals zu, sozialdemokratisches Pflichtbewusstsein war es wohl. Jetzt höre er überall von Leuten, dass sie zum ersten Mal im Leben SPD wählen, wegen Olaf Scholz. Von den Früchten dieses Wahlkampfs - womöglich der Regierungsauftrag, eine stattliche Fraktion - wird der frühere Chef der Bayern-SPD aber nichts haben. Will er auch nicht. Pronold zieht einen Schlussstrich unter die Politik. Noch wenige Monate, falls sich die Koalitionsverhandlungen ziehen, dürfte er geschäftsführend Staatssekretär sein, für den nächsten Bundestag ist er nicht mehr angetreten.

Neben dem Wahlkampf muss sich der 48-Jährige also auch der Abwicklung seines Politikerlebens widmen - so trift man ihn zum Gespräch über Video, Pronold in Berlin flott in Lederjacke unterwegs, dahinter schon ein blankes, leeres Regal. Er neige zur "Sammelwut", im Bundestagsbüro gehe es um die Entscheidung: Was kann weggeworfen werden, was ist relevant fürs Archiv der Ebert-Stiftung, was will er für sich aufheben? Anfang Oktober soll sein Wahlkreisbüro in Niederbayern aufgelöst sein, danach steht die Übergabe des Abgeordnetenbüros in der Hauptstadt an, "ist ja blöd für Neue, wenn das nicht pünktlich läuft". Dann endet eine Politikerkarriere, die damit begann, dass Pronold 1989 in die SPD eintrat, 1993 zum damals jüngsten Mitglied im Landesvorstand gewählt wurde, da hatte er nach dem Abitur gerade eine Banklehre begonnen, später folgte ein Jurastudium. Eine Karriere, die ihn in den Bundestag brachte. Da blieb er fast zwei Jahrzehnte.

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Frühes Berufspolitikertum - spöttisch: "Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal" - und politisches Wirken bis ins Greisenalter sind ebenso üblich wie umstritten. Hört doch einer mittendrin auf, ohne Affäre und freiwillig, stellt sich die Frage: Wieso nur? "Für mich stand seit vielen Jahren fest, dass ich, bevor ich 50 bin, noch mal was Neues machen will", sagt Pronold. Auch, weil er viele erlebt habe, die eben nicht aufhören konnten. "Ich habe mein Leben lang Politik gemacht, bis zum Schluss mit Freude." Es sei schön, selbstbestimmt aufzuhören. "Dass es noch einige gibt, die sagen: Schade, dass er geht. Statt endlich."

Er sei gerade dabei, "das neue Leben auszuloten", führe dazu Gespräche. Lebensmittelpunkt werde sowohl in Brandenburg sein, wo er mit seiner Frau ein Haus gebaut hat, als auch in Deggendorf, wo er eine Wohnung hat, Familie, Freunde, als "verwurzelter Niederbayer". Denkbar sei eine Aufgabe, in der sein Anwaltsberuf gekoppelt ist mit seinem Herzensthema: Stadtentwicklung und nachhaltiges Bauen. Den Job hatte er schon vor Augen: 2019 wurde er Gründungsdirektor der Bundesstiftung Bauakademie. Nach viel Streit trat er die Stelle nicht an: Wegen der Karenzzeit, die er nach einem Regierungsamt einhalten müsste, wäre es so spät geworden, dass der Aufbau der Akademie darunter leide. "Das wäre die ideale Plattform gewesen", sagt er, um den "Diskurs zwischen Fachwelt und Entscheidern so auf die Beine zu stellen, dass es nicht immer Jahre bis zur Gesetzgebung braucht". Aber: "vergossene Milch", auch wenn ihn der Vorwurf eines "Versorgungsjobs" getroffen habe.

Als seine spannendste Zeit sieht Pronold die ersten Jahre als Staatssekretär im Umweltministerium, das damals Bauen verantwortete. Da habe er am meisten selbst gestalten können, Themen, die er selbst in den Koalitionsverhandlungen aufsetzte. "Erfüllend" sei auch stets das Mandat gewesen - "immer wieder kann man Weichen im richtigen Moment in die richtige Richtung stellen", zum Vorteil der Heimat, von der Autobahnausfahrt bis zu innovativem Städtebau. Oder zu helfen, wenn's zwickt beim Bürger etwa im Umgang mit Ämtern, "sich dahinter klemmen, oft sind nur Missverständnisse mit der Verwaltung auszuräumen". Die Politik, die immer neuen Herausforderungen, sogar die 90-Stunden-Wochen werden ihm schon fehlen.

Wird ihm auch die Parteipolitik fehlen, die zuweilen eher glücklos lief? Pronold war immer aktiv in seiner Partei, ein Funktionär könnte man auch sagen. Er war Juso-Vorsitzender, durchlief die Gremien, bis er 2009 als Nachfolger von Ludwig Stiegler zum Landesvorsitzenden gewählt wurde. Ein Generationenwechsel an einem Tiefpunkt nach dem - damals - historisch schlechten Landtagswahlergebnis von 18,6 Prozent. "Der Flori" sei nun der Richtige, sagte der damalige Nürnberger Oberbürgermeister Ulrich Maly, sein Buben-Image ist Pronold nie ganz losgeworden. Er bemühte sich redlich, die Partei zu stabilisieren und auch zu reformieren. Vieles ist ihm gelungen, doch die traditionell zänkischen Genossen machten es ihm nicht leicht.

Mehrmals wurde Pronold wiedergewählt, auch 2015 mit einem miserablen Ergebnis, weil der bis dahin unbekannte Pensionär Walter Adam mit Rauschebart und Filzhut als Gegenkandidat auftrat. Von Demontage war die Rede, darin ist die SPD gut. 2017 schließlich wollte Pronold nicht mehr, Natascha Kohnen übernahm.

Im Nachhinein sei zu erkennen, sagt Pronold, wie "schädlich" manches war: wenn eine Partei zerstritten sei, wenn Genossen "die eigenen Leute in der Zeitung anschießen". Generell falle es Sozialdemokraten "schwer, sich gegenseitig zu loben". Die SPD jetzt und Scholz zeigten: "Solidarität im Umgang miteinander, nicht Nibelungentreue, ist der Schlüssel zum Erfolg."

Was fehlt für ein Porträt zum politischen Abschied? Der "Lattengustl"? Pronold schmunzelt, wenn's sein muss. Als Juso hatte er so den gekreuzigten Jesus genannt. Das brachte die CSU und das katholische Bayern in Rage. Eine Schülerzeitungssatire im politischen Streit, sagt Pronold, "es ging nie darum, Menschen in ihrer Glaubensüberzeugung zu verspotten". Eine frühe "Lernerfahrung" war das: "Eins geht in der Politik gar nicht - Satire."

© SZ vom 27.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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