Bürgerkrieg in Syrien:Handeln ohne Mandat

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Protest vor dem Weißen Haus in Washington: Barack Obama will in Syrien eingreifen - wenn der Kongress zustimmt. (Foto: AFP)

Die USA und Frankreich wollen in den syrischen Bürgerkrieg eingreifen - doch sie sind nicht die einzigen Akteure, die in dem Konflikt eine Rolle spielen. Russland steht weiter an der Seite Assads, die arabische Liga ist gespalten. Und welche Rolle spielen eigentlich die UN? Die wichtigsten Fragen und Antworten zu einem möglichen Syrien-Einsatz.

Von Johannes Kuhn

Bis zum vergangenen Samstag rechnete das Regime von Baschar al-Assad "jeden Moment" mit einer Militärintervention westlicher Staaten. US-Präsident Barack Obama macht den Einsatz nun vom Votum des Kongresses abhängig - eine Atempause in der Diskussion, wie und ob die USA in Syrien eingreifen werden.

Vor allem Obama und Frankreichs Präsident Hollande haben in den vergangenen Tagen ihre Entschlossenheit zu einem entschiedenen Vorgehen erklärt - auch wenn Russland nach wie vor von den USA Beweise für einen Chemiewaffen-Einsatz durch syrische Regierungstruppen fordert. Die Vereinigten Staaten stützen ihre Anschuldigungen auf einen kürzlich veröffentlichten Geheimdienst-Bericht, der beweisen soll, dass das Assad-Regime Giftgas gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt hat. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu einem möglichen Militäreinsatz.

Die USA wollen Syrien angreifen. Warum?

Es geht um das, was in der Nacht des 21. August geschah. In Siedlungen außerhalb Damaskus kam es offenbar zum Einsatz von Giftgas, mindestens 350 Menschen starben (manche Menschenrechtsorganisationen sprechen von bis zu 1300 Toten). Für Giftgas sprechen die Symptome, unter denen die Menschen leiden, die in zahlreichen Videos zu sehen sind: vermehrter Speichelfluss, Zuckungen, schwere Atemprobleme, verengte Pupillen. Für die Organisation "Ärzte ohne Grenzen" deutet alles auf den Einsatz von Nervengift hin. Ein UN-Expertenteam soll höchst offiziell klären, wie die Menschen getötet wurden, die Inspektoren haben Syrien inzwischen bereits wieder verlassen - SZ-Autor Paul-Anton Krüger hat erklärt, was genau sie suchten. UN-Diplomaten rechnen damit, dass die Auswertung der Untersuchungen bis zu zwei Wochen dauern könnte. Einige westliche Staaten vermuten, dass Truppen des syrischen Staatschefs Baschar al-Assad hinter dem Angriff stecken - sie wollen ihn dafür bestrafen.

Stecken Assads Truppen wirklich hinter der Attacke?

Das ist unklar. Amerika, Frankreich und Großbritannien gehen aufgrund von Geheimdienstinformationen davon aus. Die USA haben inzwischen einen Geheimdienst-Bericht veröffentlicht, in dem sie von Beweisen für einen Giftgas-Einsatz durch das syrische Regime sprechen. Die USA berufen sich dabei unter anderem auf Satellitenbilder von dem Giftgasangriff und ein abgefangenes Telefonat eines hochrangigen syrischen Vertreters, der mit dem Angriff vertraut war. Auch die Rebellen könnten verantwortlich sein, betonen hingegen die Assad-Verbündeten Russland und Iran. Die gegen Assad erhobenen Anschuldigungen seinen "völliger Unfug", sagte der russische Präsident Wladimir Putin kurz nach der Veröffentlichung des US-Berichts vor Journalisten. Möglich ist ebenfalls, dass ein Angehöriger des syrischen Militärs den Einsatz ohne Wissen oder gegen den Willen der Führung befohlen hat. UN-Inspektoren untersuchen den Fall, aber sie haben nicht das Mandat, die Urheber des Angriffs zu benennen.

Was werden die Vereinten Nationen tun?

Jenseits der Untersuchung des Angriffs nicht viel. Der Einsatz von Giftgas ist durch das Völkerrecht verboten, eine militärische Reaktion müsste der UN-Sicherheitsrat anordnen. Dort blockieren jedoch Russland und China ein Vorgehen gegen Assad. Artikel 2 Absatz 4 der UN-Charta verbietet den Einsatz von Gewalt in internationalen Beziehungen.

Wäre ein UN-Mandat notwendig?

Die Unterstützer eines Einsatzes halten es für angezeigt, auch ohne UN-Mandat zu handeln. Sie berufen sich auf moralische Gründe und die Tatsache, dass Assad offenbar seiner Schutzverantwortung gegenüber seinem Volk nicht nachkommt - 2005 stimmten die UN diesem Grundsatz (responsibility to protect) zu. Einen Präzedenzfall liefere der Nato-Einsatz im Kosovo. Weiterführende Lektüre liefert dieser Text von Stefan Ulrich, bei der BBC kommen internationale Rechtsgelehrte zu Wort.

Welche Länder sind noch in den Konflikt involviert?

Die Türkei hat die Bereitschaft signalisiert, einen Militärschlag logistisch zu unterstützen. Nicht ganz so weit gehen die Staaten der Arabischen Liga. Sie gaben auf diplomatischen Druck des Assad-feindlichen Saudi Arabiens eine Erklärung ab. Darin machen sie die Regierung verantwortlich für den Attacke. Einen Militärschlag fordern sie in dem Text nicht, widersprechen diesem jedoch auch nicht. Syriens Nachbarstaat Libanon enthielt sich bei der Abstimmung über das Dokument, die Schiiten der radikalislamischen Hisbollah gelten als Assad-Verbündete. Das sunnitisch geprägte Saudi-Arabien ist ebenso wie Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate auf Seiten der Rebellen. Eine genauere Aufschlüsselung der Positionen finden sich in diesem Text von Benjamin Romberg und diese Infografik.

Das erinnert stark an den Irak-Krieg, oder?

Zuletzt zog der ehemalige deutsche UN-Botschafter Gunther Pleuger diese Parallele: "Man wird natürlich schon an Irak erinnert, wo solche (...) angeblichen Beweise vorgelegt wurden, und alle nicht stimmten", sagte er im Deutschlandfunk. Diesen Eindruck versuchen die USA zu vermeiden. Es soll sich um einen kurzen Einsatz handeln, der nur wenige Tage dauert und auch nicht auf einen Regimewechsel - also den Sturz Assads - angelegt ist. Ein möglicher Vergleich stammt aus dem Jahr 1998: Damals bombardierten die USA Terror-Basen in Afghanistan, aber auch eine vermeintliche Chemiewaffen-Fabrik im Sudan - als Vergeltung für die tödlichen Attentate auf die amerikanischen Botschaften in Kenia und Tansania. Allerdings stellte sich später heraus, dass es die Chemiewaffen-Produktion, die sich in einer Medikamentenfabrik befinden sollte, womöglich nie existierte und die Geheimdienstinformationen nicht so eindeutig wie zunächst dargestellt waren.

Wie genau soll der Einsatz aussehen?

Im östlichen Mittelmeer vor der Küste Syriens sind amerikanische Kriegsschiffe in Stellung gegangen, von denen aus Raketen abgefeuert werden könnten. Auch Frankreich schickt seine modernste Fregatte in Richtung Syrien. Die US-Regierung beriet die Woche über mit ihren Verbündeten, welche Ziele genau angegriffen werden sollen. Ein herber Rückschlag für die USA war die Schlappe, die Großbritanniens Premier David Cameron im britischen Unterhaus erlitt: Die Abgeordneten sprachen sich dort am Donnerstagabend überraschend gegen eine Beteiligung ihres Landes an einem Einsatz aus.

Medienberichten zufolge sollen Giftgas-Anlagen nicht zu den Zielen gehören, da sonst diese Stoffe in falsche Hände geraten. Möglicherweise werden die Militärbasen der Assad-Truppen und das Hauptquartier der Armee gezielt attackiert, die an dem Giftgas-Einsatz beteiligt waren. Ein Nebeneffekt: Wichtige Waffensysteme - vor allem die strategisch wichtige Luftwaffe - der syrischen Armee könnten zerstört werden. SZ-Nahostkorrespondentin Sonja Zekri gibt in diesem Stück einen Überblick über die Machtverhältnisse in Syrien und die militärische Stärke Assads.

Würde das den Rebellen den Weg zum Sieg ebnen?

Das ist unklar, zumal die "Rebellen" schon lange eine unübersichtliche Ansammlung von Kämpfern sind, auch Islamisten wie die mächtige Al-Nusra-Front mischen dort inzwischen mit. Selbst bei dieser Auflistung des Economist aus dem Mai könnten inzwischen schon wieder neue Fraktionen hinzugekommen sein. Gerade wegen der unübersichtlichen Lage tut sich der Westen schwer mit der Unterstützung. Der Angriff würde das Assad-Lager, dessen Truppen sich derzeit auf dem Vormarsch befinden, zumindest schwächen und damit womöglich auch jenen radikalen Islamisten helfen, die der Westen eigentlich in Zaum halten möchte.

Ein Schlag, der Islamisten hilft - ist dies das beste Szenario?

Nein, im Idealfall würde Assad durch das Bombardement und die nachfolgenden Entwicklungen zu Verhandlungen gezwungen. Allerdings hat er bislang auch in aussichtslosen Situationen keine Anstalten gemacht, über eine mögliche Abgabe der Macht an einen Nachfolger zu verhandeln - und vermutlich würden seine Gegner nichts als den Sturz der gesamten Machtelite akzeptieren.

Und was wäre das Worst-Case-Szenario?

Die Bomben könnten die gesamte Region destabilisieren und Racheakte aus Iran oder von der Hisbollah provozieren, die auf Israel oder das Nato-Mitglied Türkei zielen. Vor allem aber stellt sich die Frage: Was, wenn Assad - falls er hinter dem Einsatz am 21. August stecken sollte - wieder oder dann erst recht Giftgas im großen Maßstab einsetzt? Muss der Westen dann erneut eingreifen? Das Gegenargument lautet: Wenn Assad nicht bestraft wird, würden Chemiewaffen für ihn künftig zum legitimen Mittel der Kriegsführung. Zudem könnte dies andere Machthaber zu verleiten, ebenfalls chemische Kampfstoffe einzusetzen, da die Weltgemeinschaft schon ein Mal nicht zum Eingreifen bereit war.

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