Verkehr in Bayern:"Viele haben der Eisenbahn den Rücken gekehrt"

Lesezeit: 3 min

Mit etwas Fantasie kann man sich die Schienen unter der Schneedecke dazudenken. Dieses Bild von der Bahnstrecke zwischen Tutzing und Weilheim verschickte die Deutsche Bahn kurz nach dem Winterchaos Anfang Dezember. (Foto: Deutsche Bahn)

Das Werdenfelsnetz zwischen München und Garmisch-Partenkirchen gilt schon lange als Problemfall. Nach dem Zugunglück im vergangenen Jahr sollte alles besser werden. Dann kam der Schnee.

Von Thomas Balbierer

Wenn ein treuer Bahnfahrer nach 42 Jahren ins Auto umsteigt, muss etwas kaputtgegangen sein. Etwas, das sich nicht so einfach reparieren lässt wie eine kaputte Zugtür. Fast ein halbes Jahrhundert ist ein Mann aus Weilheim täglich zur Arbeit nach München gependelt, hat der Bahn Verspätungen und Ausfälle verziehen. Doch nun hat der Pendler die Unzuverlässigkeit satt und wechselt ins Auto. Auf Nimmerwiedersehen?

Die Episode, die Norbert Moy vom Fahrgastverband Pro Bahn erzählt, steht symbolisch für den Unmut unter Bahnfahrern im Werdenfelser Land. "Selbst die Hartgesottenen verlieren die Geduld", sagt Moy. Das Vertrauen in die Bahn schwinde.

Newsletter abonnieren
:Mei Bayern-Newsletter

Alles Wichtige zur Landespolitik und Geschichten aus dem Freistaat - direkt in Ihrem Postfach. Kostenlos anmelden.

Der massive Schneefall vor mehr als zwei Wochen hat die Zugfahrer zwischen Garmisch-Partenkirchen und München besonders hart getroffen. Die weißen Massen legten sich wie eine schwere Wolldecke über die Schienen, brachten Bäume zum Einsturz und legten Oberleitungen großflächig lahm. Die Bahn wurde kalt erwischt. Gut eine Woche fuhr im Werdenfelsnetz kein Zug, auch danach kam der Betrieb nur langsam in Gang. Streckenteile sind gesperrt, Züge stehen in der Werkstatt, Fahrten fallen aus. Der ursprüngliche Winterfahrplan wurde ausgedünnt, vorerst bis 7. Januar. Wann genau die Züge zwischen München und Garmisch wieder normal fahren, kann eine Sprecherin der Deutschen Bahn (DB) am Montag nicht sagen. Aber was ist schon normal in diesem Netz?

Norbert Moy lacht, wenn man ihn dieser Tage am Handy erreicht. Es ist kein fröhliches Lachen, sondern ein verzweifeltes. "Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass es noch schlimmer werden kann", sagt der Weilheimer, der als Bahnkunde nicht nur persönlich betroffen ist, sondern als Vertreter des Fahrgastverbandes Pro Bahn in der Region auch für Leidensgefährten spricht. Den Zustand der Werdenfelsbahn nennt Moy eine "ziemliche Katastrophe", nicht erst seit dem Schneechaos. "Viele haben der Eisenbahn inzwischen den Rücken gekehrt."

Tatsächlich gilt das weitgehend eingleisige Schienennetz zwischen München und dem Alpenrand seit Jahren als Problemfall. Nachdem am 3. Juni 2022 eine Regionalbahn kurz nach der Abfahrt in Garmisch-Partenkirchen entgleist war und fünf Menschen starben, versprach die Bahn endlich Besserung. Sie rollte ein mehr als 100 Millionen Euro schweres Sanierungsprogramm für die zum Teil maroden Strecken aus. Defekte Betonschwellen hatten zu dem Unglück geführt.

Doch die Bauarbeiten verzögern sich immer wieder, und der Frust wächst mit jedem ausgefallenen Zug. Die Bahnstrecke zwischen Garmisch und Mittenwald ist zum Beispiel seit März wegen Arbeiten an einer maroden Stützmauer gesperrt. Anfang Dezember hätte sie freigegeben werden sollen, doch dann kam der Winter und legte alles lahm. Die Strecke, wichtig auch für den Verkehr von und nach Österreich, bleibt laut DB bis "mindestens Ende Januar" dicht.

"Ich höre oft, dass die Bahn jetzt auch den letzten Kredit verspielt hat"

"Es ist frustrierend", sagt Christian Scheuerer, parteifreier Bürgermeister von Ohlstadt und Sprecher der 22 Rathauschefs im Landkreis Garmisch-Partenkirchen. "Ich höre oft, dass die Bahn jetzt auch den letzten Kredit verspielt hat." Nicht nur Berufspendler und Schüler seien betroffen, auch der Tourismus leide. Allein auf dem Streckenabschnitt zwischen Weilheim und Tutzing waren laut Zahlen aus dem Jahr 2019 rund 10 000 Fahrgäste täglich unterwegs. Die Fahrgastzahlen sollen eigentlich wachsen, aber so?

Der Lokalpolitiker hält der Bahn zugute, dass sie viel Geld in die Hand nimmt und nach dem Zugunglück einiges verbessert habe, zum Beispiel in der Kommunikation. Dass es im Alpenvorland aber auch mal stark schneit, sei im Dezember "keine Seltenheit". Scheuerer wundert sich, dass die Bahn nicht besser gerüstet war. Er erinnert an den alten Werbespruch der Bundesbahn: "Alle reden vom Wetter. Wir nicht." Lang her.

SZ PlusMeinungEin-Euro-Ticket fürs Rad
:Der bayerische Chaos-Tarif

Im Wahlkampf hatte Bayerns Ministerpräsident Söder ein Billigticket für die Radmitnahme in Zügen versprochen. Das Ergebnis ist armselig.

Kommentar von Thomas Balbierer

Eine DB-Sprecherin verweist auf die "extreme Wetterlage" mit einem halben Meter Schnee innerhalb von 24 Stunden. Mitarbeiter hätten "ihren Arbeitsplatz teilweise nur zu Fuß erreichen" können, viele Fahrzeuge seien beschädigt worden. Man leiste "Sonderschichten, um die Fahrzeuge möglichst schnell wieder einsetzen zu können", doch wegen langer Ersatzteil-Lieferzeiten gebe es auch in den kommenden Wochen Einschränkungen. "Wir bedauern sehr, dass wir unseren Kund:innen und den Reisenden derzeit nicht die Qualität und Zuverlässigkeit bieten, die sie zu Recht von uns erwarten."

Bahnexperte Moy ist eine Entschuldigung nicht genug. "Ich weigere mich, das als neue Normalität hinzunehmen", schrieb der Pro-Bahn-Mann vergangene Woche in einem Brandbrief an die Verantwortlichen. "Ein Verkehrsmittel, das im Jahr mehrere Monate - aus welchen Gründen auch immer - nicht oder stark eingeschränkt verfügbar ist, macht sich entbehrlich und kann nicht mehr Teil der Daseinsvorsorge sein." Im Vergleich zu Ländern wie Österreich oder der Schweiz, die den Wintereinbruch deutlich besser gemanagt haben, sei Deutschland "eisenbahntechnisch ein Entwicklungsland", klagt Moy. Um den ursprünglichen Fahrplan im Werdenfelser Land zu erfüllen, fordert er die Einsetzung von Ersatzzügen. Er befürchtet, dass sonst auch die letzten Bahnfans ins Auto wechseln - und dann auch dabei bleiben. "Der Schaden wäre groß, nicht nur für die Bahn. Auch für den Klimaschutz und die Verkehrswende."

In den Rathäusern der betroffenen Kommunen übt man sich dagegen in Geduld, zwangsläufig. Nach dem Schneechaos habe man die Bahn bei einem Treffen den Unmut spüren lassen, sagt Ohlstadts Bürgermeister Scheuerer. Aber niemand könne zaubern. "Unsere große Hoffnung ist, dass wir nach der Sanierung Ende 2024 ein gut funktionierendes Schienennetz haben werden." Wie viele Menschen der Bahn bis dahin die Treue halten, ist eine andere Frage.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusJahrestag des Zugunglücks in Garmisch
:"Das blinde Vertrauen in die Bahn ist weg"

Am 3. Juni 2022 entgleist eine Regionalbahn auf dem Weg von Garmisch-Partenkirchen nach München. Fünf Menschen sterben, Dutzende werden verletzt. Wie ein US-Soldat zum Helden wurde - und warum die Tragödie noch lange nachwirken wird.

Von Thomas Balbierer

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: