Russland und der Syrien-Konflikt:Putin reagiert mit Schulterzucken

Russian President Putin attends a meeting during his visit to Khabarovsk

Russlands Präsident Wladimir Putin

(Foto: REUTERS)

Ohne Russland bewegt sich in Syrien nichts. Und Russland bewegt sich nicht ohne Putin. Was aber macht der Präsident in diesen Tagen, in denen die Welt mit Schrecken einem neuen Krieg entgegenblickt? Er eröffnet Brunnen und besucht Hochwassergebiete. Dabei wäre Putins Handeln die letzte Chance für eine diplomatische Lösung.

Ein Kommentar von Julian Hans

Die Welt treibt auf einen neuen Krieg zu, mit unabsehbaren Folgen. Diplomaten in Washington und New York, in London, Paris und Berlin versuchen, einen Angriff einer US-geführten Allianz abzuwenden und eine politische Lösung herbeizuführen. Seit zwei Jahren wird über eine Nachkriegsordnung für Syrien nachgedacht, die den Interessen der Aufständischen und Unzufriedenen und gleichzeitig denen der alten Machthaber gerecht würde. Nun, geschockt von einem mutmaßlichen Giftgasangriff und unter dem Druck eines möglichen Militärschlags, ist ein günstiger Augenblick gekommen. Es gibt noch eine letzte Chance für eine diplomatische Lösung.

Seit vor bald zwei Jahren aus dem Aufstand gegen Baschar al-Assad ein Bürgerkrieg wurde, ist klar, dass eine diplomatische Lösung ohne Russland unmöglich ist. Moskau hat mit seinem Veto im Sicherheitsrat jeden Versuch vereitelt, den Druck auf das Regime zu erhöhen.

Selbst als nun endlich UN-Spezialisten nach Damaskus geschickt wurden, bestimmte Russland, dass sie dort nur untersuchen dürfen, ob chemische Kampfstoffe eingesetzt wurden. Darüber, wer sie eingesetzt hat, dürfen sie keine Aussage treffen. Die ganze Welt weiß, dass sich ohne Russland in Syrien nichts bewegt. Und Russland bewegt sich nicht ohne Wladimir Putin.

Abgebrüht oder zynisch?

Was aber macht der Präsident in diesen Tagen, in denen die Welt mit Schrecken einem neuen Krieg entgegenblickt? Er reist durch die russische Provinz und eröffnet Brunnen und Hochöfen. Am Sonntag besuchte er das winzige Abchasien am Schwarzen Meer, das sich von Georgien abgespalten hat. Auch das ist eine Botschaft.

Am Montag nahm er gerade an einer Sitzung der Kommission der Kraftstoffwirtschaft in Sibirien teil, als David Cameron anrief. Man habe über Syrien gesprochen, das Gespräch sei auf Initiative des britischen Premiers zustande gekommen, heißt es auf der Website des Kreml. Am Donnerstag nun besuchte Putin Chabarowsk, um sich ein Bild von dem Hochwasser zu machen, das schon seit zwei Wochen im Osten des Landes steht.

Die russische Position zu Syrien und zum Einsatz chemischer Waffen gegen die Zivilbevölkerung darf derweil in Moskau Außenminister Sergej Lawrow erklären. Diese Position ist ja hinlänglich bekannt und hat sich nie geändert, wie sehr sich die Lage auch zuspitzt: Der Bürgerkrieg ist eine innere Angelegenheit Syriens, Einmischung verboten. Keiner Seite darf die Schuld zugeschoben werden. Wer gegen Assad ist, stärkt radikale Islamisten. Und Lawrow sagt auch lakonisch: Die Entscheidung für eine Intervention sei eh schon gefallen, das Giftgas sei nur ein Vorwand. Soll man das als abgebrühte Haltung des erfahrenen Diplomaten werten, der die Vereinten Nationen seit mehr als 30 Jahren kennt - oder schon als Zynismus?

Alte Moskauer Schule

Hinter dieser Haltung steckt ein grundsätzlich anderes Verständnis von außenpolitischer Verpflichtung: Während der Westen seit dem Ende des Kalten Krieges mehrfach in Konflikte eingegriffen hat, um humanitäre Katastrophen zu verhindern, fragt die alte Moskauer Schule stets nach Interessen. Selbst humanitäre Interventionen erscheinen nach dieser Lesart als Kaschierung der wahren Beweggründe - es geht stets um Einfluss in der Region, um Zugang zu Rohstoffen. Die anfängliche Begeisterung für die Ereignisse, denen der Westen den Namen "arabischer Frühling" gab, konnte in Moskau daher niemand nachvollziehen. Schließlich brachten sie Chaos in eine Region, die unter Diktatoren lange Zeit wenigstens einigermaßen stabil gewesen war.

Eigene Interessen zu verfolgen ist legitim. Nun aber ignoriert Russland jedes politische Handlungsgebot vor einem möglichen militärischen Schlag der USA und reagiert lediglich mit einem Schulterzucken. Es geht wieder um die ureigenen Interessen: Was wäre, wenn der Sicherheitsrat irgendwann über innerrussische Probleme etwa im Kaukasus debattieren will? Vielleicht braucht Russland irgendwann mal auch ein Argument, wenn es selbst zum Alleingang ansetzt.

Durch die Blockade im Sicherheitsrat mag sich Putin für eine Weile sehr mächtig gefühlt haben. Langfristig aber zerstört seine Politik das wichtigste Gremium der Staatengemeinschaft ebenso, wie der Bürgerkrieg Syrien zerstört. Notfalls werden die USA eben ohne Mandat eingreifen. Moskau warnt davor, dass dann ein weiteres Land in der Region in die Hände von Islamisten fallen könnte, und es befürchtet, dass sich dieses Lauffeuer bis in den ohnehin instabilen Kaukasus ausbreitet. Um diese Katastrophe zu verhindern, müsste Putin die Gummistiefel ausziehen und ernsthaft verhandeln.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: